Die Rufe nach einem harten Lockdown werden lauter

Das warme Frühlingswetter lässt Appelle zum Abstandhalten oft verhallen. Wissenschaftler mahnen, die Lage sei ernst. In Hamburg gilt von Freitag an eine nächtliche Ausgangsbeschränkung.

Hamburger sitzen bei warmen 20 Grad Lufttemperatur im Licht der untergehenden Sonne auf dem Lüftungsbauwerk des Elbtunnels bei Övelgönne.
Hamburger sitzen bei warmen 20 Grad Lufttemperatur im Licht der untergehenden Sonne auf dem Lüftungsbauwerk des Elbtunnels bei Övelgönne.

Hamburg (dpa) - Angesichts der hohen Zahl von Corona-Neuinfektionen in Hamburg hat der Senat eine nächtliche Ausgangsbeschränkung beschlossen.

Ab Karfreitag sollen die Hamburger zwischen 21.00 Uhr abends und 5.00 Uhr morgens zu Hause bleiben, wenn sie keinen triftigen Grund haben, ihre Wohnung zu verlassen, sagte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am Mittwoch.

Außerdem sollen die Kindertagesstätten nach Ostern wieder in den erweiterten Notbetrieb gehen. An Schulen soll der teilweise Präsenzunterricht aufrechterhalten werden, für Schüler und Lehrer aber eine Testpflicht gelten.

In Unternehmen soll die Maskenpflicht verschärft werden. Sobald mehr als ein Mensch in einem Raum arbeitet, müssen medizinische Masken getragen werden. Tschentscher appellierte an die Unternehmen, Schnelltests bei den Mitarbeitern durchzuführen. Sollten freiwillige Selbstverpflichtungen nicht ausreichen und der Bund keine entsprechende Regelung treffen, werde Hamburg auch eigene Maßnahmen ergreifen, sagte er. Die neue Eindämmungsverordnung gilt vorerst bis zum 18. April.

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Die Hamburger Sieben-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen, kletterte am Mittwoch von 153,7 auf 163,7.

Forderungen nach hartem Lockdown

Nach ersten Lockerungen und Test-Projekten mehren sich derweil Forderungen aus der Wissenschaft nach einem neuen harten Lockdown. Die Situation in der dritten Pandemiewelle sei leider «sehr ernst und sehr kompliziert», sagte der Charité-Virologe Christian Drosten im NDR-Podcast «Coronavirus-Update». Für ihn bleibe nur noch der «Holzhammer». Auch Amtsärzte fordern einen konsequenten Lockdown.

Markus Söder (CSU) und Winfried Kretschmann (Grüne) fordern in einem gemeinsamen Brief an ihre 14 Ministerpräsidenten-Kolleginnen und -Kollegen eine strikte Anti-Corona-Politik mit einer konsequenten Umsetzung der Notbremse in Hotspots, auch mit nächtlichen Ausgangsbeschränkungen. Zudem plädieren die Regierungschefs von Bayern und Baden-Württemberg für eine Corona-Testpflicht an den Schulen nach den Osterferien.

«Die dritte Welle rollt seit einigen Wochen unerbittlich über das Land. Die Lage ist ernst, ernster als viele glauben», heißt es in dem Brief, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Zuvor hatte die «Süddeutsche Zeitung» darüber berichtet. «Wir müssen daher unsere Verantwortung jetzt wahrnehmen und dürfen nicht länger diskutieren. Das Virus verzeiht keine Verzögerungen», mahnen Söder und Kretschmann.

Innerhalb von drei Wochen hat sich die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz - also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche - verdoppelt. Hatte der Wert am 10. März noch bei 65 gelegen, gab ihn das Robert Koch-Institut (RKI) am Mittwoch mit 132 an. Auch die Zahl der Covid-Patienten auf Intensivstation war zuletzt wieder gestiegen.

«Getragen von einem einheitlichen Geist gilt es jetzt, die Notbremse ohne weiteres Überlegen und Zögern konsequent umzusetzen. Hierzu gehören nächtliche Ausgangsbeschränkungen und adäquate Kontaktbeschränkungen bei einer Inzidenz über 100 sowie eine konsequente FFP2-Maskenpflicht und Tests», sagten Söder und Kretschmann.

Merkel noch nicht entschieden

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach eigenen Angaben noch nicht entschieden, wie ein schärferer bundeseinheitlicher Kurs zur Bekämpfung der Corona-Pandemie aussehen könnte. «Der Prozess des Nachdenkens ist noch nicht abgeschlossen», sagte die CDU-Politikerin am Dienstagabend. «Ich weiß nur, dass es wichtig ist, angesichts der dritten Welle, in der wir sind, alles zu tun, um diese Welle möglichst schnell zu brechen.»

Die Kanzlerin hatte am Sonntagabend in der ARD-Sendung «Anne Will» einen Teil der Länder dafür kritisiert, dass sie die vereinbarten Beschlüsse gegen die Pandemie nicht umsetzten. Wenn das nicht «in sehr absehbarer Zeit» geschehe, müsse sie sich überlegen, wie sich das vielleicht auch bundeseinheitlich regeln lasse.

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«Ich glaube, es wird nicht ohne einen neuen Lockdown gehen, um diese Dynamik, die sich jetzt ohne jeden Zweifel eingestellt hat, noch einmal zu verzögern», sagte nun Drosten. «Es ist klar, es müssen die Kontakte reduziert werden.» Die Vorhersage der Modelle für die dritte Corona-Welle sei leider noch überschritten worden. Noch in dieser Woche werde die Zahl der Nachweise der britischen Variante B.1.1.7 über 90 Prozent erreichen. Sie sei eindeutig krankmachender und tödlicher als das Ursprungsvirus, sagte der Virologe.

«Lockerungen führen dazu, dass die Menschen zu viele Kontakte haben», sagte die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Ute Teichert, der «Rheinischen Post». Verbunden mit hohen Fallzahlen werde die Nachverfolgbarkeit für die Gesundheitsämter «schwierig bis unmöglich». Ließen sich Kontakte von Infizierten nicht nachverfolgen, gerate die Pandemie vollends außer Kontrolle.

Impfungen könnten die dritte Welle noch nicht brechen. Erst recht nicht, wenn das Vakzin des Herstellers Astrazeneca nun erst einmal für Menschen unter 60 ausfalle, um die Ursache sehr seltener Hirnvenenthrombosen bei Geimpften zu klären.

Die Fallzahlen zu senken sei daher entscheidend, ergänzte Teichert. «Dies ist nur mit einem konsequenten Lockdown machbar.» Parallel dazu müssten Konzepte entwickelt werden, wie mit einer Test- und Impfstrategie sowie mit Apps zur digitalen Nachverfolgung Lockerungen möglich seien - «aber erst, wenn die Fallzahlen unten sind».

Bisher zeigt sich in Ländern und Kommunen eher ein Flickenteppich von Maßnahmen - vom Ausprobieren weitreichender Teststrategien wie zum Beispiel in Tübingen bis hin zu nächtlichen Ausgangsbeschränkungen wie in Brandenburg oder Mainz.

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