"Mir wird angst und bange": ZDF-Doku stellt deutschem Fußball düstere Prognose
Die Heim-EM mag für Euphorie sorgen, die Probleme im deutschen Fußball sind aber unübersehbar. Vor allem die Nachwuchsförderung ist eine große Herausforderung, wie eine ZDF-Doku nun offenbart. "Meilenweit entfernt" sei man von den Erfolgen alter Tage, warnt ein Drittliga-Boss.
Nur eine Mandelentzündung verhinderte das DFB-Debüt von Aleksandar Pavlović im vergangenen März. Er ist einer der wenigen Lichtblicke im deutschen Nachwuchsfußball, einer der von klein auf beim FC Bayern trainierte und es bis in die Profimannschaft geschafft hat. Insgesamt aber ist der Mittelfeldmann eine echte Ausnahmeerscheinung in der Kickerlandschaft, die hierzulande unter einer veritablen Nachwuchskrise leidet. Warum das so ist und was sich in Zukunft ändern muss, eruieren Lili Engels und Mario Kottkamp in ihrer "sportstudio reportage" unter dem Titel "Keine Talente, keine Titel - Deutscher Fußball-Nachwuchs in der Krise".
"Wir sind in den letzten zehn Jahren sukzessive schlechter geworden, was die Anzahl der Spitzenspieler angeht", befindet Ralf Lanwehr, der mit Ex-Bundesligatrainer Alexander Nouri eine Langzeitstudie zum Thema leitet. Andere europäische Länder schneiden in der Durchlässigkeit von Nachwuchsspielern um bis zu 400 Prozent besser ab - eine besorgniserregende Zahl. Im Ausland, so Nouris Überzeugung, fördert eine Vielzahl an Karrierepfaden die Spielerentwicklung, während in Deutschland (noch) zu eindimensional gedacht wird.
DFB-Mann Hannes Wolf fordert Rückbesinnung auf alte Methoden
Trainingsformen, Nachwuchsstrukturen und die Bedeutung individueller Klasse: Viel muss sich ändern im deutschen Fußball, das haben auch Hannes Wolf und Hanno Balitsch beim DFB erkannt. "Die 2014er-Weltmeister sind groß geworden ohne Videoanalyse in der Jugend", fordert Wolf eine Rückbesinnung auf alte Methoden. Hermann Gerland, der beim FC Bayern Stars wie Bastian Schweinsteiger entdeckte und förderte, betont in der ZDF-Doku: "Der Erfolg des Einzelnen ist wichtiger als der Erfolg der Mannschaft."
Abseits taktischer und trainingsphilosophischer Inhalte krankt die Nachwuchsförderung im deutschen Fußball aber auch schlicht an den fehlenden Einsatzmöglichkeiten in den Profiligen. Deutsche U21-Profis spulen im Verhältnis zu England oder Frankreich viel weniger Einsatzminuten ab, in der eigentlich gedachten Ausbildungsliga, der 3. Liga, setzen Klubs ob verbreiteter Existenzängste lieber auf etablierte Spieler, und viele Profivereine haben ihre zweite Mannschaft vom Spielbetrieb abgemeldet.
"Mir wird angst und bange, wenn ich an die nächsten zehn Jahre denke. Wir müssen es wirtschaftlich lösen", warnt Manfred Schwabl, Präsident der SpVgg Unterhaching. In der ZDF-Doku findet er unmissverständliche Worte: "Wenn man Milliarden umdreht im Fußball und nicht ein Prozent für den deutschen Nachwuchs da ist, brauchen wir uns nicht wundern, dass nichts vorwärtsgeht und wir der Musik europäisch hinterherlaufen." Von einstigen Erfolgen habe man sich in den letzten Jahren "meilenweit entfernt".
Zuletzt wurden Gerüchte über eine mögliche Kooperation von Schwabls Hachingern mit dem FC Bayern München publik. Ob daraus etwas wird und ob es zu Erfolgen in der Nachwuchsförderung führen kann, ist ungewiss.
Nachwuchsschmiede von Benfica Lissabon zeigt, wie es gehen kann
Wie es gehen kann, offenbart in der "sportstudio reportage" ein Blick über den deutschen Tellerrand hinaus. Benfica Lissabon genießt seit Jahren einen herausragenden Ruf in der Jugendförderung. Spieler wie António Silva und João Neves werden aktuell als Supertalente gehandelt. Sie sind Paradebeispiele der Klubphilosophie, jede Saison mindestens zwei Spieler aus dem eigenen Nachwuchs in die Profimannschaft zu integrieren. "Technik ist König", erklärt Campusleiter Pedro Mil-Homens vor der ZDF-Kamera: "Die Mannschaft ist nur ein Instrument, um die Spieler zu entwickeln."
Doch zur Erfolgsgeschichte tragen noch einige andere Faktoren bei: Talentcenter in ganz Portugal, wo junge Fußballer in ihrem gewohnten Umfeld bleiben können, aber bestmöglich für die Benfica-Schule vorbereitet werden, ein "multisportiver Ansatz" für allgemeines Bewegungstalent und eine enorme Spielerbreite im Zwischenbereich zwischen Jugend- und Profisektion.
Bis Ähnliches in Deutschland erreicht wird, vergeht wohl noch einige Zeit, so lautet das gemischte Fazit des ZDF-Films. Aktuell landen Zwölfjährige laut DFB mit einer Wahrscheinlichkeit von höchstens 0,1 Prozent im Profifußball - ein verschwindend geringer Anteil. Um langfristig etwas daran zu ändern, brauche es laut Ralf Lanwehr eine "Kulturtransformation" - und "in der Wirtschaft dauert so etwas fünf bis acht Jahre". Keine allzu rosigen Aussichten.