"Skandalöser Einfluss der Türkei auf unsere Justiz" – Ein Interview mit Kerem Schamberger

Kämpferinnen der YPJ feiern die Befreiung Rakkas vom IS – in Deutschland sind ihre Flaggen verboten (Bild: AFP)
Kämpferinnen der YPJ feiern die Befreiung Rakkas vom IS – in Deutschland sind ihre Flaggen verboten (Bild: AFP)

Kerem Schamberger ist Wissenschaftler, aktivistischer Journalist, Marxist und überzeugter Unterstützer der Kurden in der Türkei. Derzeit liegt er mit Facebook im Clinch, da das Netzwerk ihm ohne Begründung Leser und Reichweite entzieht. Das ging vor zwei Wochen durch die Bundesmedien, und auch andere pro-kurdische Personen leiden unter dem gleichen Phänomen bei Facebook. Angeblich macht die türkische Regierung Druck – vielleicht auch die deutsche. Aber was vergangene Woche am frühen Morgen in seiner Münchner Privatwohnung passierte, schockiert Menschenrechtsaktivisten, Linke, Journalisten und viele Kollegen aus der Wissenschaft. Die Staatsmacht stand vor der Tür: Hausdurchsuchung. Seine Berichte haben für Unmut in der Staatsanwaltschaft München I gesorgt, da er diese mit Fotos versah, die die Flaggen der Anti-ISIS-Kräfte aus dem nordsyrischen Kurdengebiet (Rojava) enthielten – die vom Bundesinnenministerium als Ableger der PKK eingestuft werden.

Auf Anfrage von Yahoo Nachrichten äußerte sich die Staatsanwaltschaft zwar sehr schnell, aber verschlossen. Man bestätige das Ermittlungsverfahren wegen des “Verdachts einer Straftat gem. § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG”, wie der Verstoß gegen das Flaggenverbot im Amtsdeutsch ausgedrückt wird. Man ermittle von Amts wegen und nicht aufgrund einer externen Strafanzeige.

Wir haben mit Kerem Schamberger über den Vorfall gesprochen:

Die Polizei stand bei Ihnen am frühen Morgen vor der Haustür mit einem Durchsuchungsbeschluss. War das für Sie überraschend?

Kerem Schamberger: “Natürlich ist jede Hausdurchsuchung überraschend. Vor allem, wenn sie um 6 Uhr in der Früh passiert, an einem Montagmorgen. Ich wusste, dass die Staatsanwaltschaft irgendwie reagieren wird, hatte aber nicht damit gerechnet, dass sie wirklich eine Hausdurchsuchung anordnet, weil sie ja mit entsprechenden Reaktionen rechnen konnte. Außerdem hatte ich auch öffentlich gesagt, dass ich diese Postings auf Facebook zugebe und es daher überhaupt keiner Beweissammlung bedarf. Auch als die Polizisten vor meiner Tür standen und die mir sagten ‘Wir sind hier um Ihren Laptop und Handy zu beschlagnahmen, um beweisen zu können, dass Sie diese Postings gemacht haben’, habe ich gesagt ‘Ich gebe das zu! Ich verweigere gar nicht die Aussage beziehungsweise verneine das gar nicht. Ich habe diese Postings gemacht’. Das hat aber nichts gebracht. Sie gingen dennoch in die Wohnung rein und haben die Durchsuchung gemacht.”

Wie war der Ablauf der Durchsuchung? Haben Sie mit den Beamtinnen und Beamten diskutiert?

Kerem Schamberger: “Der Ablauf an sich war jetzt aus dem ersten Eindruck heraus korrekt. Es kam zu keinen Beleidigungen und auch zu keinen Rechtsverstößen, wenn ich das als Laie so sagen kann. Diskutiert habe ich mit den Beamten natürlich. Ich habe ihnen gesagt, dass sie ihr eigenes Handeln bzw. ihre Aufträge hinterfragen sollten. Und ich habe an ihr Gewissen appelliert, da sie sich zu den Handlangern Erdogans machen und zu der repressiven Politik in der Türkei. Daraufhin haben sie gesagt ‘Wir bekommen Befehle und diese führen wir aus.’ Daraufhin habe ich gesagt, dass diese Haltung in der deutschen Geschichte schon zu ganz schlimmen Entwicklungen geführt hat. Über diese Antwort waren sie nur empört, sind aber nicht weiter darauf eingegangen.”

Es soll eine Polizistin durchsucht haben, die dem türkisch-nationalistischen Spektrum zugeordnet wird. Wie äußert sich das? Woran erkennt man das?

Kerem Schamberger: “Unter den fünf Beamten waren zwei mit türkischem Migrationshintergrund. Eine Frau. Nach meinen Informationen heißt sie Frau J. (Name der Redaktion bekannt), ich bin mir aber nicht sicher. Und diese (Frau) ist in den vergangenen Monaten und Jahren schon dadurch aufgefallen, dass sie türkisch-nationalistische Standpunkte vertritt. Also auch mal, wenn sie als Beamtin eingesetzt ist auf Demonstrationen mit ‘Halbmond und Stern’-Anhänger kommt, dass sie diejenige ist, die jegliches kurdische Auftreten besonders beargwöhnt und alles zur Anzeige bringt. Anscheinend überwacht sie auch unsere Facebookprofile und bringt alles auch persönlich zur Anzeige. Daher war es eine besonders unangenehme Situation, wenn so eine Frau bei einem in der Wohnung steht, obwohl, sie dort nichts zu suchen hat.”

