Rekord an weltweiten Hinrichtungen: Ändert sich nun unsere Außenpolitik?

Amnesty International stellt neue Jahresstatistik vor – Einige Staaten treiben Exekutionen voran – Todesstrafe als Druckmittel von Regimen

German Foreign Minister Annalena Baerbock and Justice MJustizminister Marco Buschmann (FDP) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) beim Weltkongress gegen die Todesstrafe im November 2022 in Berlin (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)nister Marco Buschmann arrive to attend the ECPM's 8th World Congress Against the Death Penalty, in Berlin, Germany November 15, 2022. REUTERS/Michele Tantussi
Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) beim Weltkongress gegen die Todesstrafe im November 2022 in Berlin (Bild: REUTERS/Michele Tantussi)

Es ist gewiss keine Sache von unterschiedlichen Kulturen: Die weltweiten Hinrichtungen durch Staaten nehmen wieder zu. Sie nutzen sie nicht, um ein besseres Rechtssystem durchzusetzen, oder etwa Gerechtigkeit. Es geht nur um die Autorität von Wenigen, die Angst vor dem Volk haben. Das sollte Folgen auch für uns haben.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Wir feiern uns, weil wir irgendwie gut und nett sind. Also, denken wir zumindest. Leute werden in Deutschland nicht willkürlich ins Gefängnis gesteckt, Folter ist geächtet. Wer unter Anklage steht, kriegt einen Anwalt und einen fairen Prozess – meistens. Es gibt soziale Absicherung (für viele), eine Jobvermittlung. Und um wirklich bis ans Lebensende hinter Gitter zu kommen, muss man schon eine Menge angestellt haben.

Das alles hat sich Deutschland zurecht herbei organisiert, und es ist viel besser als schlechter. Alles macht Sinn. In anderen Ländern läuft es anders, und die Spitze des Anderen hat nun die Menschenrechtsorganisation Amnesty International vorgestellt: die neuste Statistik über Todesstrafen und Hinrichtungen auf der Welt. Es ist ein Who is who des Grauens. Das will man ja nicht vor der Haustür haben.

Wäre diese Statistik ein Seismograph für den Stand der menschlichen Zivilisation, schlüge er jetzt heftig aus. Amnesty führt für 2023 mindestens 1153 Exekutionen in 16 Ländern auf. Das sei die höchste Zahl gerichtlicher Hinrichtungen seit 2015, heißt es. Im Vorjahr 2022 hatte man 883 vollstreckte Todesurteile ermittelt. Auch die Zahl der global neu verhängten Todesurteile stieg 2023 gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent.

Und es gibt eindeutige Spitzenreiter. Fast drei Viertel der Hinrichtungen gab es im Iran, mit einer Steigerung um 48 Prozent. Man starb durch die Hand des Staates etwa wegen Drogen. Saudi-Arabien folgt auf dem zweiten Platz. Zwar sank die Zahl der vollstreckten Todesurteile um zwölf Prozent auf 172. Aber nicht nur, dass es im Land als Tötungsart die Enthauptung gibt, eine Menge Todesurteile wurden nach unfairen Verfahren beschlossen, in den Gefängniskellern wird gefoltert, was das Zeug hält. Das ist effektiver, wenn man ein Geständnis will. Irgendeines. Und die Gründe für ein Todesurteil sind banal: Da reicht schon mal ein regimekritischer Post, und weg ist man.

Dann gibt es noch sehr, sehr viele Hinrichtungen, von denen man ausgehen muss, die aber in keiner Statistik auftauchen – in China oder Vietnam, aber das wird geheim gehalten. Warum eigentlich? Weil sich da das alte Volkswort bewahrheitet: Wer flüstert, der lüstert, der lügt.

Apropos, in Nordkorea kann schon die Todesstrafe ausgesprochen werden, wenn man nicht Koreanisch spricht. Eiderdaus. Das klingt recht konsequent.

Doch was steckt dahinter? Den Herrschenden in diesen Ländern geht es nur um eines: Sie wollen an der Macht bleiben. Denn sie wissen, dass sie im Grunde schlecht sind. Daher fürchten sie sich vor der eigenen Bevölkerung. Diese Angst geben sie zurück, indem sie diese verbreiten – auch mittels der Androhung von Todesstrafen. Jemanden offiziell das eine nehmen, das man hat, nämlich das Leben, ist ziemlich machtvoll. Und Macht ist die Droge von Regimen wie in Riad, Teheran, Peking und Pjöngjang.

Nun könnte man sagen: Welch Glück, dass ich auf meiner Hollywoodschaukel in Castrop-Rauxel sitze, da gibt es sowas nicht. Nicht wenige in der AfD zum Beispiel zweifeln an, dass Menschenrechte universell gelten können, also für alle Menschen, nicht nur für die an der Emscher. Daraus leiten sie ab, sich nicht einzumischen, es als nicht ihr Bier zu deklarieren. Sowas nennt man einen schlanken Fuß. Nun ist es aber nicht kulturelle Tradition, in Saudi-Arabien für einen Post in Social Media, der einem der Prinzen nicht gefällt, zu verschwinden. Das zu kritisieren, ist keine westliche Ignoranz, kein liberaler Dünkel. Von oben herab ist es auch nicht automatisch.

Denn man hat als Mensch überall auf der Welt das Recht, als Mensch behandelt zu werden. Das hat Folgen.

Wenn wir uns also in Deutschland oder im „Westen“ oder im „Globalen Norden“ so toll finden, dann sollten wir unseren Werten ein wenig Futter geben. Warum sind wir dem Regime in Riad immer noch freundschaftlich verbunden? Warum wurde die Protestbewegung im Iran nicht konsequenter unterstützt? Was wird alles bei den Konsultationen mit Peking wie und wie laut thematisiert?

Es sollte ganz leicht sein. Wer sein Volk unterdrückt, sollte kein Dinnerpartner sein. Nur, wenn es sein muss, nicht aber einfach so. Unsere Außenpolitik könnte sich ja danach einmal auszurichten versuchen.