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RTL: Hommage an Dieter Bohlen war Fernsehen zum fremdschämen

Eines muss man RTL lassen. Der Sender zeigt außergewöhnlichen Mut. Über drei Stunden lang bombardierte er zur Primetime am Samstagabend seine Zuschauer mit Songs von Dieter Bohlen. „Dieter Bohlen – Die Mega-Show“, nannte RTL den Frontalangriff auf Gehör und Geschmack. Bohlens Hit „You’re my heart, you’re my soul“, dudelte quasi in einer Endlosschleife aus der Flimmerkiste.

Andererseits: Bohlen hat Millionen Platten verkauft. Es scheint also ein Publikum für seinen Blubber-Pop zu geben. Fakt ist: Der Mann ist Deutschlands erfolgreichster Musikproduzent. Allein mit „Modern Talking“ setzte er mehr als 42 Millionen Tonträger ab, schaffte es fünf Mal hintereinander auf Platz eins der Charts. Dazu schrieb er für andere Künstler unzählige Hits.

Dabei wurde Bohlen nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren, sondern stammt aus einfachen Verhältnissen. Seine Eltern zählen nicht zu jener Spezies, die Sohnemann gleich nach der Windelphase zum Klavierunterricht schicken, weil sie ihn für einen kleinen Mozart halten. Zunächst studierte Bohlen Betriebswirtschaftslehre, bevor er die Musik zum Beruf machte. Der Rest ist Geschichte. 2002 startete er dann seine zweite Karriere als Juror in der Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) – auch dabei avancierte er zum Publikumsliebling. Warum also keine Samstagabendsendung, in der sich alles um den erfolgreichen Ostfriesenjunge dreht? Das dachte man auch bei RTL.

Leider wurde aus der Idee Fernsehen zum fremdschämen. Das lag nicht an Dieter Bohlen, sondern an den Auftritten der anderen Gäste. Kay One beispielsweise. Der Gangsterrapper-Darsteller präsentierte eine eigene Version der „Modern Talking“-Nummer „Brother Louie“ und schaffte es spielend, Bohlens schon sehr simplen Ursprungstext in eine unterirdisch peinliche Liebeserklärung an einen französischen Handtaschenhersteller zu verwandeln. Kostprobe: „Ich hab’ Style, ich hab’ Geld, ich trag Louis, Louis, Louis; deine Frau zieht sich aus für ne Louis, Louis, Louis.“ Was kommt als nächstes? Bushido covert Songs von Andrea Berg und macht aus ihren Song „Schenk mir einen Stern“ eine Werbehymne für Mercedes?

Apropos Andrea Berg. Die Schlagersängerin tauchte ebenfalls in der gestrigen „Mega-Show“ auf und verriet das Geheimnis ihrer erfolgreichen Zusammenarbeit mit dem Poptitan: „Ich rutsche an seinem Beuteschema vorbei, bin auch schon zehn Jahre zu alt und deshalb kann er sich voll auf die Musik konzentrieren.“ Schön, dass wir das nun auch geklärt haben. Spätestens als Frau Berg einen ihrer vertonten Kalendersprüche sang, wünschte man sich ein Comeback von „Modern Talking“.

Anschließend erklärte der frühere Herausgeber der „Bild“-Zeitung, Kai Dieckmann, via Einspieler: „Es ist gut, dass Bohlen von deutschen auf englische Texte gewechselt hat, die versteht man nicht.“ Ein schönes Eigentor, das einiges über die Fremdsprachen-Kenntnisse des Ex-Chefs von Europas größter Boulevardzeitung aussagt. Schließlich speist sich Bohlens Dichtkunst aus einem überschaubaren Wortschatz.

Für den nächsten Tiefpunkt sorgte Bruce Darnell, der sich einen ballonseidenen Trainingsanzug überzog und unverständliches Zeug brabbelte. Der frühere DSDS-Sieger Pietro Lombardi, der die Trennung von Ehefrau Sarah offenbar abwechselnd in der Muckibude und im Burger-Restaurant verarbeitet, trällerte „Call my name“ und fasste sich dabei ständig in den Schritt. Verstörend.

So vergingen die Stunden, in denen Bohlen die Huldigungen mit einer Engelsgeduld ertrug. Vielleicht half ihm dabei seine Philosophie, die er gleich zu Beginn der Show verriet: „Bei Modern Talking habe ich gelernt: Geht die Kamera an, Grinsegesicht anschalten.“ Für alle anderen blieb immerhin der Abschaltknopf. (fb)

Fotos:

RTL / Stefan Gregorowius

Im Video: So sahen die DSDS-Juroren früher aus