Schauspielerin Judith Neumann: "Wir Frauen haben jedes Recht, unsere Träume zu leben!"

Auf die Weihnachtszeit freut sich Judith Neumann besonders: Sie wird mit ihrer Familie "mit Plätzchen und Glühwein neben wohlig eingeheiztem Kamin" sitzen. (Bild: Jeanne Degraa)
Auf die Weihnachtszeit freut sich Judith Neumann besonders: Sie wird mit ihrer Familie "mit Plätzchen und Glühwein neben wohlig eingeheiztem Kamin" sitzen. (Bild: Jeanne Degraa)

Von wegen, Märchen sind Schnee von gestern! - Der Film "Die verkaufte Prinzessin" (am ersten Weihnachtsfeiertag in der ARD) zum Beispiel arbeitet sich an einer ganz und gar zeitgemäßen Thematik ab. Es geht um Geschlechtergleichstellung und Diversität, erklärt Schauspielerin Judith Neumann. Sie gibt eine Frau, die sich als Mann verkleidet, um im Bergwerk arbeiten zu können.

Die Märchenfilme im Fernsehen gehören für viele genauso zur Weihnachtszeit wie der Song "Last Christmas" oder Lebkuchen und Vanillekipferl. Das Erste nimmt auch dieses Jahr wieder neue Märchenfilme ins Programm, darunter auch Matthias Steurers "Die verkaufte Prinzessin" (Montag, 25. Dezember, 15.30 Uhr). Für Schauspielerin Judith Neumann, die nach eigener Aussage, wie so viele als Kind von Märchen geprägt wurde, ist die Hauptrolle ein wahr gewordener Traum. Im Märchen spielt die 34-Jährige eine Frau, die sich als Mann verkleidet, um im Bergwerk arbeiten zu können. Botschaften habe der Film ihrer Ansicht nach viele - so wie: "Man braucht sich selbst in keine Geschlechterrollen zu zwängen, vielmehr sollte man einen offenen Geist haben." Im Interview spricht die "Miss Merkel"-Darstellerin daher nicht nur über Weihnachten und die Schauspielbranche, sondern auch über Diversität und Feminismus. Die gebürtige Hessin findet dabei klare Worte.

teleschau: Frau Neumann, wie verbringen Sie die Weihnachtstage?

Judith Neumann: Ich werde mit meiner Familie mit Plätzchen und Glühwein neben wohlig eingeheiztem Kamin, nachdem wir hoffentlich die vollgeschneiten Berge heruntergerollt und wieder hoch gestapft sind, vorm Fernseher sitzen und uns mein herbstliches Märchen anschauen (lacht).

teleschau: Haben Sie schon alle Weihnachtsgeschenke?

Neumann: Ja, fast! Aber wichtiger empfinde ich sowieso das "miteinander Zeit verbringen", als Geschenke zu kaufen. Ich bin ein großer Fan vom Selbermachen, wenn ich die Zeit finde.

teleschau: Weihnachten sind Sie im Märchen "Die verkaufte Prinzessin" zu sehen. Wieso hatten Sie Lust auf die Rolle?

Neumann: Erst mal finde ich grundsätzlich Märchen ganz toll. Bei diesem fand ich spannend, dass es zwei Frauen in den Hauptrollen sind, die sich gegenseitig unterstützen, um an ihre Ziele zu kommen. Mich hat auch besonders meine Rolle interessiert: Melisa ist eine sehr offenherzige, mutige und zielstrebige junge Frau, die Dinge anpackt und optimistisch ist. Das hat mich fasziniert, da ich vorher oft Gegensätzliches gespielt habe. Beim Casting hat es außerdem zwischen Kristin Alia Hunold's Rolle und meiner gefunkt, das kam auch noch dazu (lacht).

Im neuen ARD-Märchen "Die verkaufte Prinzessin" (Montag, 25. Dezember, 15.30 Uhr) spielt Judith Neumann eine der weiblichen Hauptrollen. Gerade als Kind wurde sie sehr von Märchen geprägt: "Ich habe es geliebt, mich in diese Welten verführen zu lassen, oft vorgelesen zu bekommen, mal verkleidend eins nachzuspielen oder auf der Bühne zu bestaunen." (Bild: Jenny Fitz)

"Man braucht sich selbst in keine Geschlechterrollen zu zwängen"

teleschau: Haben Sie denn ein Lieblingsmärchen?

