Mord an Frauke Liebs: Warum übernehmen Sie diesen Fall, Herr von Alvensleben?

Vor einem Jahr hat der Anwalt die Vertretung von Frauke Liebs' Familie in dem ungelösten Mordfall übernommen. (Bild: privat)
Vor einem Jahr hat der Anwalt die Vertretung von Frauke Liebs' Familie in dem ungelösten Mordfall übernommen. (Bild: privat)

Rechtsanwalt Roman von Alvensleben vertritt seit Mai 2021 die Mutter von Frauke Liebs – 15 Jahre nach dem Mord. Dieser Fall könne gelöst werden, sagt er. Und der Advokat setzt auf Hinweisgeber, die sich bisher nicht zeigten.

Herr von Alvensleben, warum haben Sie die Vertretung von Frau Liebs übernommen?

Roman von Alvensleben: Ich war zum Fall interviewt worden, so wurde Frau Liebs auf mich aufmerksam. Mich hatte überrascht, dass die vorherigen Anwälte für Frau Liebs nicht Akteneinsicht beantragt hatten. Da muss man halt hartnäckig sein. Ihr Schicksal berührte mich sehr, ich habe auch eine Tochter. Bei unseren Treffen stellte sich rasch eine Vertrauensbasis ein – und nun arbeiten wir zusammen.

Warum halten Sie es für wichtig, dass Frau Liebs Zugang zu Ermittlungsergebnissen erhält?

Sie kennt das gesamte Umfeld ihrer Tochter, die Freunde – einzelne Umstände. Sie hatte als eine der letzten Frauke lebend gesehen und wusste, was sie am Tag ihres Verschwindens gemacht hatte. Das macht sie zu einer wichtigen Person, weil sie eventuell gewisse Informationen viel besser deuten kann und neue Zusammenhänge knüpfen kann. Da sollte man sie nicht beiseite schieben.

Wie ist die Situation jetzt?

Im Februar habe ich mich mit der Staatsanwaltschaft darauf verständigt, dass sie im März oder April vernommen wird. Nun haben wir schon Mai.

Für wie realistisch schätzen Sie es ein, dass man finden wird, wer für den Tod ihrer Tochter verantwortlich ist?

Ich halte es für realistisch. Wenn Sie eine Skala von Eins bis Zehn nehmen, bin ich bei Drei bis Fünf. Natürlich liegt es immer weiter zurück, und die Leiche wurde in einem weniger aufschlussreichen Zustand gefunden. Aber es ist nach wie vor möglich, dass sich bisher Menschen nicht gemeldet haben, die etwas über das Verschwinden von Frauke wissen – weil sie Strafverfolgung befürchten. Und wenn in der Öffentlichkeit darüber aufgeklärt wird, dass dem nicht mehr so ist…

inwiefern?

Wir müssen zwischen Mitwisserschaft und Mittäterschaft unterscheiden. Denn ersteres ist nach fünf Jahren verjährt. Eine Beihilfe, eine konkrete Unterstützungsleistung bleibt natürlich noch strafbar. Aber wenn man schlicht eine Information mit sich seit Jahren herumträgt, die bei der Ermittlung hätte helfen können – dann könnte man damit nun frei heraus, ohne den Staatsanwalt zu fürchten.

Wie könnte sowas konkret aussehen?

Wenn zum Beispiel jemand ein Haus, eine Wohnung zur Verfügung stellte, ohne zu wissen wofür; oder etwas mitkriegte, ohne sich einen Reim draus machen zu können. Oder es gab ja nach Fraukes Verschwinden ein Bewegungsmuster mit ihrem Handy – vielleicht hat jemand geholfen, ohne zu ahnen, was überhaupt geschehen war. Für eine Mittäterschaft muss man eine Kenntnis haben. Wer nachträglich etwas erfährt, ist jetzt nicht strafbar.

Diese Hinweise könnten zur Aufklärung des Falles beitragen.
Diese Hinweise könnten zur Aufklärung des Falles beitragen. (Grafik: Martin Lukas / Yahoo)

Wird es schwieriger, eine Straftat aufzuklären, je länger sie zurückliegt?

Früher ist man immer davon ausgegangen. Aber die Erkenntnisse in der DNA-Forschung zum Beispiel schreiten immer weiter voran. Aus wissenschaftlicher Sicht also wird es leichter. Inwiefern das auch für diesen Fall zählt, kann ich nicht sagen, wir haben ja nur die Hauptakte und kennen keine Umrisse der Erkenntnisse. Nach Abschluss der Ermittlungen wird ja Akteneinsicht gewährt. Nur sind sie das eben nicht. Frau Liebs sollte nun als Zeugin vernommen werden und am Ermittlungsverfahren beteiligt werden – sie weiß am meisten über ihre Tochter. Es war ein inniges Verhältnis zwischen den beiden.

Was sind die Besonderheiten im Fall?

Nach dem Fußballspiel in der Kneipe wollte Frauke zu Fuß nachhause gehen, der Weg war nicht lang. Falls sie in ein Auto gestiegen sein sollte, also aus freien Stücken, dann muss es jemand gewesen sein, den sie kannte. Frauke war aufgeschlossen, aber niemand, der sich einfach mal so bei wildfremden Leuten ins Auto setzt. Oder es war jemand, der irgendwie um Hilfe gebeten hat – aber dann hätte Frauke Hilfe geholt. Die Frage ist also, ob es jemand aus dem erweiterten Umfeld war. Dann könnte vielleicht auch ihre Mutter diese Person kennen.

