Pflegenotstand bei "Maischberger": Jens Spahn verliert die Fassung

„Die große Überforderung: Wie lösen wir den Pflegenotstand?“ 75 Minuten diskutierten die Gäste bei „Maischberger“ über Heime und die Betreuung Angehöriger, über die Zukunft der Pflege.

Sie diskutierten bei Maischberger zum Thema “Pflege”: Thomas Greiner, Susanne Hallermann, Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU, Moderatorin Sandra Maischberger, Cindy Berger, Sandro Plett und Armin Rieger (v.l.n.r.) Foto: WDR/Max Kohr
Sie diskutierten bei Maischberger zum Thema “Pflege”: Thomas Greiner, Susanne Hallermann, Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU, Moderatorin Sandra Maischberger, Cindy Berger, Sandro Plett und Armin Rieger (v.l.n.r.) Foto: WDR/Max Kohr

„Wie lösen wir den Pflegenotstand?“ Das ist die entscheidende Frage, die Sandra Maischberger am Mittwochabend in die Runde wirft.

Es diskutierten:

  • Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)

  • Thomas Greiner, der Präsident des Arbeitgeberverbandes Pflege

  • Armin Rieger, ehemaliger Pflegeheimbetreiber, der jetzt als “Pflegerebell” bekannt ist, nachdem er Missstände in seiner Branche anprangerte

  • Schlagersängerin Cindy Berger (“Immer wieder sonntags”), die ihre Mutter bis zu deren Tod pflegte und nun in einem Verein Senioren betreut

  • Krankenschwester Susanne Hallermann, die ihre Großmutter pflegte und in der Folge in Hartz IV abrutschte

  • Altenpfleger Sandro Plett

Um eines vorweg zu klären: Selbst einmal seine Eltern zu pflegen, das kann sich und will sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nicht vorstellen. „Meine Eltern würden es auch nicht erwarten, dass ich meinen Beruf aufgebe“, sagte der CDU-Politiker am Mittwochabend in der ARD bei „Maischberger“. Für einen Herr Spahn dürfte es jedoch dank satter Diäten auch kein Problem sein, ein paar Tausender im Monat für ein Nobel-Pflegeheim aufzubringen. Für Hartz-IV-Bezieher, die laut Spahn schließlich weit von Armut entfernt sind, sieht das schon anders aus.

Spahns Credo der Stunde: Wir brauchen eine menschenwürdigere Pflege. Das klingt gut und absolut notwendig. Was er dafür letztlich tun wird und kann, das bleibt vage. „Ich sage nicht, dass alles gut ist. Wir sind in so einer Spirale und müssen diese umdrehen.“ Nur eines, das gab er zu bedenken: „Ich werde in drei Jahren nicht das Paradies schaffen.“ Was er schaffen will: einen bundesweit einheitlichen und verbindlichen Personalschlüssel – und die Pflegeversicherung, das kündigte er vorsichtig an, werde in den nächsten Jahren wahrscheinlich noch einmal teurer. Überraschung!

Nur ein Wunsch an Spahn

Fast drei Viertel aller Pflegebedürftigen werden von ihren Angehörigen und nicht im Heim betreut, von Menschen wie Cindy Berger und der Krankenschwester Susanne Hallermann. Die beiden haben ihre nahen Angehörigen, die Mutter beziehungsweise Großmutter, bis zum Tode gepflegt. Cindy Berger, der zweite Teil vom Schlager-Duo Cindy und Bert, könne sich das selbst für sich allerdings nicht vorstellen: Sie wolle niemandem zur Last fallen im Alter: „Ich möchte aus dem Leben scheiden, wenn es mir nicht mehr gut tut.“ Ein Punkt, der genug Stoff für eine weitere Maischberger-Runde böte. Mindestens.

“Gebührende Anerkennung”: Neuer Pflegebevollmächtigter will für bessere Löhne kämpfen

Wenn die beiden einen Wunsch hätten, den Herr Spahn dann auch noch erhören würde, dann wäre das mehr finanzielle Entlastung, mehr Unterstützung für die pflegenden Familienmitglieder: eine soziale Absicherung, weniger Papierkram, mehr Anlaufstellen.