Neumann: In meiner Kindheit bin ich mit vielen Märchen groß geworden. Ich habe es geliebt, mich in diese Welten verführen zu lassen, oft vorgelesen zu bekommen, mal verkleidend eins nachzuspielen oder auf der Bühne zu bestaunen. Teilweise habe ich natürlich auch Märchenfilme geschaut. Einige Märchen haben mich bis heute sehr geprägt, aber ich könnte Ihnen jetzt kein Lieblingsmärchen sagen.

teleschau: Inwiefern wurden Sie von Märchen geprägt?

Neumann: In mir wurde eine Fantasiewelt ausgelöst, die durch Märchen größer geworden ist. Wenn bei Kindern die Fantasie angeregt wird, werden sie zu vielem inspiriert - sie erweitern ihren Horizont, entdecken ihre Möglichkeiten. Und sie lernen, dass Hindernisse und dunkle Zeiten zum Leben dazu gehören, dass man diese aber auch bewältigen kann. Bei unserem Märchen könnte man mitnehmen, dass es keine speziellen Vorschriften gibt, wie man sein Leben zu leben hat.

teleschau: Keine speziellen Vorschriften?

Neumann: Ja - auch als Frau oder FLINTA* (die Abkürzung steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans* und agender Personen. Der angehängte Asterisk dient dabei als Platzhalter für alle Personen, die sich in keinem der Buchstaben wiederfinden, aber dennoch von Marginalisierung betroffen sind, d. Red.) kann man sich für einen Beruf entscheiden, der Jahrhunderte lang nur von Männern ausgeführt wurde. Da gibt es keine Grenzen und Regeln zu beachten, es stehen viele Wege offen. Man braucht sich selbst in keine Geschlechterrollen zu zwängen, vielmehr sollte man einen offenen Geist haben. Das ist auch das Hauptthema unseres Märchens: Es geht um Offenheit. Offen zu sich selbst zu sein, auch seinen Gefühlen und der Welt gegenüber. Wir Frauen (FLINTA*) haben jedes Recht, unsere Träume zu leben!

teleschau: Klingt, als wären Märchen ideal, um Kindern und Jugendliche diese Botschaften zu vermitteln...

Neumann: Ursprünglich waren historisch gesehen Märchen dazu da, Weisheiten und Botschaften zu überliefern oder eine Moral zu vermitteln. Wenn Märchen verfilmt werden, ist es natürlich schön, wenn sie auch unterhalten und verzaubern, aber auch zum Nachdenken anregen. Ich denke schon, dass Märchen unterbewusst oder bewusst bei Kindern etwas auslösen. Und dass sie anregen, neue Denkräume entstehen zu lassen, gerade bei Themen, die bisher weniger behandelt wurden, wie die Themen aus unserem Märchen: Geschlechtergleichstellung und Diversität.

Themen, wie Diversität und Gleichberechtigung könne man "gar nicht genug Aufmerksamkeit geben", sagt Judith Neumann. "Ich finde, das Potenzial bei Filmen liegt darin, das, was man zu wissen glaubt, infrage zustellen und dazu anzuregen, anders zu denken." (Bild: ARD/Martin Rattini)
Themen, wie Diversität und Gleichberechtigung könne man "gar nicht genug Aufmerksamkeit geben", sagt Judith Neumann. "Ich finde, das Potenzial bei Filmen liegt darin, das, was man zu wissen glaubt, infrage zustellen und dazu anzuregen, anders zu denken." (Bild: ARD/Martin Rattini)

"Wir arbeiten uns gerade hin zu einer Gleichberechtigung"

teleschau: Warum machen wir uns auch heute noch so viele Gedanken, was soziale Erwartungen und Geschlechterrollen angeht?

Neumann: Es ist wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, um sich davon lösen zu können. Vor allem, wenn man bedenkt, dass prozentual gesehen Männer immer noch deutlich besser bezahlt werden und grundsätzlich mehr Jobchancen haben. Wir sind seit Jahrtausenden von patriarchalen Strukturen und Erwartungen geprägt. Ich glaube, wovor viele Angst haben, ist, dass sobald jemand das Wort "Feminismus" in den Mund nimmt, das gegen Männer geht. Im Grunde genommen bedeutet das unter anderem, dass wir alle gleich viel wert sind und die gleichen Chancen bekommen sollten. Wir arbeiten uns gerade hin zu einer Gleichberechtigung. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich für die Gleichstellung der Frau sicherlich einiges getan, aber es könnte durchaus noch mehr gemacht werden. Wir sind auf einem guten Weg, aber da geht noch viel mehr

teleschau: Geht es nicht schon in zu vielen Film- und Serienproduktionen um genau diese Dinge?

