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"Wir riskieren das Ende der Gesellschaft": Was Harald Lesch jetzt zum Klimaschutz einfordert

"Es ist unsere letzte Chance!" - In einer ZDF-Primetime-Doku klärte Professor Harald Lesch auf über menschengemachten Klimawandel und das verheerende Potenzial sogenannter "Kipppunkte". Die Politik müsse unverzüglich und "im großen Stil" handeln.

Eine "Menschheitsaufgabe" sei der Klimaschutz. Das Wort hat nicht Greta Thunberg gebraucht, sondern tatsächlich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Rhetorisch hat sich die Große Koalition in Berlin zuletzt ganz nah an den "Fridays for Future"-Duktus gerobbt. Politisch liegen indes noch ganze Permafrostgebiete dazwischen. Am Freitag wollen Union und SPD bekanntlich ihren Maßnahmenkompromiss zum Erreichen der deutschen Klimaziele bis 2030 vorlegen, der, wenn nicht alles täuscht, wohl ein Lehrstück in politischer Halbherzigkeit sein wird.

Da schadet es nicht, dass das ZDF in der Woche der Treibhaus-Wahrheit seinen wissenschaftlichen Chef-Erklärer auf Primetime-Mission geschickt hat. "Klimawandel - Die Fakten mit Harald Lesch" bemühte sich der Sendetitel um Versachlichung einer buchstäblich aufgeheizten Debatte. Doch ohne emotionalen Appell kam auch der Physiker der LMU München nicht aus.

"Es ist unsere letzte Chance"

"Wenn wir nicht in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dramatisch umsteuern, riskieren wir den Kollaps des Klimas und das Ende unserer Gesellschaft", leitete Professor Harald Lesch den 45-minütigen Doku-Beitrag ein. "Noch ist es nicht so weit, aber es ist unsere letzte Chance." Donnergrollen. Unwetter-Impressionen. Der Klimawandel ist in den letzten Jahren haptisch geworden. Für einige Menschen auf diesem Planeten freilich mehr als für andere.

Vielleicht hilft es ja, Schreckensbilder wie diese über den Äther zu schicken: Zehntausende verendete Fledermäuse als Folge einer Hitzewelle 2018 in Australien. "Noch zwei solcher Ereignisse", rechnet eine Umweltaktivistin im Film vor, "und die Spezies ist weg." Oder: Vater und Sohn gefangen in der Waldbrandhölle von Montana, ebenfalls 2018. Wie durch ein Wunder sind die Männer entkommen. Der Spezies Mensch wird dieses Kunststück der Faktenlage nach wohl nicht gelingen, sollte sie der Verführung erliegen, einfach weiterzumachen wie bisher.

Schlichte Kausalketten des Grauens

"Wir wissen seit 100 Jahren, dass die Temperatur des Planeten sich erhöht, wenn wir den CO2-Gehalt der Atmosphäre erhöhen", sagt der deutsche Klimaforscher Professor Anders Levermann im Film. "Das ist Grundlagenphysik." Nein, einen überambitionierten Erkläranspruch verfolgt der ZDF-"Faktencheck" wahrlich nicht, in dem Lesch Klimaforscher und -aktivisten aus der ganzen Welt sprechen lässt. Geduldig fangen die leidgeprüften Koryphäen noch mal bei Adam und Eva an. Wenn es wärmer wird, verdunstet mehr Wasser aus den Ozeanen - Starkregen und Überschwemmungen können die Folge sein. Wenn das Eis in der Antarktis schmilzt, steigt der Meeresspiegel weltweit an. Und wenn der Meeresspiegel ansteigt, verlieren wir unsere Küstenstädte. Es sind sehr schlichte Kausalketten des Grauens. Aber noch gibt es ja genügend Menschen, die all das für Panik-Rhetorik halten.

