Der MVP, den keiner wollte

Ein Titel ist Lamar Jackson so gut wie sicher. Die Experten sind sich weitgehend einig, dass der Quarterback, der wohl das Comeback des Jahres in der NFL hingelegt hat, als Most Valuable Player (MVP) der Saison ausgezeichnet werden wird.

„Die Lions gehen in die Playoffs. Er hat sie auseinandergenommen. Miami, er hat sie auseinandergenommen. Die 49ers sind an Nummer eins gesetzt. Er hat sie auseinandergenommen“, resümierte Ex-NFL-Star Shannon Sharpe in der Talkrunde Nightcap und meinte: „Ich weiß nicht, wem du sonst den MVP geben willst.“

Sharpe zählte zuvor selbst zu den größten Kritikern von Jackson.

Auf den MVP-Titel folgt die Kritik

Bereits in seiner zweiten Saison 2019 überzeugte der „Dual-threat-Quarterback“ mit 43 Touchdowns und sicherte sich den ersten MVP-Titel seiner Karriere.

In den Jahren darauf hagelte es vermehrt Kritik am 26-Jährigen. 2021 verpasste Jackson mit den Ravens erstmals die Playoffs und musste nach mehreren Verletzungen auch 2022 auf einen Einsatz in der Endrunde verzichten.

„Man fürchtet Lamars Genauigkeit nicht wirklich“, behauptete der sechsmalige Pro-Bowl-Quarterback Ben Roethlisberger noch 2023 in seinem Podcast Channel Seven. „Er hat einen unglaublichen Arm und er lässt Dinge geschehen, wenn er läuft, aber du fürchtest dich nicht davor, dass er dich aus der Pocket heraus zerpflückt.“ Statt seines Passspiels seien viel mehr seine Fähigkeiten als Läufer gefürchtet, ergänzte die Legende der Pittsburgh Steelers.

Vertragsdrama in der Off-Season

Am Ende der vergangenen Saison lief der Rookie-Vertrag von Jackson aus und die Ravens belegten ihren Star-Quarterback mit dem nicht-exklusiven Franchise Tag, der es anderen Teams erlaubte, die Verhandlungen aufzunehmen.

Doch lange schien es, als wolle keine Franchise den früheren MVP verpflichten. Wie der ESPN-Reporter Adam Schefter berichtet, waren nur die Carolina Panthers und Las Vegas Raiders am Spielmacher interessiert. „Kein Team wurde wirklich aggressiv und keiner war nah dran, ihn unter Vertrag zu nehmen“, erklärt Schefter.

Letztendlich unterschrieb Jackson nach einer öffentlichen Trade-Forderung einen Fünf-Jahres-Vertrag über 260 Millionen Dollar bei den Baltimore Ravens und entschied sich für einen Verbleib in Maryland.

Auf der anderen Seite wählten die Panthers Bryce Young als ersten Spieler im Draft aus und die Raider verpflichteten den Veteranen Jimmy Garoppolo.

Jackson in MVP-Form

Während Young in seinem ersten Jahr noch nicht das gewünschte Potenzial abrufen konnte und Garoppolo nur sechs Spiele bestritt, läuft Jackson erneut zur Bestform auf und rechtfertigt das Vertrauen der Ravens.

Der Quarterback komplettierte in diesem Jahr 67,2 Prozent seiner Passversuche für 3678 Yards und überzeugt damit mit den jeweils höchsten Quoten seiner Karriere. Doch auch im Laufspiel zeigt Jackson nach wie vor seine Stärken und erzielte 821 Yards sowie fünf Touchdowns.

Auch dank seiner Leistungen sind die Ravens in dieser Saison das Maß aller Dinge in der NFL. Mit 13 Siegen und nur drei Niederlagen sicherte sich das Team in der vorletzten Spielwoche vorzeitig den ersten Platz in der AFC und damit ein Freilos in der ersten Playoff-Runde.

Beim deutlichen 56:19 Sieg gegen die Miami Dolphins (11-5) spielte er nur drei Fehlpässe und fand fünfmal einen Mitspieler in der gegnerischen Endzone. Die Folge: eine perfekte Quarterback-Bewertung von 158,3 Punkten.

Gewinnt Jackson in dieser Saison seinen zweiten MVP-Titel, begibt er sich als zehnter Quarterback, dem dieses Kunststück gelingt, in einen elitären Kreis an Spielern wie Tom Brady, Aaron Rodgers, Payton Manning oder Patrick Mahomes.

Als größter Titelkonkurrent galt lange Zeit Brock Purdy, der bei den San Francisco 49ers eine unglaubliche Geschichte schreibt. Nach vier Interceptions in Woche 16 sind seine Aussichten jedoch stark gesunken.

Weiterhin im Rennen befindet sich beispielsweise Purdys Teamkollege Christian McCaffrrey, der als Running Back mehr als 2000 kombinierte Yards Rushing und Receiving aufweist.

Jackson vor erneuter Bewährungsprobe in den Playoffs

Am Ende der Saison ist eine MVP-Auszeichnung allerdings nur Nebensache. Das große Ziel der Ravens bleibt der Super Bowl.

Ein Ziel, an dem Jackson mit den Ravens in drei Anläufen zuvor krachend gescheitert ist. 2018 und 2019 schieden die Ravens bereits in ihrem ersten Spiel aus. 2020 gelang immerhin ein Sieg, der Weg ins Finale blieb dennoch verwehrt.

Auch Jackson persönlich steht in vier Playoff-Partien bei nur drei Touchdowns und fünf Interceptions und wird sich trotz einer starken regulären Saison auf ein Neues beweisen müssen.