Markus Lanz: NSU-Urteil und Unionsstreit – was sagt das über Deutschland aus?

Wolfgang Bosbach erklärt bei Markus Lanz das Urteil für Beate Tschäppe im NSU-Prozess. (Bild: Screenshot/ZDF)
Wolfgang Bosbach erklärt bei Markus Lanz das Urteil für Beate Tschäppe im NSU-Prozess. (Bild: Screenshot/ZDF)

Ex-Politiker Wolfgang Bosbach, Philosoph Wolfram Eilenberger, Moderatorin Dunja Hayali sowie die Ex-Fussballer Erwin und Helmut Kremers reden über Deutschland nach dem Urteil im NSU-Prozess und das Verhältnis zwischen den Unionsparteien.

„Ein guter Tag“ sei es, findet der Philosoph Wolfram Eilenberger. Gestern fiel im NSU-Prozess ein Urteil, dessen genaue Bedeutung Wolfgang Bosbach dem Moderator Markus Lanz zuerst aber nochmal erklären muss. Denn lebenslang bedeutet ja In Deutschland nicht lebenslang, sondern 15-16 Jahre. Aufgrund der besonderen Schwere der Schuld von Beate Zschäpe, die vom Gericht bei der Urteilsverkündung festgestellt wurde, dürfte diese aber deutlich länger hinter Gittern bleiben. Letzteres war Lanz scheinbar neu.

Die eigentliche Bedeutung des Prozesses sei aber, wie die Gesellschaft ihn abgewickelt und wahrgenommen habe, da ist man sich einig. Häufig wird der Rechtstaat dafür kritisiert, dass er entweder zu lax oder zu bestrebt ist, ein Exempel zu statuieren, gerade bei Fällen nationalsozialistischer Wiederbetätigung. Und gerade bei jenen Personen, denen man mit der größten Abneigung gegenübertrete, sei es wichtig, seine Sachlichkeit zu bewahren, findet Eilenberger.

Das sei gelungen. Fünf Jahre lang habe ein Staat sein Möglichstes getan, um ein Urteil zu fällen, das sie wohl verdient habe, aber das natürlich auch zeige, was für dunkle Energien in der Gesellschaft wären, so Eilenberger. Es sei beruhigend gewesen, zu sehen, wie viel Energie der Rechtsstaat in die Aufklärung gesteckt hat, ist sich die Runde einig.

Ob an dem berühmten Sprichwort, wonach das rechte Auge nicht so gut sehe wie das linke, etwas dran sei, will Lanz wissen. Dass sich jemand wahllos Unschuldige raussucht und sie einfach erschießt, sei für ihn anfangs undenkbar gewesen, gesteht der Moderator. Die Wahllosigkeit der NSU-Morde sei das eigentlich Erschütternde. „Das ist die Logik des Terrors: Wenn man wirklich Terror erzeugen will, geht man wahllos vor“, erklärt Eilenberger. Die Erkenntnis darüber, dass es dieses terroristische rechtsradikale Milieu in Deutschland gebe, bleibe nun als beunruhigendes Gefühl zurück: „Man hat das Gefühl, man hat einen Teil dieses Sumpfes gesehen, man hat ihn aber nicht ganz gesehen und man hat ihn schon gar nicht trockengelegt.“

Der Philosoph Wolfram Eilenberger erinnert daran, dass eine Trennung in jeder schlechten Beziehung eine Option ist. (Bild: Screenshot/ZDF)
Der Philosoph Wolfram Eilenberger erinnert daran, dass eine Trennung in jeder schlechten Beziehung eine Option ist. (Bild: Screenshot/ZDF)

Die Opferperspektive sei in der Behandlung zu kurz gekommen, findet die Moderatorin Dunja Hayali, die schnell von Lanz erinnert wird, dass man schon mal Angehörige in die Sendung eingeladen hätte. Es seien noch viele Fragen offen und vieles sei nicht aufgeklärt, findet Bosbach, aber dennoch dürfe man die Ermittler nicht pauschal verurteilen. Nicht eine hohe Zahl von Sicherheitsbehörden generiere ein hohes Maß an Sicherheit, sondern deren vertrauensvolles Verhältnis, sei die wichtigste Lektion aus der Affäre. Für Eilenberger sind es die „Vorurteilsstrukturen, die wir alle in uns tragen“: „Ich habe darüber auch was über Deutschland gelernt und wieder lernen müssen, was ich nicht wahrhaben wollte.“

Langsam dämmere aber die Einsicht bei einem anderen Thema: Die Beziehung zwischen den Unionsparteien CDU/CSU und der Streit in der Asylfrage, der seit Wochen die deutsche Politik dominiert. Der Streit selber sei hinsichtlich der Heftigkeit und Wortwahl nicht zu verstehen, wenn man die Machtfrage zwischen Merkel und Seehofer ausklammere, sagt Bosbach. Für sein machtbewusstes Vorgehen verliere Seehofer derzeit auch richtigerweise den Rückhalt: selbst in Bayern und für die Verhältnisse einer CSU, die sich immer an der CDU abgearbeitet habe.

„Geht’s da wirklich nur um einen halben Punkt oder geht’s in Wahrheit um etwas ganz Grundsätzliches?“, will Lanz von Eilenberger wissen. Der antwortet mit folgendem Bild: Wenn man in einer Beziehung darüber streite, ob man die Luftmatratze mit in den Urlaub nehmen wolle, gebe es offenbar noch andere und größere Probleme. „Dieses Verhältnis hat sich über die letzten sieben, acht Jahre ausgehöhlt und über die letzten drei Jahre ist es brüchig geworden.“ Richtige Brüche könnten auch heilsam sein und Schicksalsgemeinschaften seien für eine Demokratie nicht gesund: „Es kann auch vernünftig sein, sich zu trennen.“