"Da muss doch einer 'was machen": Zu Besuch bei Bürgerwehren

In Deutschland tauchen immer wieder selbst ernannte "Bürgerwehren" auf. Ihre Vertreter behaupten, dass die Straßen in einigen Städten innerhalb der Republik nicht mehr sicher seien. Ist dem wirklich so? Und wie steht es um die Rechtslage? Ein Reportage-Team des ZDF ging den Fragen nach.

Immer wieder donnerstags finden sich in Steele, einem östlichen Stadtteil der Ruhrpott-Metropole Essen, zahlreiche Personen an einem bestimmten Platz ein. Friedliche Spaziergänge, wie die "Steeler Jungs" bekunden. "Dass Freunde mal miteinander spazieren gehen und dabei quatschen", sei doch "etwas ganz Normales", erklärt der Rechtsanwalt Marc Grünebaum. "Genauso wie sich Freunde auch zu Hause treffen." Von der Essener Polizei jedoch werden viele der Teilnehmer in der Rocker- und Hooliganszene verortet. Was genau hier vor sich geht, wird in der Reportage "Die innere Unsicherheit - Wenn Bürger Streife gehen", die am heutigen Donnerstag, 25. Juli, 20.15 Uhr, bei ZDFinfo zu sehen ist, gezeigt. Der TV-Journalist Ralph Gladitz geht in seinem sorgfältig recherchierten Beitrag der Frage nach, ob vermeintliche "Bürgerwehren" eine Gefahr für die demokratische Grundordnung Deutschlands darstellen. Dafür war der Filmemacher nicht nur im Pott in Essen, sondern auch in Döbeln bei Dresden in Sachsen oder auch in Nürnberg in Bayern.

Stinkefinger mitten in die Kamera

Ist die Zusammenkunft in Steele wirklich nur ein unschuldiges Treffen von Freunden oder unter netten Nachbarn? Einige dieser "Jungs" sprechen nun dazu offen vor der Kamera. Einer wird explizit: "Die Ausländerpolitik von unserer Regierung ist scheiße. Da wird heute schon wieder einer abgestochen da. Das ist doch scheiße. Da muss doch einer 'was machen." Seine Tränen-Tattoos am linken Auge sind klar erkennbar. Dann wendet er sich ab. Ein anderes Gespräch ist schnell beendet, als sich ein breitschultriger Kompagnon vor die Kamera stellt. Die Polizei attestiert der Gruppierung ein durchaus "geschicktes" Verhalten. Politische Statements sind hier nicht zu vernehmen, das Gebaren ist im Grunde nicht aggressiv. "Keine Schilder, keine Botschaften", heißt es. "Die Steeler Jungs wissen genau, wie sie auftreten müssen, damit die Polizei nicht gegen sie vorgehen kann."

Offiziell wollten die Männer, so sagen sie, mit der Politik auch gar nichts zu schaffen haben. Dennoch gehen sie nun durch die Stadt. Gemeinsam aufpassen, im Trupp. Und keine Frage, gegen diese geballte Kraft werden sich im Fall der Fälle bestimmt nur wenige stellen. Zuletzt konnten noch viel mehr neue 'Freunde' gewonnen werden. Auch Frauen. Eine von ihnen zeigt den Stinkefinger - direkt in die ZDFinfo-Kamera.

Die Bewohner Steeles in Essen sind über diese Zusammenkünfte geteilter Meinung. Eine Frau sagt: "Es sind immer Männer da, die sehr beleibt sind." Sie beobachtet auch: "Es ist immer eine Menge Polizei da" und bekundet: "In meinen Augen, das ist nicht schön." Eine andere Dame widerspricht beim spontanen Interview in der City: "Ich stehe zu den Jungs", betont sie. Darunter seien schließlich auch viele Familienväter. Sicherlich sähen einige "gefährlich" aus - "die sind tätowiert, manche haben eine Glatze. Sie sehen beängstigend aus, aber sie sind nicht beängstigend. Das sind ganz liebe Leute." Viele, so heißt es im Film, fühlten sich dennoch provoziert. Matthias Quent vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft wird deutlich: "Den Bürgerwehren geht es im Kern darum, eine Bedrohungssituation zu behaupten, zu konstruieren und sich gleichzeitig als Rettung, als Beschützer, vor dieser angeblichen Bedrohung, die in der Regel gleichsetzt wird mit Kriminalität und Gewalt durch Einwanderer, darzustellen."

