Nach Nagelsmann ging es nur bergab - bis jetzt!

Der Name Julian Nagelsmann hat bei der TSG Hoffenheim vom 11. Februar 2016 bis zu seinem Abgang in Richtung Leipzig im Juni 2019 alles in den Schatten gestellt. Klassenerhalt, knapp verpasste Champions-League-Qualifikation gegen den FC Liverpool, zwölf Monate später dann aber die Zulassung zur Königsklasse über Rang drei in der Bundesliga erspielt – die Kraichgauer überrannten ihre Konkurrenz förmlich, die Euphorie war erstmals wieder so groß wie nach dem Aufstieg 2008.

Nach Nagelsmann-Abgang rutschte die TSG aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit

Mit dem Abgang von Nagelsmann rutschte auch die TSG peu à peu aus dem Blickfeld der breiten Öffentlichkeit. Alfred Schreuder und Sebastian Hoeneß schafften zwar auch punktuell starke Serien, einmal gelang noch der Einzug in die Europa League. Dennoch war die Euphorie – sicherlich auch bedingt durch die triste Zeit während der Coronapandemie – seitdem nicht mehr in diesem Maße vorhanden, es ging in leisen Schritten bergab.

Alexander Rosen ist seit 2010 in Hoffenheim tätig. Der Sportvorstand hat in diesen 13 Jahren viel mitgemacht, er kennt den Klub aus dem Effeff, hat einige Krisen überwunden.

Im exklusiven Gespräch mit SPORT1 sagte Rosen selbstkritisch: „Wir haben nicht nur in der aktuellen Phase, sondern auch in den vergangenen Jahren immer wieder aufblitzen lassen, was sportlich in uns steckt. Leider hat uns vor allem in den letzten beiden Spielzeiten die Konstanz gefehlt.“ Der Sportvorstand vermutete: „Vielleicht wurden wir aufgrund dieser fehlenden Nachhaltigkeit in der Öffentlichkeit nicht ganz so wahrgenommen. Dies sieht nun nach dem erfolgreichsten Start unserer Bundesliga-Historie nachvollziehbarerweise natürlich etwas anders aus.“

Ausgerechnet eine Pleite sorgte für Stimmungsumschwung

Das Thema fehlende Konstanz lässt sich wohl am ehesten an der Trainer-Personalie André Breitenreiter verdeutlichen. Nach zehn Spielen belegte die TSG in der vergangenen Saison mit 17 Punkten Champions-League-Rang vier. Danach holte Breitenreiter nur noch zwei Zähler aus neun Partien und stürzte in der Tabelle ab. Nach einem 2:5 in Bochum zog der Klub die Reißleine und installierte Pellegrino Matarazzo. Der Coach startete mit einer empfindlichen Niederlagenserie, stand früh im Brennglas der Öffentlichkeit. Selbst ein kurzes Intermezzo schien nicht ausgeschlossen.

Es war aber ausgerechnet eine Niederlage beim SC Freiburg, die für einen gewaltigen Stimmungsumschwung und einen überraschenden Aufschwung bei den Hoffenheimern sorgte. Rosen erinnerte sich zurück: „Die 1:2-Niederlage in der Rückrunde beim SC Freiburg war so ein bisschen das Kick-off-Spiel. Wir haben dort eine richtig gute Leistung gezeigt, aber trotzdem kurz vor Schluss den entscheidenden Gegentreffer und damit die fünfte Niederlage in Folge hinnehmen müssen. Dennoch war diese Partie ein echter Mutmacher und letztlich auch ein Wendepunkt. Das Sportliche auf dem Rasen hat gestimmt und es waren sehr viele TSG-Fans mit in Freiburg – ein klares Zeichen, dass alle in dieser komplizierten Situation eng zusammenstehen. Dieser positive Vibe ist nach wie vor zu spüren.“

Rosen war von Matarazzo absolut überzeugt

Was danach folgte, war ein zu diesem Zeitpunkt kaum zu fassender Lauf. Matarazzo holte mit seiner Mannschaft 18 von 30 möglichen Zählern aus den letzten zehn Partien und sicherte so noch souverän die Klasse. Die TSG knüpfte nach der Sommerpause beinahe nahtlos an den Lauf an, sammelte an den ersten sieben Spieltagen 15 Punkte. Einen solchen Start erlebte die TSG auch unter Nagelsmann nicht. Der Spaß, er ist auch ohne ihn wieder in den Kraichgau zurückgekehrt.

