Lafontaine bei Lanz: „Der aktuelle Ansatz der Flüchtlingspolitik ist falsch“

Oskar Lafontaine will durch eine Migrationsbeschränkung die AfD schwächen. (Bild: Screenshot ZDF)
Oskar Lafontaine will durch eine Migrationsbeschränkung die AfD schwächen. (Bild: Screenshot ZDF)

Mit der linken Sammlungsbewegung „aufstehen“ sorgen Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht für viel Konfliktpotential – besonders in der eigenen Partei. Bei Markus Lanz erklärt der frühere Parteichef nun seinen Standpunkt.

Mit Elisabeth Niejahr sitzt Lafontaine dabei eine starke Kritikerin gegenüber. Die Journalistin glaubt nicht an den Erfolg von „aufstehen“ und wirft den linken Parteien vor, ihre Chancen auf Veränderungen in der Vergangenheit ignoriert zu haben. 2012 hätten SPD, Grüne und Linke eine Regierung bilden und wirklich etwas bewegen können. Jedoch habe die Linke lieber „die SPD gequält“ als sich „auf die Kanzlerin zu stürzen“. Auch heute glaubt sie nicht daran, dass die Bewegung um Ex-Parteichef Lafontaine und Sahra Wagenknecht wirklich Einheit wolle, schließlich sei er in der Vergangenheit nicht als „Versöhner“ aufgefallen: „Ich habe den Eindruck, sie wollen eine Sammelbewegung, aber nur zu ihren Bedingungen“, so Niejahr.

Oskar Lafontaine verweist auf die Bedingungen, die er zur Regierungsbildung 2012 gestellt hatte: gesetzlicher Mindestlohn, neue Arbeitslosenversicherung, andere Rentenformel, keine Interventionskriege. Diese wurden jedoch nicht erfüllt. „Sie können sagen, meine Bedingungen waren falsch, aber sie können nicht sagen, dass ich nicht versuchte hätte, eine Regierung zustande zu bringen“, verteidigt er sich.

Elisabeth Niejahr lässt sich jedoch nicht beschwichtigen: Mit „aufstehen“ und den vertretenen Ansichten, die konträr zur Politik von Grünen, SPD und auch der Linken selbst stehen, würde man eher Ressentiments verstärken als sich ihnen entgegenzustellen. Der Impuls, der AfD etwas entgegensetzen und etwas gegen Ausländerfeindlichkeit tun zu wollen, sei nahvollziehbar. „Ich nehme ihre Bewegung aber nicht als Gruppe von Leuten wahr, die sich das wirklich in erster Linie vornimmt“, greift die Journalistin den Politiker an.

Elisabeth Niejahr verfolgt den politischen Weg von Oskar Lafontaine seit den Neunzigern. (Bild: Screenshot ZDF)
Elisabeth Niejahr verfolgt den politischen Weg von Oskar Lafontaine seit den Neunzigern. (Bild: Screenshot ZDF)

Dass Lafontaine und Ehefrau Sahra Wagenknecht sich etwa gegen eine „grenzenlose Willkommenskultur“ positionieren, sorgt für Kritik inner- und außerhalb der eigenen parteipolitischen Reihen. Er erklärt dazu: Soziale Fragen seien ausschlaggebend für Bewegungen nach rechts, gleichzeitig würde Zuwanderung ebensolche Probleme wie Lohn- und Mietkonkurrenz verstärken. Der „deutsche Beschäftigungsnationalismus“ sei eine „völlige Fehlentwicklung“, da etwa das Gesundheitssystem nicht mehr ohne Ärzte und Pfleger aus dem Ausland funktionieren würde. „Das ist eine völlig Perversion dessen, was notwendig wäre“, empört sich der 74-Jährige über die Vielzahl von Fachkräften aus Afrika, Syrien oder etwa Griechenland – denn dort würden diese Fachkräfte dann fehlen. „Wir, die reichen Länder, wir müssen den ärmeren helfen. Nicht umgekehrt denen das qualifizierte Personal absaugen.“

Außerdem kritisiert Oskar Lafontaine eine Migrationspolitik „für die Wenigen“: Innerhalb der Industriestaaten würde pro Kopf 135-mal mehr für Flüchtlinge ausgegeben als in den Lagern vor Ort. Mit den Geldern, die in Deutschland für Einwanderer ausgegeben werden, könne man das Leben von Millionen im Ausland verbessern. Diese „Vielen“ lasse man jedoch verhungern, um für die „Wenigen“ hier zu sorgen.

Erneut meldet sich Elisabeth Niejahr mit dem Einwand zu Wort, dass die AfD sich wegen der Art, wie Lafontaine über Ausländer in Deutschland spricht, auf ihn berufe und erinnert an den Begriff „Fremdarbeiter“, den Lafontaine einst bei einer Rede verwendet hatte. „Sie fallen auf Herrn Gauland herein, der Gauland ist also wirklich schlau“, schmettert der Linke-Politiker die Argumente der Journalistin ab. Die AfD habe nichts mit seiner Politik zu tun, denn auch die rechtspopulistische Partei vertrete die Mehrheitsmeinung, dass Fachkräfte aus dem Ausland gewonnen werden sollten.

„Versöhner“ oder „Spalter“? Die Gäste sind sich uneinig. (Bild: Screenshot ZDF)
„Versöhner“ oder „Spalter“? Die Gäste sind sich uneinig. (Bild: Screenshot ZDF)

Seinen politischen Kontrahenten und Mitstreitern unterstellt Oskar Lafontaine derweil Scheinheiligkeit und Heuchelei. „Wir müssen etwas ehrlich sagen: Wir können nicht allen in gleichem Umfang helfen“, sagt er unter Beifall. Eine rationale Diskussion über die Thematik sei jedoch nicht möglich. „Wenn man schon sagt ‚Gibt es vielleicht Grenzen der Milliarden, die wir bereitstellen?‘ ist man schon ein Rassist.“ Für ihn gilt: Man müsse denen helfen, die die größte Not haben. Seiner Ansicht nach sind das die jährlich Millionen Verhungernden in Afrika. Für die würde sich jedoch keiner einsetzen. „Ich bin der Meinung, das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit gilt weltweit“, erläutert er weiter, dass die Flüchtlingshilfe sich nicht auf das Inland konzentrieren dürfe.

Mit „aufstehen“ will Lafontaine nun also eine Bewegung etablieren, die dem Leitsatz des britischen Labour-Party-Chefs Jeremy Corbyn „For the many, not the few“ folgt. „Wenn ich Gutsbesitzer bin und 135 Hungernde stehen vor meiner Tür, kann ich nicht einen einladen und bewirten und den Rest lass ich stehen“, versinnbildlicht er die aktuelle Flüchtlingspolitik, die er als „falsch“ bezeichnet.

„Es war notwendig, in der Flüchtlingsdebatte eine Diskussion anzustoßen, damit wir uns nicht auf den völlig falschen Weg bewegen“, ist der Politiker überzeugt und gibt sich sicher, dass auch die Mehrheit der linken Parteimitglieder seine Position vertreten. Allein könne die Linke es jedoch nicht leisten, der Rechten etwas entgegenzusetzen. Deswegen solle es nun die Sammelbewegung geben. Ob es sich dabei jedoch wirklich um eine Sammlung oder eine neue Spaltung handele, darauf können sich die Diskutierenden an diesem Abend nicht einigen.