Spektakel Europameisterschaft - Hype oder Hölle? Wie die EM-Fanmeile den Münchner Norden spaltet

Fußballer Toni Kroos auf einem Banner am Eingang der Fanmeile im Münchner Olympiapark.<span class="copyright">FOCUS online</span>
Fußballer Toni Kroos auf einem Banner am Eingang der Fanmeile im Münchner Olympiapark.FOCUS online

Millionen Europäer fiebern bei der EM mit – im Stadion, in der Kneipe, daheim, oder seit einigen Jahren auf extra eingerichteten Fanmeilen. So auch im Münchner Olympiapark. Anwohner feiern das Spektakel ebenso wie die Fans, die zu Zehntausenden in die Landeshauptstadt strömen. Aber längst nicht alle.

„Das waren mehr als nur Streitgespräche. Ich bin da richtig angegangen worden“, erzählt Wolfgang. Dabei redet er ohne Rage. Die harschen Worte passen gar nicht zu dem Münchner, der unter seinem gekräuselten Schnauzbart zu lächeln scheint, und mit seinen wuchtigen Händen die Leinen seiner drei großgewachsen Golden Retriever fest umklammert.

Doch Wolfgang stört etwas. Etwas, das sich immer wieder im Olympiapark abspielt, im Norden der Isarmetropole, dort wo er seine Hunde ausführt. Zwischen seinen Sätzen blitzt eine klare Haltung hervor: So kann das hier einfach nicht weitergehen!

Der Kontinent ist im Fußball-Fieber. Auch wenn die deutsche Nationalelf an Spanien gescheitert ist – für andere geht es weiter um alles. Am heutigen Dienstag treffen in München die spanischen Deutschland-Bezwinger und Frankreich aufeinander. Wer kein Ticket fürs Stadion hat, kann die Fanmeile im Olympiapark nutzen.

Dort können Fans alle 51 Duelle verfolgen. Zu Zehntausenden zwängen sich die Enthusiasten seit Turnierbeginn deswegen durch die Innenstadt, pressen sich in U- und S-Bahnen und pilgern zur Fanmeile.

Dort versammeln sie sich zum gemeinsamen Public Viewing in der Anlage, in der 1972 die XX. Olympischen Spiele stattfanden und die früher Heimstätte des FC Bayerns und des Lokalrivalen 1860 München war. Oder auch zur kollektiven Ekstase.

Noch Hunderte Meter weiter hören Anwohner den Jubel

Zuletzt tobten hier Tausende Holländer vor der 120 Quadratmeter großen Leinwand dem Viertelfinaleinzug ihrer Mannschaft entgegen. An die muntere Holländer-Horde erinnert sich Anwohnerin Julia noch gut.

Seit 20 Jahren wohnt sie am östlichen Rand der Parkanlage. So laut wie zum Spiel der Niederländer sei es aber noch nie gewesen. „Das hat uns überrascht, allein schon, weil es so früh losging.” Noch Hunderte Meter abseits der Fanzone habe man den Lärm gehört. Helikopter und laute Fans seien tagsüber während der EM-Spiele Standard. „Aber es stört mich nicht so sehr, da es zeitlich beschränkt ist.“

Einsamer Zeuge der Fanmeilen-Ekstase: Ein leeres Fläschen Jägermeister.<span class="copyright">FOCUS online</span>
Einsamer Zeuge der Fanmeilen-Ekstase: Ein leeres Fläschen Jägermeister.FOCUS online

 

An den spielfreien Tagen erinnert kaum etwas an grölende Horden. Vereinzelt schlendern Anwohner wie Julia, aber auch Touristen, durch den Park, joggen, radeln, oder genießen einfach nur die wenigen Momente mit Sonnenschein, der auf makellose Wiesen und säuberlich gefegte Wege fällt. Einsamer Zeuge der vergangenen Feier-Tage: Ein leeres Fläschchen Jägermeister, abgestellt auf einer Schranke.

„Die Parkplatzsituation ist ein Desaster“

Aber längst nicht alle Tage sind derart friedlich. Vor der EM fanden bereits zahlreichen Großveranstaltungen auf dem Eventgelände statt, die Probleme rund um den Park offenbarten. Auf Metallica folgte ACDC. Auf ACDC die EM. Parallel findet das Tollwood-Musik-Festival statt.

