Das Monster, das niemand stoppen kann

„Schlag in die Fresse.“ Mit diesen einfachen und durchaus profanen Worten vermochte Cowboys-Quarterback Dak Prescott nach der 10:42-Niederlage gegen die San Francisco 49ers auszudrücken, was seiner Franchise am fünften NFL-Spieltag widerfahren war.

„Ich habe alles reingesteckt. Das habe ich nicht kommen sehen. Vor ein paar Wochen habe ich die Pleite gegen Arizona als demütigend bezeichnet, aber das ist vielleicht die demütigendste Niederlage, an der ich je teilgenommen habe.“

Demütigend ist es aktuell beinahe für jeden Gegner, der den Niners gegenübertritt. Fünf Spiele, fünf Siege. Neben den Eagles ist San Francisco eines von nur noch zwei ungeschlagenen Teams in der laufenden NFL-Saison. Dass sich daran so schnell etwas ändert, daran mögen Beobachter der besten Football-Liga der Welt aktuell nicht wirklich glauben. Und es gibt auch keinen Anlass dazu.

Bei der Franchise aus der Bay Area läuft es rund wie lange nicht, alle Zeichen im Levi‘s Stadium in Santa Clara stehen auf Erfolg. Warum aber läuft es bei den Niners derart gut? SPORT1 schlüsselt das fünfköpfige Monster auf.

Quarterback Brock Purdy

Wer hätte das gedacht? Im NFL Draft 2022 wurde der Spielmacher in der siebten Runde an Position 262 ausgewählt. Damit war Purdy der letzte in dieser Talenteziehung ausgewählte Spieler, was ihm den wenig ruhmreichen Titel Mr. Irrelevant einbrachte.

Hinter Trey Lance und Jimmy Garoppolo war der Youngster eigentlich nur der dritte Signal Caller, weil sich die beiden vor ihm aber verletzten, schlug früher als erwartet seine Stunde. Und Purdy wusste seine Chance zu nutzen. Schon in seinem ersten Spiel als Starter schlug er in der vergangenen Saison Megastar Tom Brady, der auch einst erst spät im Draft gepickt wurde. Und es ging gut weiter. Die Niners erreichten die Playoffs, erst im Conference Championship Game war nach einer Verletzung des Quarterbacks Schluss.

Nun ist Purdy wieder fit und bereitet Fans und Teamkollegen noch mehr Spaß als im Vorjahr. Handlungsschnell und agil präsentiert er sich auf dem Feld, auch unter Druck bleibt er ruhig und begeht kaum Fehler. Gegen die Cowboys gelangen ihm beispielsweise vier Touchdown-Pässe bei einem Passer Rating von 144,4, eine Interception musste er dagegen nicht hinnehmen. Ohnehin spricht sein Karriere-Verhältnis von 22 Touchdowns bei nur vier Interceptions dafür, dass er ganz exzellent auf den Ball aufpassen kann.

Sein Ansehen ist vor allem bei seinen Teamkollegen hoch. “Brock Purdy spielt auf MVP-Level. Er beschützt den Ball und macht saubere Spielzüge. Er ist nicht nur ein Spielverwalter. Er liefert ab. Und ich denke, er erhält nicht genug Anerkennung dafür“, erklärte Safety Tashaun Gipson.

Receiving und Rushing Hand in Hand

Viele NFL-Teams dürfen sich über außergewöhnliche Wide Receiver oder Tight Ends freuen. Dass eine Franchise höchste Qualität auf beiden Positionen auf das Feld schicken kann, ist dagegen nicht die Regel. Bei San Francisco ist das aber der Fall.

Mit George Kittle steht einer der besten Tight Ends der Liga im Team, mit Brandon Aiyuk ein exzellenter Receiver. Und dann wäre da auch noch Deebo Samuel, die Wunderwaffe. Der Passempfänger, der auch im Laufspiel eingesetzt werden kann und eine Brücke zu Christian McCaffrey schlägt.

Viele gegnerische Fans hatten es befürchtet, seit seiner Ankunft im Oktober 2022 wurde es mehr als nur deutlich: CMC passt als einer der besten Running Backs der Liga perfekt in die Offense der Niners.