Wie bewerten Sie den Einsatz dieser Beamtin bei Ihrer Durchsuchung? Ist das Vorsatz durch die Staatsanwaltschaft?

Kerem Schamberger: “Wie der Einsatz der Beamtin zu bewerten ist und ob das Vorsatz ist, das kann ich nicht sagen. Für mich ist es schon eine gewisse Provokation, dass man eine solche Persönlichkeit dort einsetzt, aber ob das Vorsatz durch die Staatsanwaltschaft ist, kann ich nicht sagen – vermutlich schon. Aber vielleicht ist es auch aus ihrem eigenen Antrieb heraus passiert, um mal zu sehen, wie es ‘beim Herrn Schamberger zuhause aussieht’.”

Sind Ihnen andere Durchsuchungen dieser Art bekannt?

Kerem Schamberger: “Ja, sind sie. Bayern ist da wirklich das Spitzenland. Es gab im August bereits zwei Hausdurchsuchungen bei Freunden – auch wegen des gleichen Vorwurfs: Posten von YPG-, YPJ-, PYD-Fahnen. Ich kenne den Fall eines 17-jährigen syrischen Kurden, der auch deswegen eine Hausdurchsuchung hatte und wo es mittlerweile nicht nur eine Durchsuchung gab, sondern eine richtige Anklage. Dort kommt es auch zum Prozess. Also die Staatsanwaltschaft ist sich nicht zu blöd, dies wirklich zu einem Prozess kommen zu lassen, bei dem sie eigentlich nur verlieren kann.”

Die kurdischen Kämpferinnen und Kämpfer der YPG/YPJ sind Partner des Westens in Syrien und haben erst kürzlich Raqqa befreit. Sie sind außerdem für die Rettung zehntausender Jesiden 2014 vor dem IS verantwortlich. Die Welt feiert diese Menschen als Helden, aber warum stellt man sie in Deutschland in die terroristische Ecke? Sehen sie dort Einfluss der Türkei?

Kerem Schamberger: “Es ist ganz offensichtlich, dass Deutschland beziehungsweise die Bundesregierung und damit auch die bayerische Justiz sich dem Druck der Türkei beugen. Erdogan sagt in jeder zweiten Rede, dass Deutschland Terroristen Unterschlupf bieten und die Verfolgung nicht hart genug betreiben würde. Das ist absoluter Schwachsinn. Es gab mehrere Tausend PKK-bezogene Verfahren in Deutschland in den letzten 20 Jahren. Eine ungeheure Zahl. Es wurden auch mehrere Leute zu Haftstrafen verurteilt. Also eine nicht zu haltende Behauptung durch die Türkei. Trotzdem greift die Bundesregierung immer härter gegen die kurdische Bewegung in Deutschland durch. Es gab einen Erlass des Bundesinnenministeriums, dass in manchen Fällen das zeigen der YPG/YPJ-Flagge als Ersatzhandlung für das zeigen einer PKK-Symbolik gelten würde. In welchen Situationen das der Fall ist, ist rechtlich ungeklärt – das wird jetzt geklärt werden. Der Einfluss der Türkei ist deutlich zu spüren, unter anderem weil Deutschland kein Interesse hat, die wirtschaftlichen Beziehungen mit der Türkei zu beschädigen und weil der – meiner Meinung nach mörderische und verbrecherische – Flüchtlingsdeal mit der Türkei nicht gefährdet werden soll. Weil man das NATO-Mitglied Türkei irgendwie immer an der Stange halten will, Ist es ein beliebtes Spiel der Türkei, zwischen der NATO (Westen) und Russland (Osten) zu pendeln. Mit diesem Schmankerl hält die Bundesrepublik die Türkei gefügig.”

Wie äußert sich sonst der Einfluss der türkischen Regierung und des Diktators Erdogan auf die Politik und unser Justizsystem?

Kerem Schamberger: “Einen direkten Einfluss gibt es natürlich nicht, aber es gibt natürlich auch immer wieder ins Auge springende Fälle. Nicht nur gegen kurdische Aktivisten wird vorgegangen, es laufen seit einiger Zeit in München auch Verfahren gegen zehn linke türkische Aktivisten, die teilweise jahrelang in Haft saßen und in der Türkei gefoltert wurden. In der Türkei wurden Geständnisse unter Folter bei diesen Menschen erpresst. Diese zehn Menschen sitzen jetzt bei uns in Deutschland in Haft und wurden teils aus der Schweiz an uns ausgeliefert. Sie sitzen teils wegen Lappalien wie dem Organisieren von Busfahrten, Spendensammlungen und Demonstrationen in Haft. Unter den Inhaftierten befindet sich auch eine bekannte Ärztin. Die Anklage gegen diese Personen basiert teils auch auf Geständnissen in der Türkei, welcher unter Folter erzwungen worden sind. Der ganze Prozess wurde überhaupt erst initiiert auf Verlangen der türkischen Staatsanwaltschaft. Also gibt es sehr wohl einen skandalösen Einfluss und Druck durch die Türkei auf unsere Justiz, was in der Öffentlichkeit nicht so bekannt ist. Genau das sollte aber öffentlicher gemacht werden.”

