Russland setzt auf Straftäter in Angriffskrieg - Zoff mit Wagner-Chef

Schon lange kämpfen russische Straftäter im Angriffskrieg in der Ukraine. Nun legalisiert die Staatsduma das Anwerben von Kriminellen. Zwischen Moskau und dem Söldner-Chef Prigoschin wird der Streit indes schärfer. Friedensappelle kommen von deutschen Top-Politikern.

Jewgeni Prigoschin, Chef der russischen Privatarmee Wagner Group (Bild: Uncredited/AP/dpa)
Jewgeni Prigoschin, Chef der russischen Privatarmee Wagner Group (Bild: Uncredited/AP/dpa)

Russland setzt in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine nun auch offiziell vermehrt auf Straftäter und lockt sie mit der Aussicht auf Amnestien an die Front. Das Parlament in Moskau legalisierte am Dienstag die Anwerbung von Kriminellen. Jewgeni Prigoschin hatte schon früher Verbrecher für seine Söldnertruppe Wagner rekrutiert und am Wochenende gesagt, dass 32 000 der aus Gefängnissen angeworbenen Straftätern nach ihrem Einsatz in der Ukrainer wieder nach Hause zurückgekehrt waren.

Just zwischen Prigoschin und dem Verteidigungsministerium in Russland soll laut britischen Geheimdiensten aber ein Streit eskalieren. Dabei gehe es um die Eingliederung von Wagner in die russische Armee.

Unterdessen appellierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Rahmen von Regierungskonsultationen mit China an die Volksrepublik, ihren Einfluss auf Russland mit dem Ziel eines Waffenstillstandes und eines Friedens geltend zu machen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte bei einem Besuch in Kasachstan einen «gerechten Frieden» für die Ukraine, der Souveränität und Integrität des Landes wahre.

Russland hatte das Nachbarland am 24. Februar 2022 angegriffen. Vor wenigen Wochen startete Kiew eine Gegenoffensive zur Befreiung von Gebieten vor allem im Südosten des Landes.

Russisches Parlament legalisiert Rekrutierung von Straftätern

Russland will Straftäter für den Militäreinsatz in der Ukraine gewinnen. Ein entsprechendes Dokument des Parlaments nimmt nur jene Kriminellen aus, «die zuvor wegen terroristischer und extremistischer Handlungen verurteilt wurden sowie wegen Vergehen gegen die sexuelle Unantastbarkeit von Minderjährigen», hieß es auf der Seite der Staatsduma. Soldaten an der Front sollen bei nicht schweren Verbrechen wie Betrug oder Diebstahl von der Strafverfolgung befreit werden. Zudem sei es möglich, sich durch den Erhalt von Orden beim Kriegsdienst oder durch das Ausscheiden aus dem Dienst nach Verletzung beziehungsweise Erreichen der Altersgrenze von Ermittlungen und Vorstrafen zu befreien, heißt es in dem Gesetz.

London: Wagner-Chef tritt immer konfrontativer gegen Moskau auf

Dass die Wagner-Söldner schon 2022 massiv Straftäter aus Gefängnissen angeworben hatten, war bekannt. Söldnerchef Prigoschin klagte nun, dass ihm der Zugang zu russischen Gefängnissen versperrt worden sei. Zudem verschärft sich wohl ein Streit mit Moskau: Das britische Verteidigungsministerium zitierte den Wagner-Chef mit den Worten, er fordere eine Antwort auf einen «Vertrag», den er dem russischen Verteidigungsministerium vorgelegt habe. Hintergrund sei ein Ultimatum Moskaus, wonach Wagner und andere «Freiwilligenformationen» sich bis 1. Juli vertraglich dem Ministerium unterstellen sollten. London sieht in Prigoschins konfrontativem Vorgehen den Versuch, «die Autorität der offiziellen Militärbehörden zu untergraben».

Scholz appelliert an China, auf Moskau einzuwirken

Bundeskanzler Scholz hofft indes, dass China seinen Einfluss auf Russland geltend mache, um für ein Ende des Krieges zu werben. Bei einem gemeinsamen Auftritt mit Chinas Ministerpräsident Li Qiang im Kanzleramt in Berlin sagte er, China trage als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats «eine ganz besondere Aufgabe». Scholz betonte, es sei wichtig, dass China keine Waffen «an den Aggressor Russland» liefere. Er erinnerte an einen China-Besuch im November, bei dem mit Präsident Xi Jinping klargestellt worden sei, dass es keine Drohung mit und «schon gar keinen Einsatz» von Atomwaffen geben dürfe.

Steinmeier betont Ukraines Recht auf «gerechten Frieden»

Bundespräsident Steinmeier sagte in Astana bei einem Treffen mit dem kasachischen Präsidenten Kassym-Schomart Tokajew, das Ziel in der Ukraine müsse ein «gerechter Friede» sein, der Souveränität und Integrität des Landes wahre. «Davon sind wir nach Lage der Dinge entfernt.» Diese Einschätzung teilte Gastgebers Tokajew nicht, der für einen möglichst schnellen Waffenstillstand plädierte und sagte, «dass ein schlechter Frieden besser ist als ein guter Krieg».

Flucht aus der Ukraine sorgt für Bevölkerungsanstieg in Deutschland

Unter anderem wegen der Flüchtlinge aus der Ukraine ist die Bevölkerung in Deutschland im vorigen Jahr um 1,3 Prozent respektive mehr als 1,1 Millionen Menschen gewachsen. Diese Entwicklung sei auf einen deutlichen Anstieg der Nettozuwanderung auf 1,455 Millionen Menschen zurückzuführen, berichtete das Statistische Bundesamt. Vor allem Fluchtbewegungen aus der Ukraine hätten dazu beigetragen. Ende 2022 lebten demnach gut 84,4 Millionen Menschen in Deutschland. Im Jahr zuvor war nur ein leichter Bevölkerungsanstieg um 0,1 Prozent oder 82 000 Menschen verzeichnet worden. Die Zahl der Ukrainer in Deutschland stieg um 915 000 Menschen. Damit habe sich die Zahl der in Deutschland lebenden Ukrainerinnen und Ukrainer zwischen Jahresanfang und -ende mehr als versechsfacht, hieß es.

UN wollen beim Wiederaufbau der Ukraine kleine Firmen fördern

Die Unterstützung kleinerer und mittlerer Unternehmen gehört nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) zu den nächsten Zielen beim Wiederaufbau der Ukraine. Hier sei mit finanzieller Starthilfe viel für eine wirtschaftliche Erholung zu erreichen, sagte der Chef der UN-Entwicklungsagentur UNDP, Achim Steiner. Außerdem müssten die Schulen repariert werden, damit Zehntausende von Schülern bald wieder in den Unterricht könnten, forderte Steiner am Tag vor einer in London stattfindenden zweiten Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine.

Die Summe für den Wiederaufbau des vom russischen Angriffskrieg teilweise zerstörten Landes könne nicht genau beziffert werden. «Die Größenordnung ist jedenfalls atemberaubend und wird weiter wachsen», sagte Steiner. Nach Schätzungen aus Kiew liegt der Bedarf bei rund 750 Milliarden US-Dollar (686 Milliarden Euro).