"Passen Sie gut auf sich auf": Im "ZDF Morgenmagazin" schlug die Stunde der Korrespondenten

Die Fernsehleute machen in diesen schwierigen Stunden einen guten Job. Allerdings: "Ein guter Morgen ist es ja nicht gerade", konstatierte Vizekanzler Robert Habeck angemessenerweise im Live-Interview mit Mitri Sirin im "ZDF Morgenmagazin". (Bild: ZDF / Screenshot)
Die Fernsehleute machen in diesen schwierigen Stunden einen guten Job. Allerdings: "Ein guter Morgen ist es ja nicht gerade", konstatierte Vizekanzler Robert Habeck angemessenerweise im Live-Interview mit Mitri Sirin im "ZDF Morgenmagazin". (Bild: ZDF / Screenshot)

Wer der Meinung ist, das öffentlich-rechtliche TV habe ausgedient, übersieht, wie unverzichtbar es als Eckpfeiler für Demokratie und gesellschaftlichen Konsens ist. Der Donnerstagmorgen war nach Meinung des Autors eine eindrucksvolle Demonstration dessen, was die Sender in hochkomplexen Zeiten leisten.

"Passen Sie gut auf sich auf!" - Wenn TV-Moderatoren Liveschalten mit dieser Formel beschließen, ist das ein eindeutiges Indiz dafür, dass es sich um Berichterstattung im Ausnahmezustand handelt. Harriet von Waldenfels und Mitri Sirin haben am Donnerstagvormittag im "ZDF Morgenmagazin" immer wieder zu diesen sonst eigentlich als Floskel verpönten Worten gegriffen, denn was zuletzt immer sorgenvoller befürchtet wurde, ist über Nacht Realität geworden: Russlands Präsident Putin hat den Angriff auf die Ukraine befohlen. Die Krise wurde zum Krieg, aus Drohungen und Ankündigungen wurden Fakten, die ganze Welt hält den Atem an. Und das TV-Publikum, eben noch von den hervorragenden Welterklärern Gregor Gysi und Alexander Graf Lambsdorff in der ZDF-Sendung "Markus Lanz" zwar nicht unbedingt beruhigt, aber immerhin einigermaßen über die Hintergründe der Eskalation im Osten aufgeklärt ins Bett geschickt, erwachte auf einmal in einer hypernervösen Gemengelage.

Ab 5.30 Uhr schlug in ZDF und ARD wieder einmal "die Stunde der Korrespondenten", wie der Medienjargon eine solche Situation mithin nennt: Wie immer in Krisensituationen von außergewöhnlicher Dimension musste schnell gehandelt werden. Was geplant war, wurde spontan über den Haufen geworfen, es galt eiligst, Schalten zu organisieren, geplante Interviews abzusagen, neue Gesprächspartner zu organisieren, ursprünglich vorgesehene Inhalte mussten gestrichen oder angepasst werden. Es galt an diesem Morgen in einem Maße wie schon lange nicht mehr, Halt und Orientierung durch Information zu bieten und fraglos auch der zeitgleich natürlich auf Hochtouren rotierenden Desinformation in den Sozialen Medien etwas Solides entgegenzusetzen - mehr Stress geht wohl nicht. Aber die deutschen Nachrichtenleute machten ihren Job.

Liveschalte unter größtem Nachrichtendruck: Aus Moskau meldete sich am frühen Donnerstagmorgen immer wieder Anna Feist, ZDF-Korrespondentin in Moskau. (Bild: ZDF / Screenshot)
Liveschalte unter größtem Nachrichtendruck: Aus Moskau meldete sich am frühen Donnerstagmorgen immer wieder Anna Feist, ZDF-Korrespondentin in Moskau. (Bild: ZDF / Screenshot)

Demonstration für die Stärke und Strahlkraft der Sender

"Ein guter Morgen ist es ja nicht gerade", konstatierte Vizekanzler Robert Habeck angemessenerweise im Live-Interview mit Mitri Sirin. Natürlich nicht. Aber immerhin war es kein ganz schlechter Morgen für das Standing des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. In der "Moma"-Redaktion, wo hinter den Kulissen mit Orkanstärke gewirbelt worden sein muss, wurde Erstaunliches auf die Beine gestellt.

Eindrücklich schilderte etwa Axel Storm, ZDF-Korrespondent in Kiew (und später auch aus dem Auto, weil er aus Sicherheitsgründen den Standort verlassen musste) über eine wacklige Telefonschalte, was gerade in der Ukraine passiert. Lothar Becker, der aus Lwiw für das ZDF berichtet, stellte die Situation in der westlichen Ukraine dar. Aus Moskau meldete sich immer wieder Anna Feist, ZDF-Korrespondentin in Moskau. Gunnar Krüger sprach live aus Brüssel, wo es galt, die ersten Stimmen seitens EU und NATO einzuordnen. Frankreich-Korrespondent Thomas Walde berichtete aus Paris, dass die Französische Regierung "in den schärfsten Tönen den russischen Angriff" verurteile und der Ukraine Unterstützung zusichere, während Johannes Hano, ZDF-Korrespondent in New York, beschrieb, wie die Dringlichkeitssitzung der Vereinten Nation ablief und wie dort, mitten in den laufenden Gesprächen, die Nachricht vom Angriff Russlands auf die Ukraine aufgenommen wurde.