Für die Fans heißt das: Hype. Für manche der Anwohner aber: Hölle. Überquellende Parkplätze, zugeparkte Wege, ruinierte Grünflächen, Müll, Lärm. Das bestätigt auch Anwohnerin Julia: „Abends ist es unmöglich, einen Parkplatz zu finden. Die Parkplatzsituation ist ein Desaster.“

„Wenn Großveranstaltungen sind, stehen überall E-Roller rum, und Tüten mit Müll werden einfach irgendwo hinterlassen. Besonders an den Spielplätzen.” Schuld sei daran auch die Stadt. „Hier gibt es einfach zu wenige Mülleimer. Da sollten einfach mehr aufgestellt werden.”

Andere Probleme ließen sich nicht so einfach lösen - wie der Mangel an Parkplätzen. „Die Parkplatzsituation ist wirklich extrem geworden. Ein Anwohnerparkausweis nützt nichts. Jeder parkt hier wild”, sagt Julia.

Im Kleingartenidyll hören Anwohner Konzerte gratis mit

Karl und Monika bekommen davon wenig mit. Direkt südlich angrenzend an die Eventlocation Olympiapark genießt das Ruheständler-Paar ihr persönliches kleines Idyll: Eine Kleingartenparzelle, 1990 von der Großmutter übernommen.

Zwischen Blüten aller Farben, die sich über die Gartenzäune lehnen, Insektenflug und leichter Brise, erklärt Monika die Vorzüge der Lage: „Wir genießen es eigentlich, besonders wenn ein Konzert stattfindet, weil wir gratis mithören können.“

Die Lautstärke sei kein großes Problem. Die Nähe zum Eventort sei ein Luxus, den sie wertschätzen. Doof ist nur, sagt Monika mit leichtem Schmunzeln im Gesicht, wenn zwei Veranstaltungen gleichzeitig stattfinden. „Dann überschlägt sich die Musik schonmal, das stört.“

Blick durch die Kleingartenanlage am Münchner Olympiapark.<span class="copyright">FOCUS online</span>
Blick durch die Kleingartenanlage am Münchner Olympiapark.FOCUS online

 

Früher, sagen sie, sei das hier an den Gärten viel schlimmer gewesen. „Als der FC Bayern und 1860 München hier noch gespielt haben, hielten die Busse direkt an den vorderen Gärten.“ Die Fans hätten sich damals richtig daneben benommen, sagt Karl, während er mit den Händen gestikuliert, als uriniere er in eine Hecke und werfe eine leere Bierflasche über den Zaun. „Heute ist das ruhiger.“

Diese Ansicht teilt eine ältere Dame, die behutsam die Büsche inmitten ihrer rosenumrankten Parzelle pflegt. Sie wirkt, als habe sie nie etwas anderes gemacht, und verkündet stolz: „Seit 1980 habe ich den Garten hier.” Sie sagt: Noch nie habe es seitdem hier Probleme wegen größerer Veranstaltungen gegeben.

„Draußen, bei der Eisstockschießbahn, feiern manchmal die Jugendlichen. Aber das gehört dazu. Man muss der Jugend auch ihre Freizeit lassen”, meint die Rentnerin. Wer absolute Ruhe möchte, solle halt aufs Land ziehen, raunt sie.

„Jahr um Jahr werden es mehr Events. Es ufert aus“

Die Kleingartenidylle hält sich wacker. Doch nicht alle teilen die Freude. Hundebesitzer Wolfgang etwa. Sicher, auch er gönnt allen einen Platz, um mitzufiebern, um sich bei Toren in die Arme zu fallen. Oder gemeinsam zu trauern, wenn das Spiel anders als erhofft endet. Was sich Wolfgang aber wünscht, ist mehr Klarheit, mehr Ordnung, für alle, die dort wohnen.

