Oliver Pocher ist nicht schuld – wir sind es mit unserem komischen Humorverständnis

Comedian beleidigt Zuschauerin – Nun ist die Entrüstung groß – Bloß neu ist seine miese Masche nicht

Schon lange her, seine Masche aber blieb: Oliver Pocher im Oktober 2009 bei der Fernsehsendung
Schon lange her, seine Masche aber blieb: Oliver Pocher im Oktober 2009 bei der Fernsehsendung "Wetten, dass..?" in Freiburg (Bild: REUTERS/Johannes Eisele)

Oliver Pocher ist zur Zielscheibe geworden. Der Comedian zog über eine Zuschauerin her und wundert sich über den jüngsten Aufschrei zu seinen Eskapaden. Letztendlich lieferte er auch, was der Veranstalter SWR bestellt hatte. Schuld sind also wir im Publikum: Wir bezahlen Pocher dafür, dass er seine hässlichen Moves zum Humor erklärt.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Haha, da war letztens jemand doch Jungfrau. Das ist natürlich ein Brüller. Oder eine „Zuckerschnecke“, ein echter Running Gag. Finden Sie nicht? Ich bin ja auch kein Comedian, mir fehlt die Pochersche Lustigkeit total. Oliver Pocher jedenfalls hatte seinen Spaß, als er bei einem Event des Südwestdeutschen Rundfunks (SWR) eine Zuschauerin herauspickte, die allzu offen auf seine Fragen antwortete. Single? Schon mal gebummst? Nee? Wie witzig.

Pocher hinterließ in Stuttgart eine verstörte Besucherin, die weinend sitzenblieb, nachdem die meisten anderen aus dem Publikum schon gegangen waren. Sie bat schließlich Mitarbeiter des SWR, die Szenen mit ihr herauszuschneiden – dabei war der Abend nicht für eine Ausstrahlung vorgesehen gewesen. Aber dafür sorgte Pocher. Er verbreitete die Szenen über Instagram. Zu sehen: Wie er sich von oben herab über andere mokiert, in diesem Fall über eine Frau, der er entlockt hatte, dass sie bisher noch keinen Sex gehabt hatte. Das ist nur Treten nach unten.

Zuerst windete sich der SWR und kriegte keine kritische Haltung zu Pochers Intimlebengestocher auf der Bühne hin. „Zensur lehnen wir ab“, erwiderte die angesprochene Kommunikationschefin. Das war schon ein Desaster, und natürlich ruderte der SWR später zurück.

Pocher selbst hat seine eigene Sicht: „Das ist auch eine Comedy-Veranstaltung“, rief er gleich beim nächsten Event, diesmal in Klagenfurt. „Und wenn man es nicht abkann, sich in der ersten Reihe auch mal einen Spruch zu fangen, dann muss man sich verpissen!“ Dafür kriegte er vom mutigen Publikum ordentlichen Applaus, schließlich kommen nur die Harten in den Garten. Dann wurde Pocher richtig fies: „Wir haben Redefreiheit und die Kollegen vom SWR fanden es wahnsinnig witzig.“ Das grenzt schon an Rufmord. Die eine phantasiert von Zensur, der andere mault über Redefreiheit: Natürlich kann Pocher sagen, was er will, aber ebenso kann man beschließen, ihn für sowas nicht bezahlen zu wollen.

Noch nie verstand ich, was witzig daran sein soll, wenn man sich auf Kosten anderer Menschen lustig macht, die eben keine mächtigen Großkopferten sind, sondern herausgepickte „Opfer“, am besten von einer Randgruppe. Für Pocher sind „Jungfrauen“ eine prima Randgruppe. Dann also los mit dem Kübeln!

Pochers Prinzip ist, dass er nicht nur lästert, sondern personalisiert giftet. Und immer wähnt er die Adressaten seines sogenannten Humors unter sich. So lässt sich besser ausholen. Das ist erbärmlich. Aber dem Comedian ist kaum ein Vorwurf zu machen: Er realisierte schon vor längerer Zeit, dass die Leute ihn genau dafür bezahlen. Sowas ist offenbar gewollt. Und schlechter Geschmack ist vom Grundgesetz geschützt.

Daher erinnert nun die Empörung über Pocher an Krokodilstränen. Er lieferte, was insgeheim bestellt wurde. Und jetzt erregen sich alle über die Rechnung.

Pocher ist nicht der bad guy der deutschen Comedy. Er ist der bad taste der deutschen Comedy. Dass es ihm gelingt, damit auch noch Geld zu verdienen, ist wirklich eine anerkennenswerte Leistung. Und jetzt verpiss ich mich lieber.