Es menschelt - Jetzt ist ausgerechnet Kimmich das Symbol der neuen Lockerheit beim DFB

Auf einmal ist ausgerechnet Kimmich das Symbol der neuen Lockerheit beim DFB<span class="copyright">getty/Montage: FOL/dom</span>
Auf einmal ist ausgerechnet Kimmich das Symbol der neuen Lockerheit beim DFBgetty/Montage: FOL/dom

Joshua Kimmich ist gut drauf, lacht und scherzt. In diversen Video-Clips der Nationalmannschaft wird er zum heimlichen Star und gewinnt viele Sympathien. Während der EM zeigt er wieder den Menschen Kimmich und wird zum Gesicht der neuen Leichtigkeit beim DFB.

„Ich kann unmöglich seriös bleiben“, sagt David Raum schon beim Platznehmen auf der langgezogenen Tribüne im DFB-Camp in Herzogenaurach. Und seriös soll es auf der 35 Minuten langen Pressekonferenz mit ihm und Kollege Joshua Kimmich auch nicht zugehen. Sie scherzen und flachsen, mal beantwortet Raum eine an Kimmich gerichtete Frage, mal umgekehrt.

Nach dem Einzug ins EM-Viertelfinale (Freitag gegen Spanien) versprühen die Nationalspieler eine gewisse Leichtigkeit. Die Gruppenphase ist überstanden, das erste K.o.-Spiel überstanden, eine Euphorie im Land entfacht. Die DFB-Elf sorgt seit Wochen, nein, jetzt schon seit Monaten mehr für positive als negative Schlagzeilen - das gab es lange nicht mehr.

Klassenfahrt-Charakter beim DFB

Und das nicht nur auf dem Platz unter der Regie von Bundestrainer Julian Nagelsmann. Neben dem Feld scheint eine neue Kommunikationsstrategie zu greifen, von der Unnahbarkeit früherer Jahre ist nur noch wenig zu spüren, obwohl die Mannschaft im „Homeground“ hinter großen Barrikaden und von Sicherheitspersonal abgeschottet wird.

David Raum und Joshua Kimmich (v.l.) scherzen auf der Pressekonferenz<span class="copyright">Getty Images</span>
David Raum und Joshua Kimmich (v.l.) scherzen auf der PressekonferenzGetty Images

Dennoch gibt die Nationalmannschaft tiefe Einblicke ins Camp-Leben. In diversen Videos, die der DFB oder die Spieler selbst veröffentlichen, ist viel vom „Klassenfahrt“-Charakter zu sehen, den David Raum beschreibt: „Wir geben den Leuten ein bisschen die Chance, ins Camp reinzuschauen. Ich glaube, das ist eine lustige Art, sie an unserem täglichen Spaß teilhaben zu lassen. Ich habe öfter gelesen, dass es wie auf einer Klassenfahrt aussieht - und so fühlt es sich auch ein bisschen an. Für uns es einfach schön, den Leuten ein bisschen was zurückzugeben."

Kimmich wird zum Star der DFB-Clips

Einer scheint dabei zum heimlichen Star der Clips zu werden: Joshua Kimmich. Ob ein Sprung in voller Kleidung in den Swimmingpool, ob Kreuzworträtseln mit Robert Andrich, Gartenarbeit mit David Raum oder die private Bonsai-Pflege - der Bayern-Star ist Hauptprotagonist in den Clips.

Kimmich wird dabei zum Gesicht der neuen Lockerheit beim DFB – und er zeigt eine Seite von sich, die er in den vergangenen Jahren eher verborgen hielt: der Mensch Joshua Kimmich.

Einst war er ein gefeierter Shootingstar beim FC Bayern, der sich selbst abseits des Platzes nie zu ernst nahm. Auf dem Feld aber war er stets ein von Ehrgeiz Getriebener, gar Besessener, der mit seiner Art andere auch nerven konnte. Trotzdem war das allgemeine Bild des Nationalspielers Kimmich immer ein positives. Der Anführer einer neuen Generation.

Kimmich: Erst gefeiert, dann tief fallen gelassen

Das änderte sich mit der Corona-Zeit. Kimmich wollte sich nicht impfen lassen, er wurde dafür in der Öffentlichkeit scharf kritisiert. Als vermeintliches Vorbild sollte er doch eigentlich als Beispiel vorangehen, das wurde von allen Seiten gefordert. Als Anführer eben. Dann war er einer breiten Welle an Hass und Häme ausgesetzt.

