Merkel zu Chemnitz: Für Hass ist auf unseren Straßen kein Platz

Rechte Demonstranten zünden am Montagabend in Chemnitz Pyrotechnik (Bild: dpa)
Rechte Demonstranten zünden am Montagabend in Chemnitz Pyrotechnik (Bild: dpa)

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach den erneuten Protesten in Chemnitz bekräftigt, in einem Rechtsstaat sei kein Platz für Hetzjagden auf Ausländer. Die Kanzlerin sagte am Dienstag in Berlin: “Wir haben Videoaufnahmen darüber, dass es Hetzjagden gab, dass es Zusammenrottungen gab, dass es Hass auf der Straße gab, und das hat mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun.” Sie fügte hinzu: “Es darf auf keinem Platz und keiner Straße zu solchen Ausschreitungen kommen.”

Am Rande eines Stadtfestes in Chemnitz war am Wochenende ein 35 Jahre alter Deutscher durch Messerstiche getötet worden. Als Tatverdächtige gelten ein Syrer und ein Iraker. Am Sonntag zogen rechte Demonstranten durch die Stadt, von denen einige ausländische Passanten attackierten. Am Montagabend wurden bei neuen Protesten rechter und linker Demonstranten nach Angaben der Polizei 20 Menschen verletzt, darunter zwei Polizisten.

Merkel sprach den Angehörigen des Getöteten ihr Mitgefühl aus. Auf die Frage, ob die sächsische Polizei die Lage in Chemnitz noch im Griff habe, antwortete sie: “Die Polizei hat dort natürlich alles unternommen, um die Dinge vernünftig zu Ende zu bringen, noch mehr Gewalt zu verhindern.” Es sei aber gut, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dem Freistaat Sachsen jetzt Unterstützung angeboten habe, “um Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten und die Gesetze einzuhalten”.

Seehofer hatte zuvor die Gewalt auf den Straßen von Chemnitz als Antwort auf die tödliche Gewalt bei einem Stadtfest verurteilt. Seehofer erklärte am Dienstag: “Mein tiefes Mitgefühl gilt den Angehörigen des Opfers der Messerattacke. Ich bedauere diesen Todesfall zutiefst.” Die Betroffenheit der Bevölkerung darüber sei verständlich. “Aber ich will auch ganz deutlich sagen, dass dies unter keinen Umständen den Aufruf zu Gewalt oder gewalttätige Ausschreitungen rechtfertigt”, fügte er hinzu. Dafür sei in einem Rechtsstaat kein Platz.

Die sächsische Polizei sei in einer schwierigen Situation, sagte Seehofer. Sie könne, falls gewünscht, vom Bund Hilfe in Form von “polizeilichen Unterstützungsmaßnahmen” erhalten.

Steinmeier: Erschütterung wurde missbraucht

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die rechtsextremen und ausländerfeindlichen Übergriffe in Chemnitz scharf verurteilt. Er telefonierte am Dienstag mit der Oberbürgermeisterin der Stadt, Barbara Ludwig, und dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. Danach sagte er, er teile die Trauer über den Tod eines Chemnitzer Bürgers. “Aber die Erschütterung über diese Gewalttat wurde missbraucht, um Ausländerhass und Gewalt auf die Straßen der Stadt zu tragen.”

Gewalt müsse geahndet werden, sagte Steinmeier weiter, egal von wem sie ausgehe, tätliche Angriffe ebenso wie Volksverhetzung. Alle Menschen in Deutschland müssten darauf vertrauen können, dass Polizei und Justiz entschlossen handelten und keine Rechtsbrüche zuließen.

“Der Staat – und allein der Staat – sorgt in diesem Land für Recht und Sicherheit. Aber die Bürger – wir alle – sorgen für den gesellschaftlichen Frieden”, betonte Steinmeier. Wer Sicherheit und gesellschaftlichen Frieden wolle, dürfe nicht “selbst ernannten Rächern” hinterherlaufen. “Lassen wir uns nicht einschüchtern von pöbelnden und prügelnden Hooligans. Lassen wir nicht zu, dass unsere Städte zum Schauplatz von Hetzaktionen werden. Hass darf nirgendwo freie Bahn haben in unserem Land.”

Maas sieht Ansehen Deutschlands in Gefahr

Außenminister Heiko Maas (SPD) hat zur Verteidigung demokratischer Werte in Chemnitz und weltweit aufgerufen. “Rechtsextremismus ist nicht nur eine Bedrohung von Menschen anderer Herkunft, sondern eine Gefährdung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaften”, sagte er am Dienstag in Berlin. “Wir müssen alles tun, um Menschenwürde, Demokratie und Freiheit zu verteidigen, nicht nur in Chemnitz, sondern überall auf der Welt.”

Maas nannte die Ausschreitungen “unerträglich”. Die Bilder würden auch im Ausland betrachtet, sagte der SPD-Politiker nach einem Treffen mit dem irischen Außenminister Simon Coveney. Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland sei für ein weltoffenes und tolerantes Land, in dem die Menschen sich mit Respekt begegneten. Bedauerlicherweise aber gebe es auch andere. “Es ist schrecklich zu sehen, was diejenigen in der Lage sind, anzurichten.” Dies schade dem Ansehen Deutschlands im Ausland.

