Polen: Wächter der europäischen Verteidigung?

Polen: Wächter der europäischen Verteidigung?

Witness-Reporterin Valérie Gauriat reiste nach Warschau und an die nordöstliche Grenze Polens, um sich ein Bild von der potenziellen Gefahr einer Ausweitung des Ukraine-Konflikts auf Europa und den Erwartungen der EU- und NATO-Verbündeten zu machen.

Am 22. April nahmen rund 5.000 Soldaten aus sieben europäischen Ländern und den Vereinigten Staaten an einer NATO-Verteidigungsübung 80 km südlich der russischen Exklave Kaliningrad teil.

Die Übung war Teil der Operation Steadfast Defender 2024, der größten Manöverserie des Atlantischen Bündnisses seit dem Ende des Kalten Krieges, und diente der Überprüfung der Interoperabilität der Streitkräfte.

"Im Einklang mit unserem regionalen Plan üben wir die Verteidigung der Ostflanke Europas", erklärt General Krzysztof Król, Berater des Generalstabschefs der polnischen Armee, gegenüber euronews.

Wir fahren weiter nach Norden, zum Grenzposten Goldap, der 2 Kilometer von der russischen Exklave Kaliningrad entfernt liegt. Er ist seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine geschlossen.

Die Nähe der NATO-Truppen beruhigt die Bewohner der Region

Aber sie wollen für alle Eventualitäten gerüstet sein.

Piotr Bartoszuk, Direktor einer Berufsschule in Goldap, zeigt uns den virtuellen Schießstand im Keller der Schule.

Die militärische Ausbildung, die vom Verteidigungsministerium subventioniert wird, wurde in diesem Jahr in den Lehrplan aufgenommen.

"Wir tun alles, um unsere Gesellschaft darauf vorzubereiten, sich im Falle eines Angriffs zu verteidigen", sagt Bartoszuk, "das Zivilschutzgesetz, das in Polen in Arbeit ist, verpflichtet uns, die Menschen zu schulen und Schutzräume und Warnsysteme in Polen zu bauen."

"Ob es nun ein Science-Fiction-Szenario ist, dass Putin uns angreift oder nicht - es ist gut, vorbereitet zu sein."

Unterstützung für die Urkaine

Polen ist der größte europäische Geber von Militärhilfe für die Ukraine und fordert seine EU-Partner auf, ihre Unterstützung zu verstärken und die Verteidigungshaushalte zu erhöhen.

"Wir hatten noch nie ein größeres Gefühl einer so unmittelbaren Bedrohung. Wenn wir diesen erbitterten Krieg, der an den Grenzen Polens, Litauens, Lettlands und Estlands stattfindet, nicht beenden, könnten wir bald mit einer viel größeren Bedrohung konfrontiert werden. Und das ist eine Bedrohung für jedes europäische Land", erklärt Cezary Tomczyk, der polnische Vize-Verteidigungsminister, gegenüber euronews.

"Die Europäische Union ist heute die größte Volkswirtschaft der Welt. Wir sind in der Lage, die Kapazitäten aufzubauen, die es Europa ermöglichen, eine sichere Zone zu sein und sich dafür nicht an die Welt zu wenden", fügte er hinzu.

80 Prozent der Waffenkäufe kommen derzeit von außerhalb Europas, 60 Prozent davon aus den Vereinigten Staaten.

Neue Verteidigungsstrategie der EU

Im März schlug die Europäische Kommission eine neue Strategie vor, mit der die Verteidigungsindustrie der Union gestärkt werden soll.

Die Ambitionen der Europäischen Union sind zu bescheiden und werden gefährlich langsam verwirklicht, meint der Verteidigungsexperte Łukasz Maślanka vom Warschauer Zentrum für Oststudien:

"Wir hören von Frankreich, Italien und Deutschland viel über die europäische Verteidigung. Aber diesen Worten folgen keine Taten", sagte er gegenüber euronews.

"Heute scheint es unwahrscheinlich, dass Putin einen weiteren Krieg mit einem NATO-Land beginnt. Aber wer weiß, was in zwei Jahren sein wird? Wir wissen nicht, wer der Präsident der Vereinigten Staaten sein wird, oder ob es in einem wichtigen europäischen Land nicht eine rechtspopulistische Regierung geben wird, die die europäischen Bemühungen, Putins Aggression zu begegnen, behindern könnte. Das kann für ihn sehr bequeme Bedingungen schaffen, um seine Aggressionen in Europa fortzusetzen", warnte er.

Polen steht an vorderster Front, Europa zu verteidigen

Ein Gefühl, das von vielen in Polen geteilt wird. Immer mehr Bürger melden sich bei der polnischen Territorialverteidigung.

_"Die Gefahr ist sehr groß, denn die Ukraine verliert den Krieg, und der Westen hilft ihr nicht genug", meint_Grzegorz Szczepański, ein Freiwilliger der polnischen Territorialverteidigung, er sagte Valerie Gauriat. "Das Risiko einer Invasion in unserem Land ist sehr hoch."

"Man ist sich der Bedrohung durch den 'Großen Bären' aus dem Osten bewusst, der zu uns zurückkommt. Deshalb hat die Gesellschaft begonnen, sich auf den schlimmsten Fall vorzubereiten", sagt Obergefreiter Przemysław Łuszczki, Sprecher der Warschauer Brigade der territorialen Verteidigung, und schließt: "Wir wollen nicht, dass Russland Europa erneut erobert. Wir werden die ersten sein, die es verteidigen."