Was fiel Ihnen beim Fall bisher noch auf?

Ein kleines Kreuz ist bei der Ermordeten gefunden worden, das bisher nicht zugeordnet werden konnte. Vielleicht hat der Täter doch ein Gewissen? Er scheint kein Serienmörder zu sein.

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Sehen Sie Versäumnisse bei der Polizei?

Sie ermittelt. Aber es gibt strukturelle Probleme. Frau Liebs hatte damals sofort die richtige Ahnung und erstatte zwei Tage nach dem Verschwinden ihrer Tochter Anzeige. Doch die Ermittlungen begannen zu spät, Frau Liebs wurde zunächst wieder weggeschickt. Auch die Auswertung von Funkzellen kam recht spät – in Deutschland muss immer erst etwas passieren, bevor die Ermittlungsbehörden tätig werden. Die Mutter hatte das richtige Gefühl, und wenn man sofort losgelegt hätte, hätte man mit den versandten SMS mehr anstellen können, die Orte zum Beispiel rasch auf Auffälligkeiten hin untersuchen können.

Und nun macht die Mutter wieder auf sich aufmerksam…

…es gab einmal in Hannover den Fall einer Frau, die gestalkt worden ist. Die erhielt manchmal nachts 20 bis 40 Anrufe und erstattete Anzeige. Richtig aktiv aber wurde die Polizei nicht. Dann versteckte sich der Mann in ihrer Wohnung und brachte sie auf bestialische Weise um.

Man kann ja nicht an jeder Ecke einen Polizisten aufstellen.

Aber man kann alles reinschieben, was geht. Die Dinge beiseitelegen ist immer schlechter als proaktiv voranzugehen.

Wie viele Ermittler arbeiten gerade am Fall Liebs?

Ich höre immer wieder nur einen Namen. Vielleicht sind es auch mehr, aber ich glaube: Wenn, dann werden sie vorrangig für aktuelle Arbeiten abgezogen. Ein Problem ist auch, dass es seit 2006 drei unterschiedliche Staatsanwälte gab, die sich damit befassten. Der ursprüngliche Ermittler ist auch schon pensioniert. Es müssen sich also immer wieder Leute neu einarbeiten. Wir reden hier von tausenden Akten, es gibt allein 700 Spurenakten. Das alles zu lesen, ist ein riesiger Aufwand. Es bräuchte ein Team.

Wie schätzen Sie die Medien ein – haben die bei der Berichterstattung über diesen Fall alles richtig gemacht?

Seitdem ich dabei bin, glaube ich schon, dass die Medien versuchen, auf der Seite der Verletzten zu stehen; ich will das Wort "Opfer" vermeiden. Und sie versuchten, alle erdenklichen Ansätze zu finden, die zur Aufklärung beitragen, damit man auf den Täter kommt. Ich glaube schon, dass er noch lebt. Medien spielen eine wichtige Rolle. Ich war Anwalt der Nebenklage im Fall Lüdge, wo 31 Mädchen und Jungen auf einem Campingplatz über Jahre hinweg durch sexuellen Missbrauch schwer verletzt wurden. Ohne die Medien wäre dieser Fall im Keim erstickt.

Worauf haben Journalisten zu achten?

Es sollte keine Sensationsberichterstattung geben, sondern die nötige Sensibilität. Und es macht Sinn, immer wieder den Aufruf zu starten: Wer weiß was? Meldet euch! Auch ist die Arbeit der Polizei konstruktiv kritisch zu beäugen. Immerhin ist wahrscheinlich ein Mörder unter uns, seit Jahren unbehelligt. Das ist ein Fall, an dem massiv zu arbeiten ist und der als Hauptthema anzusehen ist.

Was könnte den Ermittlungen eine neue Wendung geben?

Wenn Frau Liebs aktiv an den Ermittlungen beteiligt würde. Manchmal sind es Details, die selbst nach sorgfältiger Prüfung völlig belanglos erscheinen und dann doch eine brisante Information in sich verstecken. Zuweilen führen scheinbar oberflächliche Dinge zum Täter. Man würde im Fall Liebs dadurch eine Zeugin verlieren, aber vielleicht eine Spur gewinnen. Ich würde das Risiko eingehen. Sie ist aus meiner Sicht die denkbar beste Profilerin in diesem Fall.

Ist das denn rechtlich möglich? Die Strafprozessordnung sieht sowas nicht vor.

Wo ein Wille, da ein Weg. Ungewöhnlich wäre sowas, aber nicht verboten. Sie könnte dann später, in einem eventuellen Prozess, nicht mehr Nebenklägerin sein, aber das könnte auch die Schwester oder der Mann übernehmen. Die Frage ist: Wollen wir lieber einen Mörder frei herumlaufen lassen oder wollen wir lieber wissen, was geschehen ist?

Sachdienliche Hinweise an das Polizeipräsidium Bielefeld: 0521/545-0 e-mail: Poststelle.Bielefeld@polizei.nrw.de oder an Fraukes Mutter Ingrid Liebs: www.frauke-liebs.de.

Für Hinweise, die zur Ergreifung und zur rechtskräftigen Verurteilung des Täters führen, ist eine Belohnung von insgesamt 30.000€ ausgesetzt. Sämtliche Hinweise können auf Wunsch vertraulich angenommen werden, Sie können anonym bleiben. Jede Beobachtung kann wichtig sein.