Manuel Charr: So turbulent verlief der Weg des Boxers bis zur WM-Chance

Manuel Charr hat eine bewegte Vergangenheit.
Manuel Charr hat eine bewegte Vergangenheit.

Manuel Charr erhält am Samstagabend in Oberhausen die Chance, sich zum Schwergewichts-Weltmeister der WBA zu krönen. Dabei steht er aktuell nur auf Rang 5 in der Rangliste dieses Boxverbandes. Im Ring steht ihm der 40-jährige Russen-Riese (2,02m) Alexander Ustinow gegenüber. Charrs Weg zum WM-Kampf war lang und holprig, von Querelen mit der Justiz und Trash-TV überschattet. Ein Portrait.

Manuel Charr kam als Kriegsflüchtling nach Deutschland. Der Vater Syrer, die Mutter Libanesin, wuchs Charr bis zu seinem fünften Lebensjahr in Beirut auf. Sein Vater kam in den Wirren des Bürgerkriegs im Libanon um. 1989 floh Mahmoud Omeirat Charr, so der bürgerliche Name des Boxers, mit seiner Mutter und fünf seiner sieben älteren Geschwister nach Deutschland.

Familie Charr lebte zunächst im Berliner Wedding, wo sich der Jüngste täglich prügelte, seine Mutter aber auch beim Geldverdienen unterstützte, indem er laut Hamburger Abendblatt Autos an Ampeln putzte und gestohlenes Obst verkaufte. Danach zogen die Flüchtlinge mit Status von Geduldeten nach Gelsenkirchen und Essen. Dort wurde der Profiboxer in der Nacht zum 2. September 2015 in einem Kebap-Imbiss angeschossen. Er überlebte den Bauchschuss schwer verletzt, überstand die Notoperation und absolvierte bereits neun Monate später seinen nächsten Profikampf. Das Motiv für die Schussattacke waren Beleidigungen auf Facebook. Richter Andreas Labentz, der den Angreifer im Gerichtsprozess zu fünf Jahren Haft verurteilte, bezeichnete den Disput der beiden Männer aus der Boxszene nach dpa-Informationen als einen „an Peinlichkeit nicht zu überbietenden Hahnenkampf“.

Ausgelöst hatte den Streit ein auf Facebook veröffentlichtes Video von Charrs Niederlage gegen den Letten Maidis Briedis. Eine von vier Niederlagen in der Profi-Vitae des Deutschen syrisch-libanesischer Herkunft. Davor verlor er ausgeknockt gegen Vitali Klitschko und Alexander Powetkin sowie per Mehrheitsentscheidung gegen Johann Duhaupas. „Stark sein bedeutet, immer wieder aufzustehen“, erklärt Charr und bekräftigt: „Mir wurde nie etwas geschenkt, ich habe mir alles hart erarbeitet.“

Vom Thaiboxer zum Wandervogel

Tatsächlich fing er erst mit 16 Jahren an, Kampfsport zu betreiben; zunächst als Kickboxer. Was in einer Privatschule in Essen begann, entwickelte sich zu einer richtigen Karriere. Charr wechselte ins Masters Gym nach Duisburg, wurde Europameister im Thai-Kickboxen. Parallel schwang er die Fäuste als Amateurboxer im Box-Club Gelsenkirchen-Erle 49. Von 17 Kämpfen verlor er nur einen und bekam die Chance von Trainer Ulli Wegner, im Sauerland-Stall zum Profi ausgebildet zu werden. Obwohl er sich schon früh als Sparringspartner für Box-Größen wie Powetkin und Nikolai Walujew bewähren durfte, hielt die Beziehung nicht lange. 2007 zog es Charr zur schärfsten Konkurrenz, zu Universum mit Trainer Fritz Sdunek.

Doch auch dort blieb der Linksausleger nicht übermäßig lange. Seine vier Kämpfe im Jahr 2011 bestritt er für Sturm Box-Promotion, den Stall des damaligen Weltmeisters Felix Sturm. Anschließend machte sich der unter dem Kampfnamen „Diamond Boy“ etablierte Charr selbstständig. Seitdem bestreitet er seine Ringgefechte unter dem Label „Diamond Boy Promotion“. Dort wird er inzwischen vom österreichischen Manager Christian Jäger betreut.

Bad Boy mit Strafakte

Abseits des Boxrings machte Charr immer wieder von sich reden, wurde als Bad Boy zum gefunden Fressen für Boulevardmedien. Im August 2006 war Charr gemeinsam mit Alexander Abraham, Bruder von Sauerland-Boxer Arthur Abraham, an einer blutigen Auseinandersetzung in der Nähe des Kurfürstendamms beteiligt. Dort hatten die beiden Boxer rohe Eier auf Passanten geworfen. Diese dumme Pöbel-Aktion des damals 22-Jährigen ging nur so lange glimpflich aus, bis ein getroffener Palästinenser samt Anhang mit einer Glasscherbe in der Hand auf die Eierwerfer los ging. Dem Vernehmen der Justiz nach verteidigte sich Charr mit einem Messer, stach mehrfach zu, wurde aber nach zehn Monaten in Untersuchungshaft ebenso wie Abraham freigesprochen.

2011 wurde Charr im Rahmen einer Razzia gegen Autoschieber verhaftet. Nach drei Wochen in Untersuchungshaft wurde das Verfahren jedoch eingestellt. Nun konzentriert sich „Diamond Boy“ wieder aufs Boxen. Ustinow ist der dritte Russe, auf den er zwischen den Seilen trifft. Gegen Powetkin küsste er in der siebten Runde die Bretter, davor gewann er gegen Denis Bachtow. Seine Vorbereitung auf das Duell mit Bachtow: Training im Container während seiner Teilnahme bei Promi Big Brother.

Dort knutschte er den Tonaufnahmen zufolge (auf dem Klo sind keine Kameras) mit TV-Zicke Georgina Fleur, wie diese der BILD bestätigte. „Ich liebe meine Freundin Amira über alles, ich gehe ihr nicht fremd“, meint der Boxer, der wenige Monate später für sehr kurze Zeit mit der großen Schwester von Cristiano Ronaldo zusammen war und sich als charmant, höflich und seriös betrachtet. Sein Lebenslauf bestätigt diese Selbsteinschätzung nicht unbedingt. Vielleicht gelingt der „deutsch-arabischen Schwergewichtshoffnung“ (ebenfalls ein Charr-Zitat) im Kampf um den vakanten WM-Titel gegen den zehn Zentimeter größeren Ustinow mal eine echte Schlagzeile sportlicher Natur.

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