Jan Ullrich: "Auf einmal war ich nicht mal mehr der Ackergaul"

Jan Ullrich packt über seine Vergangenheit aus. In einem Interview mit Doping-Experte Hajo Seppelt spricht der ehemalige Rad-Star über seine Lügen, seinen lebensgefährlichen Absturz und über seine Zukunft.

 Jan Ullrich hat mit seiner Doping-Vergangenheit reinen Tisch gemacht.
Jan Ullrich hat mit seiner Doping-Vergangenheit reinen Tisch gemacht.

Ex-Rad-Star Jan Ullrich hat sich nach jahrelangem Schweigen vor wenigen Tagen zu seiner Doping-Vergangenheit bekannt - es war das Ende einer Lebenslüge des Tour-de-France-Siegers von 1997.

Nun äußerte sich Ullrich ausführlich in einem Interview mit dem ARD-Dopingexperten Hajo Seppelt - 17 Jahre nach einem aufsehenerregenden Aufeinandertreffen in der damaligen ARD-Talkshow „Beckmann“ des gleichnamigen Moderators Reinhold Beckmann.

Im Jahr 2006 war Ullrich allen Doping-Fragen des zugeschalteten Seppelt konsequent und stur ausgewichen. Nach dem Geständnis des Ex-Radprofis fand das erneute, diesmal persönliche Treffen mit Seppelt unter neuen Voraussetzungen statt - und der gefallene Held der deutschen Radsportgeschichte stellte sich deutlich entspannter den Fragen.

„In der Vergangenheit wollte Ullrich nie mit mir über sein langjähriges Doping reden - und die Folgen, die es hatte. Jetzt tut er es erstmals“, schrieb Seppelt vorab bei X.

2022 hatte er eine Folge seines Podcasts „Geheimsache Doping“ über Ullrich genommen: „Damals war ich davon überzeugt, dass ein Interview mit Ullrich nie möglich sein würde. Im Jahr 2023 haben sich die Vorzeichen geändert.“

Ullrich über spätes Geständnis: „Wen hätte ich geholfen?“

Ullrich beantwortete im am Sonntag in der ARD ausgestrahlten Gespräch unter anderem die brennende Frage, warum er erst so spät über seine Lebenslüge auspackte. „Ich habe den Radsport so geliebt, dass ich auf keinen Fall der Verräter sein wollte. Mit dem Geständnis - wem hätte ich denn damit geholfen? Ich habe den Radsport zu sehr geliebt, um ihn irgendwie zu schädigen. Ich habe mir damals gesagt, ich sage nichts, ich reiße da keinen mit rein, ich werde da keine Familien zerstören, so wie es bei mir war“, führte er aus.

Die lange auf sich wartende Doping-Beichte lag Ullrich zufolge aber auch an seinem Umfeld. „Ich hatte ein Beraterteam. Kurz davor hatte ich noch Teamkollegen, Sportler, Freunde, war in der Familie des großen Radsports unterwegs. Und auf einmal waren die meisten Leute, die um mich herum waren, Anwälte“, beschrieb der Ex-Radprofi, der sich an den Rat dieser halten wollte. „Die Anwälte haben gesagt, das ist ein laufendes Verfahren, da kommt noch ein Strafverfahren – ‚wir raten dir stillzuhalten‘. Und diese beiden Sachen kombiniert haben mich erst mal zu dem Entscheid geführt, dass ich nichts sage“, erklärte Ullrich seinen Entschluss.

Ullrich entschuldigt sich bei Zuschauern und seiner Mutter

Ein Verlangen, sich zu entschuldigen, empfindet der Ex-Profisportler nur bei wenigen Leuten.

„Es gab sicherlich Fahrer, die dem Doping widerstanden haben. Bei denen muss ich mich entschuldigen. Und natürlich bei den Zuschauern, bei den Fans. Da war die Enttäuschung groß, selbst bei meiner Mutter, die nichts wusste“, erklärte er. Bereits bei seiner Doping-Beichte merkte er aber auch an, sich nicht als Betrüger gefühlt zu haben, da damals sehr viele Top-Radprofis betrogen hatten. Diesen Standpunkt verdeutlichte er bei Seppelt erneut. Demnach wäre er, selbst wenn er seinen Tour-Sieg von 1997 verlieren würde, noch „Sieger im Herzen“.

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Sein größter Wunsch wird jedoch unerfüllt bleiben. „Ich wäre gerne Profi gewesen in einem dopingfreien Radsport, weil ich glaube, dann hätte sich mein Talent durchgesetzt. Ich hätte gerne die Tour de France auch dopingfrei für Deutschland gewonnen“, trauert er der Möglichkeit nach. Der 49-Jährige ist schließlich sicher, dass das „damals verbreitete Doping weg“ sei und möchte glauben, dass „der Radsport sauber“ ist.