Rosen lobte Matarazzo für seine Arbeit: „Rino blieb auch nach der Niederlagenserie zu Beginn seiner Amtszeit bei uns total ruhig und stabil. Das galt aber nicht nur für ihn. Egal wie groß die Rückschläge auch waren, wir hatten die absolute Überzeugung, dass wir diese anspruchsvolle Situation meistern werden. Nach dem Sieg gegen die Hertha haben wir richtig Fahrt aufgenommen und schließlich mit einem spektakulären Heimsieg gegen Union Berlin am 33. Spieltag den Klassenerhalt gesichert.“

„Mannschaft gezielt verändert, um Raum für Neues zu schaffen“

Der Umschwung in Hoffenheim lässt sich nicht nur auf Glück oder Zufall zurückführen. Er entspringt auch einer intelligenten und gut durchdachten Transferpolitik. Die Kraichgauer haben mit Sebastian Rudy, Ermin Bicakcic, Thomas Delaney, Angelino oder Christoph Baumgartner erfahrene Leute verloren. Rosen erwirtschaftete diesmal allerdings kein Transfer-Plus und verriet: „Wir haben ganz bewusst die Entscheidung getroffen, etwas Luft an den Kader zu lassen und Veränderungen konsequent vorangetrieben. Dabei ging es nie um Schuldfragen, aber wir wollten das Gesicht der Mannschaft gezielt verändern, um Raum für Neues zu schaffen.“

Trotz zahlreicher Ab- und Zugänge vermied er ganz bewusst das Wörtchen Umbruch: „Denn entscheidende Stabilisatoren wie zum Beispiel Oliver Baumann, Andrej Kramaric, Grischa Prömel oder Pavel Kaderabek sind nach wie vor wichtige Eckpfeiler unseres Kaders – auf dem Platz und in der Kabine.“

Maximilian Beier steht “vor einer tollen Zukunft“

Hoffenheim agierte auf dem Transfermarkt aber etwas mutiger, nahm für Mergim Berisha, Attila Szalai oder Anton Stach fast 40 Millionen Euro in die Hand. „Es geht nicht ausschließlich mit jungen Spielern, sondern nur mit dem richtigen Mix. Und genau das wollten wir mit dem Kaderumbau in der vergangenen Transferperiode erreichen. Ich glaube, wir haben eine Mischung gefunden, die uns aktuell richtig guttut“, sagte Rosen. Einer, der als Paradebeispiel für diesen richtigen Mix dient, ist Maximilian Beier.

Der 20-Jährige kehrte nach zwei Jahren Leihe von Hannover 96 nach Hoffenheim zurück und ist aktuell mit fünf Treffern nach Leroy Sané bester deutscher Torschütze in der Bundesliga. „Wer allen Ernstes davon spricht, dass er diese Quote und die Top-Leistungen von Maxi so schnell erwartet hat, der sagt wohl nicht ganz die Wahrheit“, schmunzelte Rosen und lobte: „Wir wussten und wissen, dass Maxi Beier ein Super-Typ und ein extrem talentierter Stürmer ist. Er ist unglaublich schnell, torgefährlich und er kann richtig gut kicken. Die Zeit in Hannover hat ihm sehr gutgetan, die zweijährige Leihe ist somit für alle Seiten voll aufgegangen. Mit seiner bedingungslosen Bereitschaft und seiner erfrischenden Spielweise steht er vor einer tollen Zukunft.“

Nagelsmann als Aushängeschild des Siegels ‚Made in Hoffenheim‘

Ob Nagelsmann in seiner Funktion als Nationaltrainer auch wegen Beier bald wieder häufiger in der PreZero-Arena auftauchen wird? Er wird sich darüber freuen, dass sein früherer Klub vier Jahre nach dessen Abgang auch ohne ihn wieder deutlich bessere Laune hat.

Rosen ist natürlich stolz, dass Nagelsmann den Weg aus der Talentschmiede Hoffenheim bis zum Bundestrainer geschafft hat: „Julian ist wie so viele Trainer, Experten und Spieler im Spitzenfußball ‚Made in Hoffenheim‘. Er ist sicher das Aushängeschild dieses werthaltigen Siegels und ich halte ihn für den absolut richtigen Bundestrainer.“

Die TSG jedenfalls steht voll hinter ihm: „Was Julian und unsere Nationalmannschaft nun brauchen, ist eine umfassende Unterstützung - und von uns wird er die auf jeden Fall bekommen.“ Damit die Stimmung beim DFB-Team ähnlich gut wird, wie es inzwischen in Hoffenheim der Fall ist.