Markus Lanz vom 5. April 2017: Viele werden jetzt Lügenpresse rufen

Bei Markus Lanz geht es am Mittwochabend um die Diskussion über den Giftgasangriff in Syrien und die Schwarz-Weiß-Berichterstattung unserer Medien.

Der Krieg in Syrien, so Markus Lanz in der gestrigen Sendung, habe schon lange einen anderen Krieg heraufbeschworen: Den Krieg um die Deutung der Bilder. Darüber diskutiert er mit dem Nahostexperten Michael Lüders und es ist gut, dass sie das tun.

Toxikologe Prof. Edmund Maser (links) und Nahostexperte Michael Lüders bei Markus Lanz
Toxikologe Prof. Edmund Maser (links) und Nahostexperte Michael Lüders bei Markus Lanz

Lüders leitet das Thema denkbar ungeschickt ein. Auf Markus Lanz’ Frage hin, warum uns die Bilder aus Chan Scheichun so sehr erschütterten, sagt er: „Die Bilder sind von einer emotionalen Wucht, die kaum zu toppen ist. Jeder kann sich vorstellen, was es bedeutet, wenn man Opfer eines solchen Giftgasangriffes wird.“

Jeder kann sich das vorstellen? Wohl kaum. Wir jungen Deutschen, aufgewachsen nach dem Mauerfall, von Kriegen ganz zu schweigen, können uns das sicherlich nicht vorstellen. Aber darum soll es auch nicht gehen.

Michael Lüders: „Wir deuten zu schnell“

Lüders’ These zu den Bildern aus Syrien ist: „Wir deuten zu schnell.“ In Zeiten von Facebook, Twitter und Co, in denen es eher um die erste Schlagzeile, als um die bessere geht, hat er damit sicherlich Recht.

Bilder, die Emotionen hervorrufen, werden zu Ikonen eines Krieges, sagt Lüders. Beispiel: Das Bild des kleinen Omran. Sie erinnern sich: Der Junge mit dem blutigen Gesicht, vollkommen verstört, aufgenommen in einem Rettungswagen. Ein Bild, das für die Grausamkeit des Assad Regimes stehen soll.

Zu Gast bei Markus Lanz: Michael Lüders war lange Nahost-Korrespondent der Zeit
Zu Gast bei Markus Lanz: Michael Lüders war lange Nahost-Korrespondent der Zeit

Die Deutung, so Lüders bei Markus Lanz, müsste jedoch eine andere sein: Omran sei aufgenommen worden von einem Mann, der damals für das Aleppo Media Center arbeitete. Eine durch den Westen unterstützte Nachrichtenorganisation, die allerdings in der Hand von Jihadisten sei, erklärt Lüders, welche uns wiederrum als Freiheitskämpfer verkauft würden. Erst kurz zuvor hätten diese Jihadisten ein Kind für ein Propagandavideo enthauptet.

Lüders: „Es geht nicht darum Aufklärung zu leisten, sondern darum, Feindbilder am Leben zu halten.“

Lüders selber war lange Nahost-Korrespondent der ZEIT. Kein Journalist, klagt er an, sei an der Darstellung dieser Zusammenhänge interessiert. Sein Vorwurf: „Ich habe den Eindruck, es geht nicht darum Aufklärung zu leisten, sondern darum, Feindbilder am Leben zu halten.“

Lüders Kritik ist begründet und das ist fatal. Feindbilder sind wie Schubladen, einfach zu bedienen, einfach zu verstehen. Wir sind die Guten – die anderen sind die Bösen, allen voran Russland und der Iran. Das ist zu einfach.

Wann werden wir wieder mutiger?

2013 gab es einen noch schlimmeren Giftgasangriff bei Ghuta in Syrien. Tausende Tote. Auch damals hieß es schnell: Die Verantwortung läge beim Assad Regime, was ein Eingreifen der Amerikaner rechtfertigen sollte. Heute wüssten wir, so Lüders, es war vermutlich ein Zusammenspiel von al-Nusra und dem türkischen Geheimdienst MIT. Can Dündar, der damals darüber berichtete, wurde wegen Staatsverrat angeklagt und lebt heute im Exil in Deutschland.

Lüders will nicht spekulieren. Er will weder ausschließen, dass der Angriff durch das Assad Regime erfolgte, noch will er es bestätigen. Aber ein bisschen mutiger, findet er, könnten wir Journalisten sein. Wir geben ihm Recht. (ah)

Fotos: Screenshots/ZDFMerken