Ullrich über sein Karriereende: „Bin durchgerasselt in die Tiefe“

Während Ullrich sein Doping-Vergehen mit vielen Weggefährten teilt, folgte der ganz persönliche Absturz erst mit seinem Karriereende 2006, welches einen Knackpunkt im Leben des Sportlers und Menschen Jan Ullrich markierte. „Es fing 2006 an, als ich aus der Tour de France genommen wurde. Ich war ein Sieganwärter der Tour de France, und auf einmal ging der Boden auf, und ich bin durchgerasselt in die Tiefe“, erinnert sich der 49-Jährige mit einem Schaudern.

In einer Phase, in der er eigentlich Unterstützung benötigt hätte, wurde er „komplett alleingelassen“ und von „ganz Deutschland bombardiert“. Die Wunden aus dieser Zeit sind selbst heute noch nicht geheilt. „Ich war das beste Pferd im Stall, und auf einmal war ich nicht mal mehr ein Ackergaul. Das war so schwer. Das ist jetzt 16 Jahre her, aber man kann tatsächlich noch diesen inneren Schmerz fühlen. Meine Welt ist komplett untergegangen. Darauf war ich nicht vorbereitet“, schilderte Ullrich.

„Der nächste Step wäre praktisch der Tod gewesen“

Was folgte, war ein Absturz, der zahlreiche Alkohol- und Drogen-Exzesse mit sich gebracht hat und - wie Ullrich zugibt - beinahe tödlich geendet wäre. „Ich war wirklich am Boden. Mehr ging nicht. Ich glaube, dass ich als Leistungssportler, der sich so schinden kann - der hat auch sehr viel leiden können. Ich habe auch extrem in die falsche Richtung Leid ertragen können. Damals (im Jahr 2018) war es praktisch das Maximum, was ging. Mehr ging vom Körperlichen und Geistigen her nicht mehr. Der nächste Step wäre praktisch der Tod gewesen“, fand er klare Worte. Ullrich wollte damals den Kampf selbst annehmen und „keine Hilfe von innen und außen zulassen“, was ihm beinahe zum Verhängnis geworden wäre.

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„Es wurde immer mehr und immer mehr, und ich wurde immer schwächer und schwächer. Das hat meine Substanz mit jedem Jahr ein bisschen mehr aufgefuttert. Bis ich das Ganze betäuben musste“, führte der einstige Rad-Held aus. „Es ging es los mit Alkohol. Als leichter Alkohol nicht mehr ausreichte, kam Whiskey dazu, und als das auch nicht mehr ausgereicht hat, kam dann noch Kokain dazu - und dann war es praktisch geschehen um mich“, resümierte er seine Geschichte als Drogenabhängiger.

Ullrich entscheidet sich „für das Leben

Um all das hinter sich zu lassen, hat er sich dazu entschlossen, in einer Doku-Reihe über sein Leben zu erzählen. Für ihn gehe es darum, „auszusprechen, was auf der Seele liegt“, seine „Dämonen aufzuarbeiten“ und mit seinem Leben „noch mal richtig ins Reine“ zu kommen. Zwar habe er sich nach seiner extremen Lebenskrise „für das Leben entschieden“, jedoch musste er auch komplett umdenken und analysieren „wie es so weit gekommen“ sei und was er sich jetzt noch „vom Leben erwarte“.

Immerhin haben die letzten Jahre viele Opfer gebracht. So trauert er verlorenen „schönen Jahren“ hinterher, in denen seine Kinder noch kleiner waren. Nun gehe es darum, keine Jahre mehr zu verlieren und einen stabilen Zustand zu finden. „Ich war ganz oben, ich war ganz unten und jetzt ist für mich die Mitte das Ziel“, so seine Zielsetzung.

Ullrich bietet seine Dienste im Radsport an

Dabei helfen soll ihm dabei auch seine Liebe zum Radsport. „Ich glaube, dass ich mich schon einbringen könnte und wenn es nur darum geht, der Jugend oder Kindern meine Erfahrung weiterzugeben. Ich habe den Radsport mein Leben lang weiterverfolgt. Ich liebe diesen Sport nach wie vor. Ich dränge mich nicht in den Radsport, ich frage auch nicht nach einer Stelle, oder dass ich irgendwo integriert werden soll. Ich will nur sagen, ich bin wieder offen für alles“, stellte er klar.

VIDEO: Jan Ullrich gibt klares Dopingbekenntnis ab