Werbung

Nach Hanau-Anschlag: Polizei zeigt bundesweit mehr Präsenz

Zahlreiche Menschen laufen in Hanau während eines Trauermarsches vom Tatort Heumarkt zum Tatort Kurt-Schumacher-Platz.
Zahlreiche Menschen laufen in Hanau während eines Trauermarsches vom Tatort Heumarkt zum Tatort Kurt-Schumacher-Platz.

Der Todesschütze von Hanau war wohl psychisch schwer krank. Für Innenminister Seehofer ist trotzdem klar, dass es ein Terroranschlag war. Noch gibt es eine Ungereimtheiten zum Tatverlauf.

Berlin (dpa) - Nach dem Anschlag in Hanau hat Bundesinnenminister Horst Seehofer eine stärkere Polizeipräsenz in ganz Deutschland angekündigt. Gesetze sollen aber nicht verschärft werden.

Moscheen und andere «sensible Einrichtungen» werden verstärkt überwacht, wie der CSU-Politiker am Freitag in Berlin sagte. Die Bundespolizei werde an Bahnhöfen, Flughäfen und an den Grenzen präsent sein.

Seehofer nannte die Bluttat einen rassistisch motivierten Terroranschlag. Ermittler gaben weitere Details zum mutmaßlichen Täter Tobias R. bekannt. Sie gehen davon aus, dass er psychisch krank war - betonen aber auch seine rassistische Gesinnung.

In der Nacht zum Donnerstag hatte der 43 Jahre alte Deutsche neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen. Nach Angaben des Landeskriminalamts hatten drei eine deutsche Staatsangehörigkeit und zwei eine türkische. Je eines der Opfer hatte eine bulgarische, eine rumänische und eine bosnisch-herzegowinische Staatsangehörigkeit, ein weiteres sowohl eine deutsche als auch eine afghanische.

Zudem soll der Sportschütze seine 72 Jahre alte Mutter und sich selbst getötet haben. Wann die Mutter erschossen wurde, ist noch unklar. Tobias R. soll während seiner Fahrt durch Hanau zwei der Opfer in ihren Autos erschossen haben. Das sagten Behördenvertreter in einer Telefonkonferenz Mitgliedern des Innenausschusses des Bundestages, wie Teilnehmer berichteten.

Tobias R. hatte im Internet wirre Gedanken und abstruse Verschwörungstheorien sowie rassistische Ansichten geäußert. Die Tat sei dennoch «eindeutig ein rassistisch motivierter Terroranschlag», bilanzierte Seehofer.

In Hanau gedachten Menschen erneut der Opfer des Anschlags. Etwa 200 Teilnehmer versammelten sich nach Veranstalter-Angaben auf dem Marktplatz vor dem Rathaus, fassten sich an den Händen und bildeten eine kreisrunde Menschenkette. Auf Schildern war zu lesen: «Respekt. Kein Platz für Rassismus.» Oder: «Rassismus ist krass. Liebe ist krasser.»

Am Samstag will ein Bündnis gegen Hetze und Menschenverachtung in Hanau demonstrieren. Am Nachmittag ist auf dem Marktplatz eine weitere Kundgebung geplant.

In Halle an der Saale wird das Friedensgebet am Montag im Zeichen des Anschlags von Hanau stehen. «Kaum sind die Kerzen der Trauer um die beiden Opfer des Anschlages von Halle am 9. Oktober 2019 erloschen, löst eine erneute Gewalttat im ganzen Land Entsetzen und Trauer aus», teilte der Evangelische Kirchenkreis Halle-Saalkreis mit. In Halle hatte ein schwer bewaffneter Rechtsextremist einen Anschlag auf die jüdische Synagoge versucht, scheiterte aber an einer Tür. Er erschoß schließlich außerhalb der Moschee zwei Menschen.

Minister Seehofer nannte die Gefährdungslage durch Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus «in Deutschland sehr hoch». Nach dem Mordfall Lübcke und dem Anschlag von Halle sei dies der «dritte rechtsterroristische Anschlag in wenigen Monaten».

In den vergangenen Tagen seien weitere Anschläge verhindert worden, Ermittler hätten Sprengstoff und Handgranaten in großer Zahl sowie automatische Waffen sichergestellt, sagt der Minister. Mit Nachahmungstätern müsse man nach einer so schrecklichen Tat immer rechnen. Den Rechtsextremismus bezeichnete Seehofer als höchste Sicherheitsbedrohung für Deutschland. Er fordere nun «nicht mehr Personal und auch nicht mehr Paragrafen», sagte er. Die neu geschaffenen Möglichkeiten müssten genutzt werden. Auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) verwies auf jüngst beschlossene Gesetze, etwa gegen Hetze im Internet.

Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, sprach auf Grundlage erster Einschätzungen von einer offensichtlich «schweren psychotischen Krankheit» des Todesschützen. Seehofer betonte jedoch, «der rassistische Hintergrund dieser Tat ist aus meiner Sicht vollkommen unbestritten und kann durch nichts relativiert werden.» AfD-Fraktionschef Alexander Gauland hatte zuvor Vorwürfe einer Mitverantwortung seiner Partei zurückgewiesen und von einem «offensichtlich völlig geistig verwirrten Täter» gesprochen.

Die Ermittler durchleuchten im Zuge der Aufklärung des Anschlages nun Handy- und Computerdaten des Täters. Abgeklärt werde, mit wem im Inland und Ausland er Kontakt gehabt und wo er sich aufgehalten habe, sagte Generalbundesanwalt Peter Frank. Mittlerweile seien 40 Zeugen angehört worden, um den genauen Tathergang abzuklären. Noch habe man keine Hinweise auf Mitwisser oder Unterstützer.

Frank bestätigte, dass die Bundesanwaltschaft schon im vergangenen November Kontakt mit dem Attentäter hatte. Dieser habe Strafanzeige gegen eine unbekannte geheimdienstliche Organisation gestellt und darin zum Ausdruck gebracht, dass es eine übergreifende große Organisation gebe, die vieles beherrsche, «sich in die Gehirne der Menschen einklinkt und dort bestimmte Dinge dann abgreift, um dann das Weltgeschehen zu steuern». Man habe aufgrund dieses Schreibens kein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Auch der Vater war den Behörden bereits aufgefallen, etwa durch Beschwerdeschreiben. Er sei in der Tatnacht in der Wohnung bei Tobias R. angetroffen worden, sei aber kein Beschuldigter, sondern ein Zeuge, sagte Frank.

Diskutiert wird auch weiter über politische Konsequenzen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken im Bundestag, Jan Korte, forderte ein Demokratiefördergesetz, das Finanzmittel für Initiativen gegen Rechts «auf hohem Niveau» verstetigt würden.

Justizministerin Lambrecht kündigte an zu prüfen, ob die gerade erst verschärften Regelungen im Waffenrecht auch konsequent umgesetzt werden. Demnach müssen die Behörden immer beim Verfassungsschutz nachfragen, bevor sie Waffenerlaubnisse vergeben. Es müsse geprüft werden, ob die Behörden, die über die Zuverlässigkeit entscheiden, die nötigen Informationen bekommen.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner forderten, die AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. «Der von der AfD gesäte Hass ist der ideologische Wegbereiter des rechten Terrors», sagte Kellner dem Nachrichtenportal «t-online.de». Seehofer sagte, das sei «weniger eine politische Frage, sondern eine des Verfassungsschutzes».

Wer in Deutschland eine Waffe besitzen will, muss im internationalen Vergleich recht strenge Voraussetzungen erfüllen. Geregelt ist das deutsche Waffenrecht im Waffengesetz. Es unterscheidet zwischen Waffenbesitzkarte und dem Waffenschein, der dazu berechtigt, eine geladene Schusswaffe zugriffsbereit in der Öffentlichkeit zu führen - also außerhalb der eigenen Wohnung, des eigenen befriedeten Besitzes oder der Geschäftsräume.

Wer Waffen nur kaufen und besitzen oder auf einem Schießstand nutzen will, wie zum Beispiel Sammler oder Sportschützen, braucht dafür eine Waffenbesitzkarte. Volljährigkeit, Zuverlässigkeit, Sachkunde und ein nachzuweisendes Bedürfnis sind hier Voraussetzung. Sachkunde und Bedürfnis können auch durch eine Jägerprüfung und das Lösen eines Jagdscheins nachgewiesen werden. Auch Sportschützen erwerben ihre Waffen mit einer Waffenbesitzkarte. Sie dürfen erlaubnispflichtige Waffen aber nur entladen und in einem verschlossenen Behältnis transportieren.

In Deutschland waren Anfang 2019 nach Angaben der Bundesregierung knapp eine Million Privatpersonen im Besitz von meldepflichtigen Waffen oder Waffenteilen. Der Deutsche Schützenbund zum Beispiel verzeichnete im vorigen Jahr mehr als 1,3 Millionen Mitglieder. Ende 2019 gab es gut 388.000 Jäger und Jägerinnen.

Nur wenige Privatpersonen haben zum Selbstschutz - weil sie gefährdete Personen sind - den Waffenschein, auch als «großer Waffenschein» bezeichnet. Sie müssen gegenüber den Behörden glaubhaft machen, dass sie «wesentlich mehr als die Allgemeinheit durch Angriffe auf Leib oder Leben gefährdet» sind und «geeignet und erforderlich ist, diese Gefährdung zu mindern». Geht es um erlaubnisfrei zu erwerbende Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen, reicht der kleine Waffenschein, um diese in der Öffentlichkeit zu führen.