Dass hinter dem Beschwichtigen und Leugnen nicht selten industrieller Lobbyismus steckt: auch nicht neu. Und doch ist es immer wieder eine Schau zu sehen, wie etwa der US-Senator James Inhofe 2015 einen Schneeball durchs Parlament wirft, um zu belegen, dass es mit der Erderwärmung ja nicht weit her sein könne. "Es haben im Wesentlichen die fossilen Industrien verhindert, dass sich ernsthaft etwas tut", kennt Professor Claudia Kemfert vom Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung die Hauptschuldigen. "Die ewig Gestrigen, die sich gar nicht wandeln wollen und keine neuen Geschäftsinteressen sehen und immer noch alles tun, um den Wandel zu behindern." Der Harvard-Jurist Professor Richard Lazarus pflichtet ihr bei: "Vor allem die Öl- und Gas-Industrie hat eine konzertierte Kampagne geführt, um die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse zu verunglimpfen."

"Selbst der günstigste Fall ist immer noch sehr schlecht"

Mit den gesicherten "Erkenntnissen" in Bezug auf Prognosen ist es allerdings in der Tat so eine Sache, wie die im Film interviewten Forscher freimütig einräumen. Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird unser Planet am Ende des Jahrhunderts zwischen drei und sechs Grad heißer sein, wird vorgerechnet. Drei Grad "Unsicherheitsspanne" in den Berechnungen, das ist nicht wenig. Nur: "Selbst der günstigste Fall ist immer noch sehr schlecht."

Und wer mag voraussehen, was hinter sogenannten "Kipppunkten" lauert, die Dominoeffekte auslösen, welche "den Klimawandel dramatisch beschleunigen". Was passiert, wenn der Amazonas-Regenwald so weit gebrandrodet wird, dass er unwiederbringlich verloren ist? Auch der Blick in die auftauenden Permafrostgebiete Russlands und der Arktis dient nicht der Sorgenzerstreuung. Hier entweicht Metangas aus der auftauenden Erde, ein 20-mal stärkeres Treibhausgas als CO2.

"Wir müssen im großen Stil ausbauen"

Was also tun gegen die Gefahr von Dürren, Stürmen, Überschwemmungen und Hitzewellen - und die in der Folge zu erwartenden Engpässe in der Nahrungsmittelproduktion? Auf technische Innovationen wie den Kohlenstofffänger bauen? Dauert bestenfalls Jahrzehnte, bis die zur Martkreife gelangen. Flächendeckend aufforsten? Ein prima Gedanke zur CO2-Reduktion in der Atmosphäre, nur leider "lange nicht genug, um tatsächlich das Klimaproblem zu lösen", wie der Klimaforscher Anders Levermann kundtut.

"Wir müssen im großen Stil ausbauen", mahnt Harald Lesch in einer Art Schlussplädoyer. "Solaranlagen bauen, Windräder bauen, Speicher bauen und Leitungen. Vor allem aber Energie sparen." Das Merkwürdige sei nämlich: "Obwohl wir die Erneuerbaren ausgebaut haben, hat sich unsere Kohlendioxidemission kaum verringert."

Also raus aus der verschwenderischen Konsumlogik, rein in ein Denken in Konsum-"Kreisläufen", wie die Energie-Ökonomin Professor Claudia Kemfert fordert? Unbedingt. Nur entscheidend sei es leider nicht, sich als Ottonormalverbraucher vom ökologischen Gewissen leiten zu lassen. "Entscheidend ist, dass jeder Einzelne von der Politik einfordert, dass dieses Problem global gelöst wird", sagt der Forscher Levermann. Und damit ist dann auch diese Doku am Ende bei der Reiz- und Erlöserfigur der Klimakrise angelangt, bei Greta Thunberg und ihren weltweit kopierten Schulstreiks zur Klimarettung. Ein etwas kitschiges Filmende vielleicht. Aber Zeit, sich mit Stilkritik aufzuhalten, ist jetzt sicher nicht mehr.