Was dürfen "Bürgerwehren" überhaupt?

Woher kommt das Phänomen überhaupt? Im Film von Gladitz heißt es, dass sich in den Monaten nach den Silvester-Ausschreitungen von Köln zum Jahreswechsel 2015/2016 in den sozialen Medien 326 öffentliche Gruppen als "Bürgerwehren" formiert hätten. Diese seien insgesamt mehr als 10.000 Mitglieder stark gewesen. Allerdings wird dann auch benannt, dass Schätzungen zufolge weniger als zehn Prozent dieser "Unterstützer" auch auf die Straße gingen. In Film wird dennoch erklärt, in nahezu allen Bundesländern seien Bürgerwehren "gesichtet" worden.

Aber dürfen diese sogenannten Bürgerwehren das überhaupt - auf Streife gehen? In der Reportage heißt es, dass es keine konkrete rechtliche Grundlage gebe. Der Zuschauer lernt: "Die Gründung von Bürgerwehren ist zwar erlaubt, die Gruppen dürfen sich auch so nennen, allerdings haben sie keinerlei Sonderrechte. Das Gewaltmonopol liegt ausschließlich beim Staat." Gleichzeitig erfährt man aber auch: "Erlaubt ist, auf Streife zu gehen und die Augen offen zu halten. Erlaubt ist, legale Verteidigungsmittel wie Pfefferspray mit sich zu führen. Erlaubt ist, Täter, die auf frischer Tat ertappt wurden, festzuhalten, bis die Polizei kommt." Angeblich seien diese Handlungen durch das sogenannte "Jedermanns-Recht" in der Strafprozessordnung geregelt.

Aufgeweichte Historie

Ein laut ZDF Mitgründer von "Patrioten TV Nürnberg" und Teilnehmer an einem Fackelmarsch auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände sagt: "Wir haben hier zwölf Jahre dunkle Zeit gehabt. Mit der Merkel haben wir jetzt 16 Jahre, wo es immer schlimmer wird." Setzt hier etwa ein NPD-Sympathisant Merkel mit Hitler gleich? - Auf eine entsprechende Rückfrage reagiert der Mann ausweichend. "Es geht Deutschland schlecht", sagt er.

Geht es Deutschland zumindest in der Frage der inneren Sicherheit tatsächlich so schlecht? Im Film von Ralph Gladitz heißt es, dass das Gefühl von Unsicherheit um 4,2 Prozent im Vergleich zu 2012 zugenommen hätte . Gleichzeitig zitiert der Filmemacher aber auch: "Die pauschale Aussage, dass Deutschland nicht mehr sicher sei, ist laut Kriminalstatistik nicht belegbar." Wirklich?

In der Reportage kommt unter anderem auch der Extremismusforscher Prof. Andreas Zick von der Universität Bielefeld zu Wort. Er sagt: "Gruppen wie Bürgerstreifen arbeiten mit Bedrohungen. Man ist ständig in einer Bedrohungsschleife drin. Und das führt dann auch zu einer Radikalisierung. Und irgendwann zu der Idee, wir müssten dann vor Ort ein Zeichen setzen."

Immer weiter "Rechts"

Im Anschluss an die hochinteressante Reportage von Ralph Gladitz zeigt ZDFinfo am heutigen Donnerstag weitere Beiträge rund um Themen aus dem mitunter düsteren Milieu des rechten Lagers. Um 21 Uhr folgt der Film "Sachsen zwischen Mauerfall und Rechtspopulismus". In dieser Reportage soll die Frage geklärt werden, warum es ausgerechnet der Freistaat Sachsen sei, in dem laut ZDF-Begleittext die totale "Frust-Stimmung" herrsche und nun nach Meinung einiger Sachsen vor den Landtagswahlen im September ein "Umsturz" herbeigeführt werden müsste. Ab 21.45 Uhr geht es noch um den "Störfall AfD". Bei der demokratisch legitimierten Partei, die bei der letzten Bundestagswahl am 24. September 2017 immerhin 12,6 Prozent aller Wählerstimmen in Deutschland bekommen hat, sollen laut ZDF-Angaben "Teile der Partei Kontakte ins Netzwerk der Neuen Rechten" pflegen.