Mugshot, Fingerabdrücke, Handschellen? Was Trump bei der Anklageverlesung erwartet
Das hat es noch nie gegeben: Ein ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika muss vor Gericht erscheinen - und wird angeklagt. Warum die Aufregung? Ist das so erstaunlich, nach allem, was man in den vergangenen Jahren von dem Milliardär, Businessmann, Medienmogul und Präsidenten gehört hat?
Wir fassen zusammen, was man über Trumps "Indictment" (wörtlich übersetzt: Anklageschrift) wissen muss.
Was sind die neuesten Informationen?
Trump ist von seinem Wohnsitz Mar-a-Lago in Florida nach New York gereist. Dort wird die Anklageschrift gegen ihn verlesen, nachdem eine Jury in der vergangenen Woche entschied, dass es ausreichend Belastungen gibt, um Trump anzuklagen.
Wie US-Medien berichten hat sich parallel zu dieser Anklageerhebung ein neuer Anwalt Trumps Verteidigungsteam angeschlossen. Todd Blanche ist ein sogenannter "white-collar" Anwalt und als solcher Experte für Wirtschaftskriminalität.
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"Politisch verfolgt": Donald Trump "schockiert" über Anklage gegen ihn
Nach Informationen von CNN wird Trump bevor er in das Gerichtsgebäude geht, vor Medienvertretern ein kurzes Statement machen - obwohl seine Anwälte davon abgeraten haben.
Nach dem Gerichtstermin und seiner Rückkehr nach Florida will der Republikaner dann eine ausführliche Stellungnahme - im Ballsaal von seinem Anwesen - geben.
Was passiert heute, was werden wir heute erfahren?
Bei der Verlesung der Anklageschrift werden die detaillierten strafrechtlichen Vorwürfe gegen Trump dargelegt. Bisher konnten Rechtsexpert:innen hier nur spekulieren, als relativ sicher gilt jedoch, dass es bei dem Hauptanklagepunkt um die Zahlung von Schweigegeld an die Pornodarstellerin Stormy Daniels gehen.
Der Ex-Präsident wird die sechs Kilometer von seinem Wolkenkratzer Trump Tower zum Strafgerichtshof von Manhattan fahren, dort soll er um 20.15 Uhr MEZ (14.15 Uhr New Yorker Zeit) vor dem Richter erscheinen.
Es gilt als unwahrscheinlich, dass er bei seiner Ankunft im Gericht gefilmt wird. Das Gerichtsgebäude hat nach Informationen der Nachrichtenagentur AP unterirdische Eingänge, Seiteneingänge und Tunnel, durch die er gehen könnte.
Trump wird nicht in Handschellen geführt werden (was in den USA "perp walk" genannt wird), weil er mit dem Richter ein Auslieferungsabkommen getroffen hat und nicht von der Polizei zur Anklage begleitet wird, sondern sich direkt dem Gericht ausliefert.
Bevor er dem Richter vorgeführt wird, steht für den Ex-Präsidenten allerdings eine Reihe Formalitäten an. Gerichtsbeamte werden seinen vollständigen Namen, Alter, Geburtsdatum, Größe und Gewicht notieren.
Es wird geprüft, ob gegen den ehemaligen Präsidenten ein Haftbefehl vorliegt. Dann werden seine Fingerabdrücke genommen. Möglicherweise wird in diesem Zug auch das berüchtigte "Mugshot"-Porträt von Trump gemacht.
Zu diesem Zeit gilt Trump technisch gesehen als "festgenommen".
Anders als viele denken, zeigen diese Fotos nicht verurteilte Schwerverbrecher, sondern gehören zur Routine bei einer Festnahme in den USA. In New York City werden die Aufnahmen normalerweise nicht veröffentlicht. Es könnte allerdings geleakt werden...
Was wird Trump genau vorgeworfen?
Die Ermittlungen in dem Fall dauern bereits seit fünf Jahren an. Der Generalstaatsanwalt von New York, Alvon Bragg, entschied schließlich, dass genug Informationen gesammelt wurden, um eine Jury entscheiden zu lassen, ob Trump anklagt werden soll.
Rechtlich gesehen dürfte das sogenannte "hush money" (Schweigegeld) Trump nicht zum Verhängnis werden, denn solche Zahlungen sind in den USA nicht verboten. Der Verdacht ist, dass durch diese Zahlung von 130.000 US-Dollar Wahlkampfmittel veruntreut wurden.
Das Schweigegeld an die Pornodarstellerin Stormy Daniels, die behauptet mit Trump Sex 2006 gehabt zu haben sollte sie davon abhalten, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Zu der Zahlung kam es im Jahr 2016 durch Trumps Anwalt - auf dem Höhepunkt der Präsidentschaftskampagne, die Trump gegen Hillary Clinton gewann.
Schweigegeldzahlung ist an sich zwar nicht illegal, doch was Trump in Schwierigkeiten gebracht hat, ist die Art und Weise, wie die Erstattung von Cohen in seinen Abrechnungen verbucht wurde. Ihm wird vorgeworfen, seine Geschäftsunterlagen gefälscht zu haben, indem er angab, die Zahlung sei für Anwaltskosten bestimmt gewesen.
Entscheidend sei, er wusste, was er tat, erklärt Professor Natasha Lindstaedt von der University of Essex, "dass es vorsätzlich war, dass er wusste, dass er etwas vertuschen wollte, indem er seine Geschäftsunterlagen fälschte, dass es nicht einfach ein Versehen war. Das ist es, was es zu einem Verbrechen macht".