„Was mich stört: Kein Mensch kommt jetzt da durch, nicht mal wenn kein Spiel ist. Ich erinnere mich da an eine alte Frau, die ging auf Krücken. Die gute Dame wusste nichts von der Fanmeile, und musste dann einen Umweg von einem Kilometer auf sich nehmen. Da waren die rigoros“, sagt er.

Hundebesitzer Wolfgang mit seinen drei Golden Retriever im Olympiapark.<span class="copyright">FOCUS online</span>
Hundebesitzer Wolfgang mit seinen drei Golden Retriever im Olympiapark.FOCUS online

 

Dabei ginge das doch auch menschlicher, findet Wolfgang. „Einfach einen Volunteer abstellen, der die Dame da durchführt.“ Generell gebe es zu viele Events im Olympiapark. Mehr und mehr würden sich diese Feiern verselbstständigen. „Jahr um Jahr werden es mehr. Sicher, der Park muss Geld verdienen. Aber es ufert aus. Es gibt keine Selbstbeschränkung, alles wird immer größer.“

Das betreffe nicht nur die Fanmeile. Ein anderes Beispiel seien die E-Bike-Tage dort. „Die flitzen kreuz und quer durch den Park, weil’s dann erlaubt ist. Grünflächen werden in Grund und Boden getreten. Und danach benehmen sich plötzlich alle Radler so. Keinerlei Unrechtsbewusstssein.“ Während er das sagt, schnellen Radler hinter seinem Rücken vorbei.

„Hier entsteht regelmäßig Chaos, weil wieder irgendwas los ist“

Am Ende ist es Wolfgang, der schon angeschnauzt wurde: „‚Hier fahren doch alle so‘ oder ‚Was regt sich der alte Sack so auf‘“, würden sie dann zum ihm sagen. Nicht immer blieb es bei hitzigen Wortgefechten. „Ich bin auch schon richtig angegangen worden.“

Das größte Problem aber seien die Parkplätze, sagt auch er, der ein Stück östlich des Parks in der Schleißheimer Straße wohnt. „Hier entsteht regelmäßig Chaos, weil wieder irgendwas los ist. Feuerwehrzufahrten werden einfach zugeparkt. Eine Katastrophe.“ Selbst, als der FC Bayern noch hier gespielt habe, sei das nicht so schlimm gewesen. Jetzt würden Anwohner kaum noch Parkplätze finden.

Er appelliert daher an die Stadt. Die müsse jetzt handeln. „Es ist doch eine naive Vorstellung, zu denken, dass sich hier jeder schon richtig verhalte. Der Mensch lernt durch Regeln“, sagt Wolfgang ganz klar. Und findet, diese sollten auch durchgesetzt werden. Falschparker? „Rigoros abschleppen“, meint der Hundebesitzer.

Wenn die Stellplätze weg sind, wird einfach überall geparkt

Immer wieder berichten Anwohner von Park-Rowdys. Das Problem beschränkt sich nicht nur auf das unmittelbare Eventgelände: Bei den Großveranstaltungen im Olympiastadion sind oft bereits am frühen Nachmittag die 5000 Stellplätze der Olympiapark-Parkharfe sowie die umliegenden Park&Ride-Anlagen komplett belegt. Daher parkten viele Konzertbesucher ihre Fahrzeuge in den benachbarten Straßen, berichten lokale Nachrichten.

Im Umfeld des Olympia-Einkaufszentrums, des Moosacher Bahnhofs sowie in Milbertshofen und Ebenau werden Autos und Kleintransporter nicht nur auf Gehwegen und in Feuerwehrzufahrten, sondern auch auf öffentlichen und privaten Grünanlagen geparkt.

Mit dem Ausscheiden der Nationalelf dürfte sich die Lage für Anwohner wie Wolfgang wieder etwas entspannen. Doch noch ist der Europameister nicht gekürt, und zumindest einige Fans dürften erneut die Fanmeile aufsuchen. Und: Die nächste Großveranstaltung steht bereits an: In wenigen Wochen kommt Weltstar Taylor Swift in die Stadt.

Auch dann werden wieder Wege zugeparkt sein und Mülleimer überquellen. Am Ende bleiben der Olympiapark, die Fanmeile, die Konzerte, die Events dort beides: Hype für die einen, Hölle für die anderen.