„Mir reicht es“: Claudia Roth fordert Geschlossenheit gegen die AfD

Wird auf Facebook massiv angegriffen: Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth. (Bild: Getty Images)
Wird auf Facebook massiv angegriffen: Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth. (Bild: Getty Images)

Seit sie während einer Bundestagssitzung einem AfD-Abgeordneten das Wort entzog, berichtet Claudia Roth von einer Flut von Hassnachrichten auf Facebook. In einem Statement auf ihrer Webseite erklärt die Grünen-Politikerin nun ihr Vorgehen – und zerpflückt die Methoden der AfD.

Mit emotionalen Worten hat sich Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth auf ihrer Webseite an die Öffentlichkeit gewandt. Die 63-Jährige hat laut „Spiegel Online“ in den vergangenen Tagen rund 11.800 Hasskommentare auf Facebook erhalten, nachdem sie am 8. Juni dem AfD-Politiker Thomas Seitz im Bundestag untersagt hatte, eigenmächtig eine Schweigeminute für die ermordete Susanna F. zu erzwingen.

Über ihre Aktion und die Reaktionen darauf schreibt Roth nun: „Ich kann nachvollziehen, dass dieses Vorgehen vielen Menschen auf den ersten Blick unverständlich erscheint.“ Roth erklärt deshalb in ihrem Schreiben, unter welchen Umständen eine Schweigeminute im Bundestag abgehalten werden darf und welche Regeln eingehalten werden müssen, damit Debatten nicht aus dem Ruder laufen und Sitzungen nicht im Chaos enden.

Im Falle einer Schweigeminute, so Roth, gilt es, ein bestimmtes Prozedere zu befolgen: „Wer ein Gedenken anberaumen will, schlägt das den anderen Fraktionen zunächst einmal vor. Gemeinsam wird dann besprochen, ob es angemessen erscheint, des einen Anlasses zu gedenken, eines anderen aber nicht. Das ist eine extrem schwierige Abwägung, die fraktionsübergreifend erfolgen muss, nicht im Alleingang. Entscheiden sich die Fraktionen dafür, wird das Gedenken von der Sitzungsleitung eingeleitet, nicht von einzelnen Abgeordneten.“

Zur Überrumpel-Taktik der AfD hat Roth daher eine klare Meinung: „Da die Fraktion der AfD die Geschäftsordnung und die Gepflogenheiten des Bundestages kennt, ist davon auszugehen, dass dies bewusst geschah. Das legt den Schluss nahe, dass hier mit voller Absicht gegen die Geschäftsordnung und die im Bundestag üblichen Verfahren verstoßen wurde, um ein fürchterliches Verbrechen für politische Zwecke zu missbrauchen und die Würde des Bundestages zu beschädigen.“

Abgeordnete der AfD-Fraktion im Bundestag werden regelmäßig für ihr Verhalten gemaßregelt. (Bild: AP Photos)
Abgeordnete der AfD-Fraktion im Bundestag werden regelmäßig für ihr Verhalten gemaßregelt. (Bild: AP Photos)

In rechten und völkischen Blogs wird Roth Doppelmoral vorgeworfen. Der Vorwurf: Im Jahr 2015 habe Roth im Bundestag selbst eine Schweigeminute eingeleitet – und zwar für 800 im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge. Dies, so Roth nun in ihrer Erklärung, sei allerdings regelkonform gewesen: „Bei der Schweigeminute aus dem Jahr 2015 waren alle oben genannten Regeln beachtet worden. Das Gedenken fand zu Beginn eines vereinbarten Tagesordnungspunktes zur Flüchtlingspolitik statt, und selbstverständlich war vorab fraktionsübergreifend beschlossen worden, dass die Gedenkminute erfolgen würde – und unter welchen Umständen.“

Die Grünen-Politikerin zieht aus dem aktuellen Vorfall einen eindeutigen Schluss: „Was die AfD in Deutschland vorhat, hat nichts mit politischem Austausch oder demokratischer Debattenkultur zu tun, mit ‚besorgten Bürgern‘ oder Protest. Was die AfD tagtäglich vorantreibt, ist die totale Entgrenzung von Sprache, die zügellose Verächtlichmachung von Demokratie, ist Geschichtsrevisionismus und rassistisch-sexistischer Hass auf Andersdenkende. Und im vorliegenden Fall war es sogar der sprichwörtliche Versuch, alle zum Schweigen zu bringen.“

Diese Entgrenzung von Sprache, der gelebte Hass – dies musste Roth nun laut eigener Aussage zum wiederholten Male ganz persönlich erfahren. Die Politikerin zitiert aus einem an sie gerichteten Drohschreiben: „Dich Vieh werden wir an Klavierdraht am Fleischerhaken hängen“, heißt es da.

Roth glaube nicht daran, dass man nur warten müsse, bis die AfD sich selbst entzaubere. „Mir reicht es“, schreibt sie am Ende ihres Statements. „Vielen in Deutschland reicht es. Und deshalb ist es an der Zeit, dass wir uns zusammentun und konsequent dagegenhalten – über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg, wenigstens in dieser Sache.“

Am gestrigen Donnerstag, sechs Tage nach der ungeplanten Schweigeminute, wurde der AfD-Abgeordnete Thomas Seitz von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble gemaßregelt. In der Begründung hieß es: „Ein einzelner Abgeordneter darf den Bundestag nicht durch einen eigenmächtigen Aufruf zu einer Schweigeminute für seine Zwecke vereinnahmen.“