Bei der Anklageerhebung werden die einzelnen Anklagepunkte gegen Trump laut verlesen. Trumps Anwälte haben bereits mitgeteilt, dass er auf "nicht schuldig" plädieren wird.
Möglicher Ausgang: Muss Trump ins Gefängnis?
Es gilt zwar als relativ unwahrscheinlich, dass Trump hinter Gitter muss - völlig ausgeschlossen ist das aber nicht. Professor Natasha Lindstaedt weist im Gespräch mit Euronews darauf hin, dass Trumps Anwalt und Mittelsmann, Michael Cohenin unter anderem wegen der Stormy-Daniels-Affäre für 3 Jahre ins Gefängnis musste.
Es sei daher "wahrscheinlich, dass, wenn die Personen, die angewiesen wurden, so etwas zu tun, ins Gefängnis muss, das Gleiche, wenn nicht noch ein Schlimmeres die Person ereilen könnte, die dies veranlasst hat".
Die maximale Gefängnisstrafe beträgt vier Jahre.
Juan Merchan, der vorsitzende Richter bei der Verhandlung, ist mit der Umgebung Trumps übrigens bestens vertraut: Er hat Trumps Freund Allen Weisselberg zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, den Prozess gegen die Trump Organization wegen Steuerbetrugs und den Fall des ehemaligen Beraters Steve Bannon wegen Betrugs geleitet. US-Medien beschreiben ihn als "tough" (zäh oder stark).
Könnte Trump trotzdem 2024 trotz Anklage oder Urteil an Präsidentschaftswahlen teilnehmen?
Ja. Kein Gesetz hält Trump davon ab, erneut für die Republikaner zu kandidieren. Lindstaedt beobachtet sogar, dass er diese Möglichkeit einer Gefängnisstrafe zu seinem Vorteil nutzt, um Sympathie zu gewinnen bei seinen Unterstützern. "Wir sehen, dass er das ziemlich effektiv macht", so die Staatswissenschaftlerin.
"Es gibt nichts, was ihn daran hindert, als Präsident zu kandidieren, es sei denn, er landet im Gefängnis", so Lindstaedt. Deswegen werde Trump auch seine Kampagne wie geplant fortführen und diesen Prozess nutzen, um seine Unterstützung bei republikanischen Wähler:innen auszubauen.
90 % von ihnen sind von der Trumpschen Version, nach der es sich bei der Anklage um eine 'politische Hexenjagd' handelt, überzeugt - Tendenz steigend.
Lindstaedt weist aber darauf hin, dass ein Großteil der Amerikaner:innen (57 % laut einer aktuellen Studie) glaubt, dass die Ermittlungen gegen Trump "fair" sind. "Seine Missbilligungsquote ist hoch, sie liegt bei 60 %. Und dieselben 60% wollen nicht, dass er noch einmal als Präsident kandidiert".
Sie glaubt, dass er die Vorwahlen der Republikaner gewinnen wird, hält seine Wiederwahl als Präsident aber für unwahrscheinlich: "Er hat keine Chance, die Präsidentschaft zu gewinnen, es sei denn, er versucht, sie wieder zu stehlen."
Wie lange dauert die Prozedur, wann wird es zum Prozess kommen?
Trumps Anwälte werden nun auf Zeit spielen, glaubt Natasha Lindstaedt. "Es wird Monate dauern. Wahrscheinlich auf dem Höhepunkt der Präsidentschaftskampagne 2024, werden wir dann tatsächlich einen Prozess sehen."
Trump wird sich über eine lange Zeit mit den einzelnen Anklagepunkten auseinandersetzen müssen und sich auch vor Gericht verteidigen. Damit das nicht allzu schnell der Fall ist, werden seine Anwälte alle Arten von Verzögerungstaktiken anwenden, so Lindstaedt.
Trump spricht von einer "Hexenjagd". Was ist an der Behauptung dran, die Vorwürfe gegen ihn seien politisch motiviert?
Trump, der alle Anklagepunkte abstreitet, betont immer wieder, dass die Ermittlungen gegen ihn politisch motiviert sind- auch weil der Staatsanwalt ein Demokrat ist, erklärt Lindstaedt. Trump und seine Unterstützer:innen "haben das Gefühl , dass die Demokraten und das, was sie als die radikale Linke bezeichnen, hinter ihm her sind oder dass Teil des 'deep state' sind."
Man könne aber auch sagen, dass er bisher nie zur Verantwortung gezogen wurde, weil er "ist wer, er ist" so Lindstaedt. "Er ist tatsächlich sehr, sehr ungerecht gegenüber dem Rest der Öffentlichkeit behandelt worden, denn es gäbe keine andere Person, die nicht schon längst im Gefängnis sitzen würde".
Was passiert als nächstes?
Richter Juan Merchan und Trumps Anwaltsteam werden die Termine für die nächste Anhörung und Fristen für die Offenlegung von Informationen festlegen. Dafür muss die Staatsanwaltschaft der Verteidigung alle Informationen zur Verfügung stellen. Dann gibt es auch die Option für Anträge zur Verlegung des Verhandlungsortes oder zur vollständige Abweisung des Verfahrens.
Ein Verfahren, das Monate dauern dürfte.