"Nehmen dreimal so viel Tote in Kauf": Berater der Regierung verzweifelt über Corona-Politik

Der Jojo-Effekt der Corona-Politik koste die Gesellschaft unglaublich viel, kritisierte der Physiker Prof. Michael Meyer-Hermann. (Bild: ZDF Screenshot)
Der Jojo-Effekt der Corona-Politik koste die Gesellschaft unglaublich viel, kritisierte der Physiker Prof. Michael Meyer-Hermann. (Bild: ZDF Screenshot)

Seit Monaten berät Prof. Michael Meyer-Hermann die Politik in der Pandemiebekämpfung. Doch seine Vorschläge werden entweder nicht oder nur in Teilen umgesetzt, wie er am Donnerstagabend bei "Markus Lanz" sichtlich verzweifelt erklärte.

Es sind schockierende Bilder, die uns dieser Tage aus Indien erreichen: Dem bevölkerungsreichen Land geht zunehmend der Sauerstoff aus. Die Bedeutung aus dieser Tragödie für den Rest der Welt, insbesondere aber für Deutschland, wurde auch in der jüngsten Ausgabe der ZDF-Talkshow "Markus Lanz" diskutiert. Zu Gast waren die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt, die "Spiegel"-Redakteurin Christiane Hoffmann, die Ethikerin Prof. Alena Buyx, die aus Neu-Delhi zugeschaltete Journalistin Silke Diettrich und der Physiker und Systemimmunologe Prof. Michael Meyer-Hermann. Vor allem letzterer wirkte angesichts der ohnehin umstrittenen Corona-Politik der Bundesregierung verzweifelt.

Gerade der Blick nach Indien zeige, dass das Virus nicht nachlasse, erklärte der 54-Jährige: "In dem Moment, in dem man diesem Virus Raum gibt, breitet es sich aus." Er fuhr fort: "Das ist eine Sache, die wir uns merken sollten, wenn wir hier der Meinung sind, dass wir hohe Inzidenzen tolerieren können." An diesen Punkt knüpfte Gastgeber Markus Lanz sogleich an: "An welchem Punkt der Pandemie stehen wir eigentlich?", wollte er von Meyer-Hermann wissen. "Wir haben eigentlich viele Chancen: Wir haben jetzt die Impfung, die wirkt und die wirkt sich auch epidemiologisch langsam aus", begann dieser. Spätestens im Mai werde man das auch merken, denn: "Jede Impfung ist eine Reduktion der Reproduktionszahl."

Physiker fordert neues Kriterium für Öffnungen

Allerdings mache die Regierung in der Pandemiebekämpfung einen "grundsätzlichen Fehler": Jede Hilfe, die von außen käme, von der Impfung bis zum besseren Wetter, werde sofort durch Öffnungen ausgeglichen und somit zunichtegemacht, kritisierte er. Dieser "Jojo-Effekt" koste die Gesellschaft "unglaublich viel" auf allen Ebenen. Vor wenigen Wochen hätte man noch eine Inzidenz von 35 gehabt: "Was würde das jetzt kosten, wenn wir die 35 halten anstatt der 100, wirtschaftlich, bildungstechnisch, psychosozial? Exakt das gleiche!" Er fuhr fort: "Wir haben gar keinen Vorteil durch die 100." Aber es gebe einen massiven Unterschied: Bei einer Inzidenz von 100 nehme man "dreimal so viele Tote in Kauf" wie bei einer Inzidenz von 35. "Warum machen wir das?", fragte der Systemimmunologe sichtlich verzweifelt.

Die Runde bei
Die Runde bei "Markus Lanz" am Donnerstagabend(von links): Gastgeber Markus Lanz, Grünen-Politikerin Katrin Göring Eckardt, Ethikerin Prof. Alena Buyx, die Journalistin Christiane Hoffmann und der Physiker Prof. Michael Meyer-Hermann. (Bild: ZDF Screenshot)

An dieser Stelle plädierte Meyer-Hermann für ein anderes Kriterium für Öffnungen: "Das neue Kriterium sollte sein, dass wir die neuen Fallzahlen in einer Woche um 20 Prozent senken." Und wenn man in einer Woche weniger erreiche, müsse man schärfere Kontaktbeschränkungen durchsetzen. Mit Blick auf seine Funktion als Berater der Bundesregierung fuhr er fort: "Ich wundere mich, dass es immer noch diesen Glauben gibt, dass die Wirtschaft unter diesen Maßnahmen leidet, dass die Bildung unter den Maßnahmen leidet. Das ist das große Missverständnis, das wir in dieser Pandemie haben: Es sind nicht die Maßnahmen, die die Gesellschaft kaputtmachen, sondern das Virus macht die Gesellschaft kaputt." Die Tatsache, dass er all das bereits am 14. Oktober in der Ministerpräsidentenkonferenz vorgetragen habe, dann allerdings nur sehr verzögert und sehr wenig geschehen sei, scheint den Physiker bis heute zur Verzweiflung zu bringen.

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