Neumann: Nein. Man kann diesen Themen gar nicht genug Aufmerksamkeit geben. Ich finde, das Potenzial bei Filmen liegt darin, das, was man zu wissen glaubt, infrage zustellen und dazu anzuregen, anders zu denken. Gerade bei Kinderfilmen geht es oft um Helden, Heldinnen und Vorbilder, und wenn man etwas anderes zeigt, eröffnet es andere Denkräume. Es ist elementar wichtig, dass es solche Personen gibt, mit denen sich Kinder identifizieren können. Dabei sollten Filme nie die Moralkeule schwingen und Ansichten aufzwingen. Sie sollten eher zum Nachdenken anregen und natürlich trotzdem unterhaltsam sein.

teleschau: Also ist Balance der Schlüssel?

Neumann: Definitiv! Filme sollen durchaus gesellschaftsrelevante und aktuelle Themen behandeln. Aber nicht nur. Und nicht nur mit dem "schwarz-weiß"-Gedanken und erhobenem Zeigefinger!

Für Judith Neumann (rechts) gab es viele Gründe, um beim Märchen mitzuspielen. Einer davon war: "Beim Casting hat es zwischen Kristin Alia Hunolds Rolle und meiner gefunkt." (Bild: ARD/Martin Rattini)
Für Judith Neumann (rechts) gab es viele Gründe, um beim Märchen mitzuspielen. Einer davon war: "Beim Casting hat es zwischen Kristin Alia Hunolds Rolle und meiner gefunkt." (Bild: ARD/Martin Rattini)

"Eine diskriminierende Tatsache" auf Schauspielschulen

teleschau: Im Märchen geht es auch um Diskriminierung. Haben Sie solche Erfahrungen auch mal machen müssen?

Neumann: Ich kann mich relativ glücklich schätzen, keine schlimmen Erfahrungen gemacht zu haben. Dass aber zum Beispiel auf meiner Schauspielschule mehr Männer aufgenommen wurden als Frauen, ist natürlich eine diskriminierende Tatsache. Nicht nur in meiner Branche hat man es als Frau noch schwerer, einen Job zu bekommen. Das ist Fakt.

teleschau: Warum wurden mehr Männer aufgenommen?

Neumann: In der Vergangenheit und auch zu einem nicht geringen Teil heute noch gab und gibt es mehr Männerrollen im deutschen Film und Theater. Das heißt, ein Mann hatte und hat grundsätzlich mehr Möglichkeiten, an Jobs zu kommen. Das verändert sich aber gerade langsam, was ich sehr gut finde. Trotzdem ist es in der gesamten Filmbranche noch so, dass sowohl hinter als auch vor der Kamera viel mehr Männer als Frauen Jobs bekommen und Männer mehr verdienen. Das muss sich ändern.

teleschau: In welchen Projekten sind Sie als Nächstes zu sehen?

Neumann: Als Nächstes werde ich in einer Rolle in der vierten "Charité"-Staffel zu sehen sein. Die Folgen spielen in der Zukunft und handeln von Krankheiten und Problemen, mit denen wir es möglicherweise noch zu tun haben werden, und wie wir als Gesellschaft und in der Medizin damit umgehen. Die neue Staffel wird im nächsten Jahr im Ersten und auf ARTE ausgestrahlt. Und es gibt für mich noch einiges mehr - was ich aber noch nicht erzählen darf. Ich freue mich sehr auf das Jahr 2024!

"Ich glaube, wovor viele Angst haben, ist, dass sobald jemand das Wort Feminismus in den Mund nimmt, das gegen Männer geht", erklärt Judith Neumann. "Im Grunde genommen bedeutet das unter anderem, dass wir alle gleich viel wert sind und die gleichen Chancen bekommen sollten." (Bild: Jenny Fitz)
"Ich glaube, wovor viele Angst haben, ist, dass sobald jemand das Wort Feminismus in den Mund nimmt, das gegen Männer geht", erklärt Judith Neumann. "Im Grunde genommen bedeutet das unter anderem, dass wir alle gleich viel wert sind und die gleichen Chancen bekommen sollten." (Bild: Jenny Fitz)