Genau vor 55 Jahren habe der amerikanischen Bürgerrechtler Martin Luther King seine berühmte Rede über den Traum von Gleichberechtigung aller Menschen gehalten, sagte Maas. “Solange radikale Hetzjagden veranstaltet werden, haben wir noch viel zu tun, damit der Traum von Gleichberechtigung Wirklichkeit wird.”

Grüne geben Sachsens Regierung Mitschuld

Aus Sicht von Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter trägt die sächsische Landesregierung aus CDU und SPD eine Mitverantwortung für die Ausschreitungen. “Dass uns solche Bilder jetzt ausgerechnet wieder aus Sachsen erreichen zeigt: hier wurde und wird der Kampf gegen Rechts von der Landesregierung viel zu lange vernachlässigt”, teilte Hofreiter mit. “Sie hat dort völlig versagt”, erklärte er. “Es ist schrecklich, dass am Sonntagmorgen ein Mensch getötet wurde”, sagte Hofreiter. Die Verfolgung von Straftaten obliege jedoch allein den Strafverfolgungsbehörden und der Justiz. “Es kann nicht sein, dass nach Wild-West-Manier Selbstjustiz geübt wird. Das kann ein Rechtsstaat nicht hinnehmen.”

Die rechten Demonstranten versammelten sich am Montag am Karl-Marx-Monument (Bild: dpa)
Die rechten Demonstranten versammelten sich am Montag am Karl-Marx-Monument (Bild: dpa)

Die Grünen im sächsischen Landtag haben eine Sondersitzung des Innenausschusses in dieser Woche beantragt. Man fordere schnellstmögliche Aufklärung, sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Valentin Lippmann. “Ich will insbesondere wissen, warum es der Polizei trotz erkennbarer Mobilisierung der rechten Szene über zwei Tage nicht gelungen ist, mit ausreichend Kräften vor Ort zu sein und das Einsatzgeschehen zu bestimmen sowie Straftaten zu ahnden.”

Weiter sagte er: “Wir haben wie schon in Heidenau 2015 Bilder gesehen, die Zweifel daran wecken, ob in Sachsen jederzeit − auch in schwierigen Situationen − das Gewaltmonopol des Staates durchgesetzt werden kann.” Er erwarte von der gesamten Staatsregierung eine klare Haltung “gegen die rechtsextremen, menschenverachtenden und gewalttätigen Bestrebungen in Sachsen”.

Linke attackiert Sachsen-CDU und AfD

Die Linke im Bund wirft der sächsischen CDU vor, das Problem des Rechtsextremismus im Freistaat verharmlost zu haben. “In Chemnitz zeigte sich dieser Tage, wohin die jahrzehntelange Beschwichtigungspolitik der sächsischen CDU gegenüber Neonazis und rassistischer Gewalt führt: es wurde Jagd auf Menschen gemacht, Journalisten mussten ihre Arbeit in Chemnitz abbrechen, weil sie um Leib und Leben fürchteten, bei Aufmärschen von rechten Kameradschaften wurde massenweise der Hitlergruß gezeigt und die Polizei war überfordert”, kritisierten die Linke-Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger.

“Diese Beschwichtigungspolitik muss beendet werden. Das Versagen der politisch Verantwortlichen in der Staatsregierung muss personelle Konsequenzen haben”, forderten die Parteichefs. In Chemnitz zeige sich auch, dass die AfD der Parlamentarische Arm der Neonazis sei, die auf den Straßen eine pogromartige Stimmung schafften. Die sächsische Landesregierung sei nun mehr denn je gefragt, Haltung zu zeigen.

FDP fordert Aufklärung

Die FDP fordert eine politische Aufklärung der Auseinandersetzungen in Chemnitz. “Die Wahrung der Grundrechte, insbesondere auf Leib und Leben und das Gewaltmonopol des Staates, müssen jederzeit und überall gelten und durchgesetzt werden”, erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, am Dienstag in Berlin.

Buschmann verwies auf Kritik der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Der GdP-Bundesvorsitzende Oliver Malchow hatte erklärt, eigentlich müsse für Einsätze wie in Chemnitz “mehrere hundert Kollegen” in Reserve bereitstehen. “Das ist heutzutage vollkommen unrealistisch”, sagte Malchow. Buschmann verlangte mit Blick auf die dünne Personaldecke der Polizei bei den Ereignissen in Chemnitz: “Das muss man politisch nachbereiten.”

Gleichwohl dürfe es keine Pauschalkritik an der Stadt oder dem Bundesland geben, so Buschmann. “Wer jetzt ganz Chemnitz oder gar ganz Sachsen in einen Topf mit diesen rechten Rattenfängern packen möchte, der benimmt sich am Ende wie die Rechten selbst, die behaupten, fälschlicherweise, dass alle Ausländer kriminell sind.”