Denn: Es gibt viele Gründe, wenn irgendwie möglich seine Liebsten zuhause zu pflegen: Weil das Heim zu teuer ist – oder man schlechte Bedingungen fürchtet, weil man Angst hat, die Angehörigen sonst „abzuschieben“, weil es zu wenige Plätze in guten Einrichtungen gibt…

Die Stützen des Pflegesystems sind am Ende ihrer Kräfte

Gäbe es mehr Pfleger wie Sandro Plett, viele würden ihre Eltern wohl mit besserem Gewissen und Gefühl in einer Einrichtung versorgen lassen. Er machte in dieser Runde deutlich, welch enorme Last auf den wichtigsten Stützen des Pflegesystems lastet: Es sei eine „Berufung“, würde er seinen Beruf nicht so schätzen, er könnte ihn kaum stemmen. Das System funktioniere nur noch, weil viele seiner Kollegen 150 Prozent geben und irgendwann Abstriche bei der eigenen Gesundheit machen. An Spahns Versprechen, 8000 neue Stellen zu besetzen, kann er kaum glauben, selbst wenn der Wille da ist: „Wo kommen die 8000 Stellen her?“, fragte er ihn. „Die wachsen nicht an Bäumen.“

Thomas Greiner, Präsident vom Arbeitgeberverband Pflege, glaubt, vieles habe sich zuletzt verbessert, die Entwicklung der letzten Jahre gehe in die richtige Richtung. Immerhin liege die Durchschnittsnote des Pflege-TÜVs für deutsche Heime doch bei der glanzvollen Note 1,2.

Noten sagen nichts über den wahren Zustand deutscher Heime aus

Dass diese Zahlen oft oberflächlichen Kontrollen entsprechen und oft nur schöner Schein sind, lässt er unerwähnt. Dafür gab es Gegenwehr, Pflegekritiker Armin Rieger bezweifelt die saubere Bilanz: „Wenn ich einen Speiseplan in Schriftgröße 14 auf Augenhöhe aushänge, bekomme ich eine Note 1. Da wird nicht geguckt, ob das Essen gut ist”, warf Armin Rieger ein. Und Plett pflichtete ihm bei: Alle Einrichtungen würden eine Eins oder Zwei bekommen. Die Noten verkämen zur Farce und seien für die Entscheidung für oder gegen ein Heim damit kaum hilfreich.

Offener Brief: Krankenschwester rügt Jens Spahn

Bei Kontrollen des Medizinischen Diensts der Krankenversicherung (MDK), werde oft nicht genau hingesehen. Ausländische Investoren würden von der Pflege profitieren. Nur mit schlechter Pflege kann Geld verdient werden. Das ist Riegers nüchterner Verweis.

Maischberger hakte nach: Kann es sein, dass das Problem mit der Pflege in Wahrheit an der Politik liege? Riegers Antwort: Ja. Denn: „Die Politik wird von den großen Pflegebetreibern beraten.“

Genug für Jens Spahn: „Ich weiß nicht, was sie für ein verqueres Bild von Politik haben“, entfuhr es ihm – mit Zornesfalte auf der Stirn. Fühlte sich da etwa jemand persönlich angegriffen – oder gar ertappt? Rieger blieb cool – und ergänzte: „Der Pflege-TÜV ist eigentlich durch die Politik sanktionierter oder legalisierter Betrug“.

In der Runde stand er mit dieser Haltung nicht allein. „Das ganze System muss geändert werden. Altenheime sind Wirtschaftsbetriebe. Die Kontrolle der Heime muss unabhängig sein“, pflichtete Hallermann ihm bei.

Fazit:

Nach 75 Minuten bleibt ein schales Gefühl. Das Pflegesystem steht vor dem Kollaps – doch viel mehr als halbgare Lösungsansätze und vage Ideen hat Gesundheitsminister Spahn bislang nicht. Man würde sich das Pflegeparadies wünschen – doch zumindest das kann Spahn versprechen: So schnell kommen wird es nicht.

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