"Das Produkt unserer asexuell gelebten Liebe"

Am Freitag, 11. Oktober (22 Uhr, NDR), feiert die "NDR Talk Show" ihren 40. Geburtstag. Die Moderatoren Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt sind seit zwölf Jahren gemeinsam dabei. Ein Gespräch über "neue" Stars, heimliche Promi-Ängste und die blödeste Antwort der Welt.

Gibt es ein Rezept für gute Gespräche? Seit zwölf Jahren sind Barbara Schöneberger, 45, und Hubertus Meyer-Burckhardt, 63, gemeinsame Gastgeber der "NDR Talk Show". Am Freitag, 11. Oktober (22 Uhr, NDR), feiert das beliebte Kultformat 40. Geburtstag. Im Interview geben Schöneberger und Meyer-Burckhardtz, die auch privat ein sehr herzliches Verhältnis pflegen, Auskunft über Interna der professionellen Gesprächführung. Warum gibt es heute kaum noch Skandale in Talkshows? Weshalb benehmen sich die Stars anders als früher? Und was hat die Fußball-Philosophie Jürgen Klopps mit dem Ziel zu tun, eine gute Sendung auf die Beine zu stellen.

teleschau: Welche frühe Talkshow-Erinnerung hat Sie am stärksten geprägt?

Barbara Schöneberger: Als Kind waren Talkshows für mich die große, weite Welt. Weil man dort - und nur dort - die Stars abseits ihrer Kunst zu sehen bekam. Ich erinnere mich nicht nur an die "NDR Talk Show", sondern auch an Sendungen wie "Boulevard Bio". Da kamen dann Cecilia Bartoli und andere unerreichbare Menschen. Solche Talkshows waren eine Mischung aus unfassbarer Kultur und unfassbarer Prominenz. Das hat sich heute natürlich verändert.

Hubertus Meyer-Burckhardt: Der Unterschied zu früher ist, dass die Stars heute auch auf Social Media Kanälen stattfinden. Sie sind dadurch leichter erhältlich. Das ist natürlich eine Veränderung, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.

"Unsere Gesellschaft hat deutlich mehr Hornhaut bekommen"

teleschau: Hat sich auch der Begriff "Star" verändert?

Meyer-Burckhardt: Natürlich. Früher gab es viel weniger Stars. Die Schwelle, ab wann man als Star bezeichnet wurde, lag viel höher. Die Unterhaltungsindustrie von heute hat ein großes Interesse an Stars. Die Presse wollen ihre Auflagen erhöhen, Online-Portale ihre Klickzahlen.

teleschau: Der Star wurde zum Produkt, und die Unterhaltungsindustrie stellte fest, dass der Markt noch nicht gesättigt ist. Also produzierte man einfach mehr Stars. Ist es so einfach?

Barbara Schöneberger: Es gibt heute von allem mehr, weil eine sehr viel größere Anzahl von Kanälen bedient werden will. Allerdings lassen wir uns nicht vorwerfen, bei diesem Spiel mitzumachen. Wir jazzen oder jubeln niemanden hoch, der das nicht hergibt. Ich würde behaupten, dass bei uns in der Runde nur Menschen sitzen, die auch etwas leisten, worüber es sich zu reden lohnt.

Meyer-Burckhardt: Die wir auch respektieren! Denn nur so wird auch ein gutes Gespräch daraus. Man muss einen Gast schon selbst interessant finden, um einen guten Dialog zu führen.

teleschau: Gibt es bei Ihnen hinterher nie Zweifel, ob es richtig war, jemanden eingeladen zu haben?

Barbara Schöneberger: Doch, ab und an passiert das. Oft sind es Leute, bei denen wir uns hinterher fragen: Was machen die eigentlich beruflich? In dieser Hinsicht ist auch unser Publikum ein kritisches. Wenn die Qualifikation eines Gastes für die Runde zweifelhaft scheint, bekommen wir das auch über die Zuschauerreaktionen zu spüren.

teleschau: Was hat sich noch in der Talkshow geändert, außer dass wir Stars heute anders definieren?

Meyer-Burckhardt: Es gibt kaum noch Skandale in Talkshows. Manchmal wirft man das dem Format vor. Ich sage, dass es die Skandale immer noch gibt, es aber keiner mehr merkt. Unsere Gesellschaft ist viel liberaler geworden, was ich als positiv empfinde.

Barbara Schöneberger: Sie hat aber auch deutlich mehr Hornhaut bekommen!

Meyer-Burckhardt: Das stimmt, die Gesellschaft ist gleichgültiger geworden. Das ist die Kehrseite der Liberalität.

"Auch ich liege immer 0:1 zurück, wenn ich mit etwas beginne"

teleschau: Wie schwierig ist es, bei Beginn eines Gesprächs vorherzusagen, ob ein Interview gut wird?

Barbara Schöneberger: Hm, eine schwierige Frage. Mein Ansatz besteht immer darin, dass sich ein Gast wohlfühlen soll. Wer sich wohlfühlt, ist locker und öffnet sich. Eine gute Atmosphäre ist schon mal ein guter Start. Es gibt übrigens viele Leute, die schon seit Jahrzehnten im Rampenlicht stehen und vor einem solchen Talkshow-Auftritt trotzdem sehr aufgeregt sind. Man sollte das nicht unterschätzen. Meistens sind die Gespräche am besten, die anders ablaufen, als man es sich vorgenommen hat. Ein guter Gesprächspartner gibt seinem Gegenüber immer die Möglichkeit, dass Unterhaltungen eine andere Richtung einschlagen als geplant.

