„Oskar Lafontaine light“, Stimmungskanone, St. Martin: Hart aber fair und der Schulz-Effekt


Heilsbringer und Hoffnungsträger – oder nur Heiße-Luft-Bläser? Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz führte die deutschen Sozialdemokraten aus dem tiefen Umfrageloch. Doch wer ist Martin Schulz – und wie gefährlich wird er Merkel? Das war die große Frage von Frank Plasberg.

Das gab es seit zehn Jahren nicht mehr: Laut Meinungsforschungsinstitut Emnid würden derzeit 33 Prozent SPD wählen, ein Prozent mehr als die CDU. Troooommelwirbel! Applaus. Und Bühne frei für Martin Schulz, dem dieser Höhenflug zu verdanken ist…Oder?
Frank Plasberg nahm seine gestrige Sendung zum Anlass, hinter das „Phänomen“ zu blicken. Seine Fragestellung bei „Hart aber fair“: Der Alternative – wie gefährlich wird Schulz für Merkel?

Ja, noch wirken Schulz Kanzler-Ziele schwammig, noch ist unklar, womit er im Wahlkampf punkten will. Möglicherweise ein Vorteil: Immerhin könne man Sympathien verlieren, wenn man sich zu früh festlege – auf unliebsame Programmpunkte, argumentierte Hajo Schuhmacher. Also die Katze im Sack wählen? “Neu reicht für die erste Welle”, bilanzierte er mit Blick auf den von ihm ernannten “Oskar Lafontaine light”. Denn: “Politik ist zu 50% Emotion und Psychologie, auf diesem Gebiet ist Martin Schulz sehr erfolgreich”, glaubt der Journalist.

Schulz sagt nichts anderes als Gabriel – doch die Menschen hören zu

“Wir müssen den ranlassen, der die besten Chancen hat.“ Achselzucken. So einfach ist das für Hannelore Kraft, SPD-Ministerpräsidentin von NRW. Zwar sage Martin Schulz im Grund „nichts anderes als Sigmar Gabriel“ – oder sie selbst. Aber – und das ist offenbar der gar nicht sooo feine Unterschied: „Die Leute hören ihm zu…“ Will sie damit nun sagen, so wirklich viel ändern wird sich nicht? Schulz hin oder her?
Armutsforscher Christoph Butterwegge sieht in Schulz gar die Verkörperung der sozialen Gerechtigkeit. “Das politische Leben in der Bundesrepublik wird bunter” – dank dem Schulz-Effekt. Wahlkampf in Regenbogenfarben. Ob Schulz der Goldtopf an dessen Ende ist – oder der fiese Kobold, der sich ins Fäustchen lacht und alle nur täuscht?

Doch selbst FDP-Chef Christian Lindner konnte sich schließlich Glückwünsche abringen. Seine Rechnung sieht nämlich so aus: “Zehn Abgeordnete mehr von der SPD statt von der AfD, da gönne ich der SPD diesen Erfolg.” Großmütig. Srine Hoffnung in Schulz: Er könnte der Hammer sein, der Weckruf, der die narkotisierte Politik wieder aufweckt, „Leben in die Bude“ bringt. Das klingt zwar noch ein wenig mehr nach holzvertäfeltem Partykeller statt Bundestag, aber möglicherweise steppt Tanzbär Schulz auch den.


Reicht die “Anfangsshow”?

Oder alles nur Show, schöner Schein, der Zauber des Neuen? Der CDU-Europaabgeordnete Herbert Reul lässt sich vom neuen „Stimmungsmacher“ jedenfalls nicht so leicht blenden und grummelte in die Runde: “Ob die Anfangsshow reicht, da habe ich meine Zweifel”.“ Für ihn sei der Kurswechsel inszeniert, an der Substanz ändere sich nicht. Rein gar nichts.

Und doch, die potentielle Wähler denken möglicherweise anders. Oder es ist ihnen schlicht egal? Rund 6000 Mitglieder sind seit der Ernennung des Kanzlerkanidaten neu in die SPD eingetreten, darunter auch Studentin Katharina Litz. Warum? Auch sie erlag ihm, dem Schulz-Effekt, fabuliert vom Hoffnungsträger. Wofür er so genau steht, was er ändern will, sein Programm? Ach, egal. Jedenfalls für Litz, so der Eindruck. Ihr Totschlagargument: “Wir leben ja eh in einem postfaktischen Zeitalter, von daher.“

Vorschlag für den Wahlkampf-Slogan gefällig? “Inhalte überwinden!” Ach halt, den hat sich schon der andere Martin unter den Nagel gerissen: Sonneborns Die PARTEI.

Foto: ARD