SPD-Chef Martin Schulz: Trauriger Auftritt bei Anne Will

Martin Schulz wirkte bei Anne Will wie ein Parteichef auf Abruf. (Bild: ARD-Talkshow ANNE WILL in Berlin)
Martin Schulz wirkte bei Anne Will wie ein Parteichef auf Abruf. (Bild: ARD-Talkshow ANNE WILL in Berlin)

Wenn ein Parteivorsitzender vom politischen Gegner verteidigt wird, dann dürfte er nicht mehr lange im Amt sein. Am Sonntagabend traf es Martin Schulz. Der SPD-Chef hatte zuvor beim Parteitag nur eine knappe Mehrheit für seinen Antrag erhalten, Koalitionsverhandlungen mit CDU/CSU aufzunehmen. Fast die Hälfte der Delegierten verweigert sich bislang dem Kurs von Schulz. In der gestrigen Talkshow von Anne Will tröstete ihn ausgerechnet Peter Altmaier. Der ist in der CDU, leitet das Bundeskanzleramt und sagte: „Es kommt nicht darauf an, wie knapp oder wie großzügig eine Mehrheit ist, sondern wie das Ergebnis aussieht. Das kann ein sehr gute und tragfähige Basis sein.“ Fehlt eigentlich nur noch, dass Angela Merkel dem Martin „ihr vollstes Vertrauen” ausspricht. Schulz konnte einem fast leid tun, wie er sichtlich erschöpft in der Runde saß und zum wiederholten Mal mit einem Anruf von Frankreichs Präsident Macron prahlte, der angeblich unbedingt eine Große Koalition (Groko) wünscht.

Die Ausgangslage

Unmittelbar nach der Wahl hatte Schulz klargestellt: Nie wieder Groko. Tatsächlich hatte Bundeskanzlerin Merkel die SPD mit ihrer sozialdemokratischen Politik an die Wand regiert. Das Ergebnis: Ein äußerst schlechtes Wahlergebnis für Schulz. Der Wähler habe die Groko abgewählt, nun werde man sich als starke Opposition zur Bundesregierung positionieren, erklärte der Mann aus Würselen. Das war vor vier Monaten. Nachdem die FDP die Jamaika-Verhandlungen mit Union und Grünen platzen ließ, schwenkte Schulz um und startete Sondierungsgespräche mit Merkels Truppe.

Nicht alle in der Partei wollen die Richtungsänderung mitmachen. Insbesondere die Jusos laufen Sturm gegen eine erneute Regierungsbeteiligung. Also muss Schulz seinen innerparteilichen Gegnern entgegenkommen und der Union weitere Zugeständnisse abringen. Welche, das sagte er bei Anne Will.

Daran könnte eine Groko noch scheitern

Drei Forderungen will Schulz in den Koalitionsgesprächen durchsetzen:

  • In besonderen Härtefällen sollen Kriegsflüchtlinge ihre Familien nach Deutschland holen dürfen. Von etwa 1000 Menschen monatlich ist die Rede.

  • Die sogenannte sachgrundlose Befristung soll abgeschafft werden. Das heißt: Unternehmer dürfen Mitarbeiter nicht mehr ohne triftigen Grund zeitlich begrenzt beschäftigen.

  • Bürger, die gesetzlich krankenversichert sind, sollen vom Arzt genauso behandelt werden, wie Privatpatienten.

Bei Will sagte Schulz: „Das Sondierungsergebnis ist der Beginn der Koalitionsverhandlungen, nicht das Ende. Die CDU sieht das naturgemäß anders. Bei allem Mitleid für Schulz stellte Peter Altmaier am Sonntag klar: „Wir wollen das in den Sondierungen vereinbarte Paket nicht wieder aufschnüren.” Eine kleine Hintertür ließ Altmaier offen: „Die SPD wird uns sagen, was sie geändert haben will, und wir werden sehen, ob wir das akzeptieren.” Man werde jedoch nichts vereinbaren, wovon “wir inhaltlich nicht überzeugt sind”, warnte der CDU-Mann.

Moderatorin Anne Will fuhr dem SPD-Chef in die Parade. Foto: NDR/Wolfgang Borrs
Moderatorin Anne Will fuhr dem SPD-Chef in die Parade. Foto: NDR/Wolfgang Borrs

Zoff des Abends

Für den sorgte Christian Lindner. Als Martin Schulz plötzlich auf Wahlkampfmodus umschaltete und von Müttern ohne Kitaplatz, hungrigen Schulkindern und pflegebedürftigen Frauen sprach, die alle von einer SPD in der Regierung profitieren würden, erkundigte sich Lindner trocken: „Wieviel Jahre hat die SPD seit 1998 eigentlich mitregiert?” Keine unberechtigte Frage. Schließlich hatte die SPD genug Zeit, für Kitaplätze, Ganztagsschulen und ein gutes Gesundheitswesen zu sorgen. Warum das nach einer Neuauflage der Groko auf einmal gelingen soll, konnte Schultz nicht erklären. Dafür giftete er nun Richtung FDP, schimpfte auf die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. Anne Will fuhr Schulz in die Parade: „Man versteht kein Wort”, beendete die Moderatorin die Debatte.

Lindner lobt die Jusos

Lindner legte im Anschluss aber nochmal nach: Er lobte die innerparteilichen Gegner von Schulz, die Jusos. Er sei mit dem SPD-Nachwuchs inhaltlich nicht einer Meinung, aber deren Ansicht, dass ein „Weiter so” fatal sei, teile er, betonte Lindner. Anschließen lobte er die „Debattenkultur” innerhalb der SPD. Lob von der FDP, Mitleid von der CDU – es war kein guter Abend für Martin Schulz.

Lindner verteidigte erneut das Aus der Jamaika-Verhandlungen. „Der Unterschied zwischen SPD und CDU ist viel geringer, als der zwischen CSU, FDP und Grünen.” So seien die Grünen eine linke Partei, die die Menschen erziehen wolle, seine FDP plädiere dagegen für mehr Eigenverantwortung.

Schräger Vergleich einer „Spiegel”-Journalistin

Am Ende der Sendung erklärte Christiane Hoffmann, stellvertretende Leiterin des “Spiegel”-Hauptstadtbüros, sie fühle sich an die Stagnation der „späten Sowjetzeit erinnert”. Ein seltsamer Vergleich der früheren Moskau-Korrespondentin. Zunächst existierte in der Sowjetunion mit der KPdSU nur eine einzige Partei. Mit Sondierungsverhandlungen, Koalitionsgesprächen oder Großen Koalitionen musste sich niemand herumschlagen. Außerdem waren gerade die letzten Jahre der Sowjetunion alles andere als Stagnation. Seinerzeit war Michael Gorbatschow Generalsekretär und der sorgte mit Glasnost und Perestroika für frischen Wind im Osten.

Martin Schulz blickt derweil nach Westen. Am Ende der Sendung erklärte er, dass ihn Frankreichs Staatschef Makron angerufen habe. Makron hoffe sehr, dass sich die SPD an der Bundesregierung beteiligt, da sonst die Rechten in Frankreich noch stärker würden. Schulz‘ Subtext: Die Zukunft Europas liege nun in den Händen der Sozialdemokraten; ohne ihn sind selbst die Franzosen aufgeschmissen. Indes: Die Hoffnung von Schulz, dass etwas Glanz von Frankreichs politischem Shootingstar auch auf ihn abstrahlt, dürfte sich nicht erfüllen. Das ist die eigentliche Erkenntnis der gestrigen Gesprächsrunde bei Anne Will. (fb)

Foto: NDR/Wolfgang Borrs