Meyer-Burckhardt: Es ist ohnehin gefährlich, sich auf Routinen zu verlassen. Je älter ich werde, desto mehr merke ich, dass diese Regel zutrifft. Wenn ich einen Film produziere, fühle ich mich heute meist so, als hätte ich noch nie einen Film produziert. Wenn ich ein Buch schreibe, fühle ich mich, als hätte ich noch etwas geschrieben. Und wenn ich ein Gespräch führe, dann denke ich zu Beginn oft, ich hätte das noch nie gemacht. Mittlerweile finde ich diese Entwicklung gut. Ich habe gelesen, Jürgen Klopp lässt seine Mannschaft immer im Bewusstsein trainieren, sie läge 0:1 hinten. Ich denke, das ist die Einstellung, die am meisten Erfolg verspricht. Auch ich liege immer 0:1 zurück, wenn ich mit etwas beginne.

teleschau: Also existiert kein Erfolgsrezept für ein gutes Gespräch?

Barbara Schöneberger: Keines, auf das man sich verlassen kann. Energien kann man nicht erzwingen. Es gibt Leute, von denen erwartet man nichts und es kommt ein flirrendes Gespräch, eine tolle Atmosphäre heraus. Und dann gibt es Gäste, da freut man sich im Vorfeld total, und dann flutscht einem das Ganze so durch - ohne große Highlights. Ich kenne das von mir selbst. Ich war oft bei Harald Schmidt zu Gast. Immer dachte ich vor so einem Besuch: Das muss jetzt einfach toll, geistreich und witzig werden. Manchmal war es das. Meist im Sinne einer Leichtigkeit. Und dann wieder waren es siebeneinhalb Minuten, die quälend langsam vor dem inneren Auge vergingen. Gute Unterhaltung lässt sich ganz schwer vorhersagen.

Meyer-Burckhardt: Ich sehe das genauso. Eigene Routinen sind nur dann von Nutzen, wenn etwas schiefläuft. Wenn ein Gast oder man selbst einen Blackout erleidet. Wenn jemand in der Runde klar provoziert oder die schlimmste aller Antworten gibt: "Diese Frage wird mir oft gestellt!" Darauf sollte man eine Antwort haben, die den Gast zwar nicht brüskiert, die aber zumindest eine gute Parade darstellt.

Wer sind die Alpha-Tiere? Wer die Schüchternen?

teleschau: Wann können Sie den Gemütszustand Ihre Gäste einschätzen? Erst dann, wenn ein Gespräch begonnen hat?

Barbara Schöneberger: Es gibt einen spannenden Moment vor Beginn der Sendung. Da stehen Hubertus und ich mit den Gästen, aber ohne ihre Manager oder Ehefrauen, im Stuhlkreis zusammen und wir besprechen, wer sich wohin setzt. Es ist ein Moment, da spürt man den Aggregatzustand einer Runde: Wer sind die Alpha-Tiere? Wer die Schüchternen? Sind Weltumarmer anwesend, denen es wichtig ist, dass sich alle wohlfühlen. Oft gibt es einen, der später kommt, weil er sich vielleicht zu schick fühlt, um mit den anderen im Kreis zu stehen ...

Meyer-Burckhardt: Und einer fragt auch fast immer: Wo kann ich auf Toilette gehen? Macht auch Sinn vor der Maske. Zwei Stunden können eine lange Zeit sein.

teleschau: Wen setzt man neben wen?

Barbara Schöneberger: Auch das gilt es, nach Gefühl zu entscheiden. Natürlich können ein paar Regeln dazwischenkommen, wegen der Kamera. Da geht es dann darum, wer von wem befragt wird und solche Dinge.

"Darauf antworte ich nicht, es wäre eitel "

teleschau: Wäre es im Sinne einer Gesprächsdynamik sinnvoll, Menschen nebeneinander zu setzen, die Stoff für Konflikte bieten?

Meyer-Burckhardt: Es gibt keine grundsätzlichen Konflikte mehr. Jedenfalls keine, die vor Beginn der Sendung feststehen. Wenn man früher zu einem Essen eingeladen hat, war klar, dass man einen Franz Josef Strauß-Anhänger nicht neben einen SPD-Mann setzte. Das ist doch heute völlig egal. Kein CSU-Mann hätte heute ein Problem damit, neben einem Grünen zu sitzen - und umgekehrt. Heute fährt der Manager mit dem Porsche zum Bob Dylan-Konzert, will aber von diesem noch den Klassenkampf hören.

teleschau: Können Sie sich noch an das prägendste Talkshow-Erlebnis Ihres Lebens erinnern, Herr Meyer-Burckhardt?

Meyer-Burckhardt: Es gab zwei, beide haben mit Frauen zu tun hatten. Mein tollster Gast war Lotti Huber, eine KZ-Überlebende und Legende, die schon sehr krank war, als sie bei uns war, aber dennoch sehr heiter. Die zweite prägende Erinnerung sitzt mir gerade gegenüber: Barbara Schöneberger, die der Grund dafür ist, dass ich zur Talkshow zurückgekehrt bin. Ich glaube nicht, dass ich es sonst noch mal gemacht hätte.

teleschau: Was macht Ihre besondere Energie aus?

Meyer-Burckhardt: Darauf antworte ich nicht, es wäre eitel.

Barbara Schöneberger: Dann rede ich. Ich habe keine Probleme mit der Frage. Ich glaube, wir beide treffen uns einfach sehr gerne und sind immer gespannt, was in den letzten ein, zwei Wochen beim anderen passiert ist. Beim Besprechen haben wir immer extrem viel Spaß. Die Sendung ist sozusagen ein "Abfallprodukt" dieser Neugier - denn wir machen einfach weiter, wenn die Gäste da sind. Wenn man so will, ist die "NDR Talk Show" das Produkt unserer asexuell gelebten Liebe.