Die Franchise von Head Coach Kyle Shanahan hat derart viele Ausnahmespieler in der Offense, den gegnerischen Defensivreihen kann es kaum gelingen, jeden einzelnen adäquat zu decken. So findet sich quasi immer eine Anspielstation, die für den nächsten Raumgewinn oder Touchdown sorgen kann. Und das beweisen auch die Zahlen: In den ersten fünf Saisonspielen gelangen bereits 20 Touchdowns. Elf durch das Laufspiel, neun via Pass. Eine ausgewogene Offense.

Defense wins Championships

Dass es für eine erfolgreiche Saison eine stabile Defense braucht, ist wahrlich keine neue Erkenntnis. Umso besser für die 49ers, dass ihre D-Line die nötige Stabilität besitzt.

Zum einen wäre da der bestbezahlte Verteidiger der NFL-Historie, Nick Bosa. Der Defensive Player of the Year aus der vergangenen Saison überzeugt stets mit seinen Leistungen. Noch einmal wichtiger ist derzeit allerdings Fred Warner.

So gibt es kaum einen Spielzug, an dem der Linebacker nicht beteiligt ist. Den Running Back tackeln, Pässe abfangen, den Quarterback sacken – überall macht er seinen Einfluss geltend.

Dazu kommt: Er redet schon jetzt wie ein Defensive Coordinator und führt die Verteidigung an. Im Schnitt lässt die Niners-D nur 13,6 Punkte pro Spiel zu, so wenige wie kein anderes NFL-Team.

Coach Shanahan drückt die richtigen Knöpfe

Zu einem erfolgreichen Team gehört freilich auch ein exzellenter Coach. Kyle Shanahan verlängerte erst kürzlich seinen Vertrag um mehrere Jahre – und das nicht ohne Grund. Neben der exzellenten Defensivarbeit schafft er es mit seinen Koordinatoren, in der Offensive eine gute Balance zwischen Pass- und Laufspiel herzustellen - garniert mit pfiffigen Trickspielzügen.

So zum Beispiel gegen die Cowboys, als Quarterback Purdy den Ball an Running Back McCaffrey übergab, dieser ihn wiederum zu dem bereits rennenden Deebo Samuel warf. Der Receiver beförderte das Ei in der Folge zurück zu Purdy, der zu dem völlig freistehenden Tight End George Kittle warf. Touchdown.

Dass es Shanahan zudem schafft, den noch jungen und unerfahrenen Brock Purdy richtig zu coachen, versteht sich von selbst.

Und es kommt noch etwas dazu: die richtige Ansprache und Motivation. In der Nacht vor dem Spiel gegen die Cowboys spielte Shanahan in einem Teammeeting ein Video von Dallas-Defensive-End DeMarcus Lawrence ein. Darin war zu sehen, wie Lawrence nach dem 30:10-Sieg der Cowboys gegen die New York Jets in Woche zwei davon sprach, dass die NFL die „beste Defense der Welt“ gesehen hätte. Genug Ansporn, um den Gegner eines Besseren zu belehren.

Gesundheit

Als letzter und doch so immens wichtiger Kopf des fünfköpfigen Niners-Monsters kommt der Aspekt Gesundheit, respektive ausbleibende Verletzungen. Ein Thema, welches ein NFL-Team zu einem großen Teil nicht beeinflussen kann, welches aber für den Erfolg enorm wichtig ist.

In den zurückliegenden Jahren hatten die 49ers schon so manches Mal einen exzellenten Kader mit großen Erfolgsaussichten, unzählige Verletzungen machten am Ende aber alle Pläne zunichte.

Gewiss, die Saison ist mit fünf gespielten Regular-Season-Spielen noch jung, dennoch sieht es in genau diesem Bereich gut aus. Die Schlüssselspieler sind fit, keiner der hochbezahlten Topstars, die für den Erfolg des Teams wichtig sind, fällt längerfristig aus.

Im Kampf um den Super Bowl standen die Chancen schon lange nicht mehr so gut.