Werden Sie das Verfahren gegen Sie als Musterverfahren nehmen? Bei Ihnen ist ja noch der besondere Umstand, dass Sie neben Wissenschaftler, auch noch freier Journalist sind und die vorgeworfenen Bilder meist im Kontext konkreter Berichterstattung waren.

Kerem Schamberger: “Wenn die Rückfrage mit anderen Aktivisten ergeben sollte, dass dieses Verfahren ein Musterverfahren werden soll, dann wird das ein Musterverfahren. Ich denke schon, dass es sich besonders gut eignet, da besonders viel Aufmerksamkeit vorhanden ist. Es muss endlich festgestellt werden, ob das, was ich gemacht habe terroristisch ist. Ich selbst bezeichne mich nicht als Journalist im klassischen Sinne, sondern bin eher ein politischer Berichterstatter, der ganz klar eine politische Meinung hat und nicht mit dieser hinter dem Berg hält. Ich stehe auf Seiten der kurdischen Freiheitsbewegung und der Bestrebung nach Demokratisierung im Nahen Osten.”

Sehen Sie durch dieses Verfahren auch einen Angriff auf die Wissenschafts- und Pressefreiheit?

Kerem Schamberger: “Es ist ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Mein Laptop wurde beschlagnahmt und ich kann daher momentan meine Dissertation nicht weiter fortsetzen. Und natürlich ist es gerade für jemanden wie mich, der politisch Bericht erstattet, Besonders einschüchternd, wenn die Polizei vor der Tür steht, weil das die Schere im Kopf vieler Wissenschaftler und Journalisten auseinandergehen lässt und sie sich zweimal überlegen, ob und was sie schreiben. Deswegen ist es ein Angriff auf die Wissenschafts- und Pressefreiheit.”

Wie hat Ihre Universität auf die Durchsuchung reagiert? Haben Sie sonst noch Nachteile durch die staatliche Verfolgung?

Kerem Schamberger: “Meine Universität hat eigentlich gar nicht darauf reagiert – das meine ich aber gar nicht negativ. Mein Professor hat schon sofort reagiert und mir angeboten, dass er mir einen Laptop zur Verfügung stellt. Ansonsten hat sich das Institut nicht geäußert, ich sehe darin Aber auch keine Notwendigkeit. Ansonsten ist bei mir die staatliche Verfolgung bekannt, wie zum Beispiel der Versuch eines Berufsverbotes. Vier Monate meines Berufslebens wurden durch staatliche Stellen blockiert. Es gibt auch den Fall der Kündigung des Kontos meiner Mutter durch die Commerzbank, nur weil ich Bevollmächtigter des Kontos war. Die Commerzbank wollte die Geschäftsbeziehung mit ihr nach 45 Jahren kündigen, da ich mit ihr in Beziehung stehe. Es zieht sich schon durch meine Biografie, aber einschüchtern lasse ich mich nicht. Vielmehr ist es eher eine Bestätigung für mich, dass meine Arbeit wichtig und richtig ist. Hoffentlich wird meine Arbeit auch noch von vielen anderen weitergeführt. Man sieht zumindest, dass die Reaktionen auf meine Verfolgung einen Schneeballeffekt ausgelöst haben und die Logos der YPG und YPJ hundertfach in den sozialen Netzwerken geteilt werden. Ich bin gespannt, ob die bayerische Staatsanwalt es schafft, dass auch gegen diese Hunderten Personen Strafverfahren einleiten wird.”

Die Staatsanwaltschaft sieht in der aktivistischen Berichterstattung Schambergers, der einen offiziellen Presseausweis besitzt, übrigens keine journalistische Tätigkeit. Sollte dies dennoch der Fall sein, würde sich sein Auskunftsverweigerungsrecht nur auf konkrete Berichterstattung und Mitwirkung an dieser auswirken. Jedoch will Schamberger gar nicht die Auskunft verweigern. Das mag die Staatsanwaltschaft vergessen haben, ebenso vielleicht wie die Freiheit der Wissenschaft und der Presse.

Der Fall zieht unteressen immer weitere Kreise und erreichte in dieser Woche auch den Bundestag. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, Sevim Dagdelen, griff im Plenum den “Fall Schamberger” auf und konfrontierte die versammelten Bundestagsabgeordneten und die Bundesregierung mit der staatsanwaltschaftlichen Verfolgung. Dabei zeigte sie auch die Flagge der YPG, was von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble mit einer Rüge geahndet wurde. Wir können sicher sein, dass das Verfahren gegen Schamberger nicht so schnell beendet sein wird.