Die Welt würde Russland zur Rechenschaft ziehen, fasste indes Elmar Theveßen, ZDF-Korrespondent in Washington, ein erstes schriftliches Statement von US-Präsident Joe Biden zusammen. Und in Berlin kam Thomas Reichart, ZDF-Hauptstadtkorrespondent, zu Wort. Parallel gab es immer wieder einordnende Gespräche mit Experten und Politikern, unter anderem kündigte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht scharfe Sanktionen an, und natürlich wurde alle 30 Minuten ein kurzes Nachrichtenupdate gesendet, an dessen Ende Benjamin Stöwe die Wetterlage darlegte ... Kurzfristig warfen die Fernsehmacher alle ursprünglichen Programmpläne über den Haufen. Ab 9 Uhr wurde in ARD und ZDF spontan weiter voll auf die Newskarte gesetzt. Auch auf tagesschau24 liefert der Livestream in hoher Frequenz und praktisch rund um die Uhr Fakten und Hintergründe aus der Ukraine und aller Welt frei Haus.

Fraglos gehört all das zur Aufgabe der Fernsehmacher. Doch es geht in diesen Zeiten, in denen eben auch die Informationslieferanten nicht nur mithin scharf kritisiert, sondern immer unverhohlener auch schwer angezählt werden, um mehr als um die Beschreibung und Bewertung des Jobs. Neben der Beleuchtung der sich in hoher Frequenz verändernden Nachrichtenlage geht es für die TV-Leute um die Wahrnehmung einer journalistischen Verantwortung im Sinne des Auftrags des öffentlich-rechtlichen Fernsehens: Sie müssen Verlässlichkeit bieten. Und in dieser Hinsicht ist der Donnerstagvormittag geradezu als eine Demonstration für die Stärke und Strahlkraft der Sender zu verstehen.

Eindrücklich schilderte etwa Axel Storm, ZDF-Korrespondent in Kiew (und später auch aus dem Auto, weil er aus Sicherheitsgründen den Standort verlassen musste) über eine wacklige Telefonschalte, was gerade in der Ukraine passiert. (Bild: ZDF / Screenshot)
Eindrücklich schilderte etwa Axel Storm, ZDF-Korrespondent in Kiew (und später auch aus dem Auto, weil er aus Sicherheitsgründen den Standort verlassen musste) über eine wacklige Telefonschalte, was gerade in der Ukraine passiert. (Bild: ZDF / Screenshot)

Gut geölt mit Beiträgen

Es ist von enormer Bedeutung, dass der mit Mitteln aus Beiträgen geölte TV-Apparat in solchen Momenten, in denen gefühlt alle Augen auf die Formate gerichtet sind, gut funktioniert. Denn die Informationslage darf nicht von irgendwelchen Klickschleudern dominiert werden, die Debatte darf nicht den Foren, den Stammtischen, der Straße, also ihrer Verselbstständigung überlassen werden. Sie muss ins Massenmedium Fernsehen gehoben und objektiv geführt werden.

Wer das öffentlich-rechtliche Fernsehen gerne zu Grabe tragen oder ihm zumindest einen radikalen Sparkurs verordnen möchte, übersieht, wie unverzichtbar es als Eckpfeiler für Demokratie und gesellschaftlichen Konsens ist und sollte sich eine Frage vor Augen führen: Wer macht den Job, wenn es ARD und ZDF mit ihrer redaktionellen Manpower, mit ihren Netzwerken und Korrespondentenbüros nicht mehr gibt? Wer klärt auf, wer informiert die breite Masse unabhängig, ohne zu polarisieren? Und wer kann in einer solchen Geschwindigkeit ein derart starkes, relevantes Programm auf die Beine stellen, das viele Millionen erreicht, das sich an die Mitte, an die Basis, an das Herz unserer demokratischen Gesellschaft richtet?

Lothar Becker, der aus Lwiw für das ZDF berichtet, stellte die Situation in der westlichen Ukraine dar.  (Bild: ZDF / Screenshot)
Lothar Becker, der aus Lwiw für das ZDF berichtet, stellte die Situation in der westlichen Ukraine dar. (Bild: ZDF / Screenshot)

In Russland "leider eine große Gleichgültigkeit"

Was passiert, wenn all das nicht mehr stattfinden würde? - Die ebenfalls live zugeschaltete Russland-Expertin Gesine Dornblüth brachte es im "ZDF Morgenmagazin"-Gespräch auf den Punkt. In Russland gäbe es gegenüber den aktuellen Geschehnissen "leider eine große Gleichgültigkeit", erklärte die Journalistin. Der Grund seien "Unwissenheit und Uninformiertheit". Die Propaganda habe ein unvorstellbares Ausmaß erreicht. Und: "Wir sehen jetzt die Ernte dessen, dass zu viele Menschen Putin beschönigt haben."

Viele Momente und Sätze in diesen Stunden wirken wie aus einer abgedroschen Katastrophenfiction. "Auch wir sind einigermaßen fassungslos", räumte kurz nach 9 Uhr ein immer noch reichlich Adrenalin-geladener Mitri Sirin ein. Die Ereignisse hätten auch das Team "überrollt", erklärte der "Morgenmagazin"-Moderator. Da geht es den Fernsehleuten eben nicht anders als ihren Zuschauern - nur sie müssen die Stellung halten und in die allgemeine Aufgeregtheit hinein senden, senden, senden ... Die Veranwortung war riesengroß. Doch besser als an diesem Donnerstagmorgen kann ihr das öffentlich-rechtliche Nachrichtenfernsehen kaum gerecht werden. Und an die Korrespondenten in der Ukraine: "Passen Sie gut auf sich auf!"

Die live zugeschaltete Russland-Expertin Gesine Dornblüth brachte sagte im "ZDF Morgenmagazin", in Russland gäbe es gegenüber den aktuellen Geschehnissen "leider eine große Gleichgültigkeit". (Bild: ZDF / Screenshot)
Die live zugeschaltete Russland-Expertin Gesine Dornblüth brachte sagte im "ZDF Morgenmagazin", in Russland gäbe es gegenüber den aktuellen Geschehnissen "leider eine große Gleichgültigkeit". (Bild: ZDF / Screenshot)