Nach Außen hat sich Kimmich in dieser Phase stark verändert. Im Kontext Fußball lächelte er kaum, war verschlossen und unterkühlt. Plötzlich gab es nur noch das Bild des verkrampften Kimmich, der alles viel zu ernst nimmt.

Die sportliche Krise des deutschen Fußballs verlief dabei parallel zu seiner persönlichen Entwicklung. Als Gesicht der Mannschaft, als Anführer, wurde er schnell zum Symbol der Krise. Nun wurde er sogar noch sportlich angezweifelt.

Kimmich wurde zum Gesicht der Krise

Viele werteten Kimmichs Versetzung von seiner Lieblingsposition im zentralen Mittelfeld auf die Rechtsverteidigerposition als klares Signal, dass auch seine Trainer – erst Hansi Flick, dann Nachfolger Nagelsmann und auch Thomas Tuchel in München – an den sportlichen Fähigkeiten des 29-Jährigen zweifelten. Er stand nun buchstäblich nicht mehr im Mittelpunkt, nach außen verdrängt, seine Relevanz für das Spiel schwindend.

Vielleicht hat ihm gerade diese Veränderung gut getan, weg aus dem ständigen Blickfeld, entlastet von der großen Verantwortung, die ihn mehr und mehr zu erdrücken schien. Er selbst habe die neue Rolle nie als Degradierung empfunden, betonte er stets, und sich vorbildlich in den Dienst der Mannschaft gestellt.

Nach der Auswechslung von Ilkay Gündogan trug Kimmich am Samstag gegen Dänemark die Kapitänsbinde<span class="copyright">Getty Images</span>
Nach der Auswechslung von Ilkay Gündogan trug Kimmich am Samstag gegen Dänemark die KapitänsbindeGetty Images

Jetzt lächelt er wieder, auf der Pressekonferenz breiter denn je, wie es scheint. Klar, nach der sportlichen Renaissance mit dem Viertelfinaleinzug fällt das Lachen leichter. Aber auch persönlich hat Kimmich in den vergangenen Tagen mit Vielem aufgeräumt.

Kimmich zeigt wieder den Menschen Kimmich

In der ZDF-Doku „Joshua Kimmich: Anführer und Antreiber“ gibt der Nationalspieler tiefe Einblicke in sein Privatleben. In der Reportage wurde er eine lange Zeit begleitet, auch während der Pandemie. Es wird emotional, als der darüber spricht, wie sehr ihn die große Kritik getroffen hat.

Das Ziel dieser Doku war es, „auch mal den Menschen Joshua Kimmich zu zeigen“, wie er auf Nachfrage von FOCUS online erklärt. „Ich habe versucht, den Leuten ein Gefühl zu geben, wer ich bin, wie ich bin. Die Reaktionen aus meinem Umfeld waren sehr positiv“, erzählt er weiter.

Sonst werde er ja nur auf dem Platz als Fußballer wahrgenommen, und am Mikrofon, „wo man auch immer etwas aufpassen muss, was man sagt“, erklärt Kimmich. In den letzten Jahren wirkte er immer sehr vorsichtig, als vermute er hinter jede Frage eines Journalisten eine böse Absicht. Nun ist er gelöster, scherzt, ist schlagfertig, gibt mehr von sich preis.

„Ich glaube, wir werden im Sommer heiraten“, kontert ein lachender Kimmich, als Raum von Beziehung zwischen den beiden erzählt, „wir haben einen Heidenspaß zusammen. Wir haben extrem viel Spaß am Leben, sind sehr ehrgeizig. Ich habe Joshua hier ein paarmal hier beobachtet, als seine Kinder hier waren. Man kann sich eine Riesen-Scheibe davon abschneiden, wie er sein Familienleben gestaltet.“

DFB gibt positives Bild ab - und Kimmich lacht wieder

Die Pressekonferenz mit den beiden fügt sich in die neue Außendarstellung der Nationalmannschaft ein. Das war bereits bei den Auftritten von Jamal Musiala und Florian Wirtz und bei Scherzkanone Denz Undav der Fall. Selbst Manuel Neuer war selten so flapsig.

Eine neue Lockerheit beim DFB, sie hatte sich im bereits im Vorfeld mit bewussten Maßnahmen in der Öffentlichkeit angedeutet. Nun steht das Team erstmals seit der EM 2016 wieder in einem Viertelfinale, da fällt einiges leichter. Dass aber ausgerechnet Kimmich das Gesicht der wiedergewonnenen Leichtigkeit ist, hätte niemand erwartet. Es ist schön zu beobachten, ihn wieder so breit grinsen zu sehen.

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