Tatort: Internetvideos und andere Peinlichkeiten

Mit “Level X” wagt sich der Tatort wieder einmal in die Untiefen des Internets vor – und wirkt dabei wieder einmal ziemlich peinlich.
Mit “Level X” wagt sich der Tatort wieder einmal in die Untiefen des Internets vor – und wirkt dabei wieder einmal ziemlich peinlich.

Mit „Level X“ erzählt der Tatort wieder einmal eine Geschichte aus diesem Internet. Da er dabei aber gleichzeitig auch wieder einmal Erklärstück sein will, macht er seine eigentlich gute Geschichte kaputt.

Der Tatort geht wieder ins Internet. Setzt sich mit dem Feind des deutschen Fernsehens auseinander, dem Ort, der dafür sorgt, dass Jan-Holger und Marie-Amelie nicht wie ihre Großeltern regelmäßig im Wohnzimmer vor dem Flimmerkasten sitzen. Dass sie sich stattdessen in ihren Zimmern einsperren und anderen Jan-Holgers oder Amelies dabei zuschauen, wie die ihr eigenes Programm machen – garantiert bildungsauftragsfrei.

Das Internet ist ein fremder Ort. Ist da, wo die wilden Kerle wohnen. Die man nicht versteht. Und was macht die ARD mit solchen Orten? Richtig. Schickt die Profis rein, die Kommissare vom deutschen Fernsehdezernat, damit die mal ermitteln können, was die jungen Wilden so machen.

Die skandalösesten Momente beim “Tatort”

Im Speziellen geht es im Dresdner Tatort „Level X“ um Internetvideo-Stars. Dass das alles schrecklich jung und wahnsinnig schnell ist, merkt man daran, dass sich schon in der ersten Szene Livestream-und Filmbilder abwechseln. Ein junger Mann, Simson, filmt mit einer Drohne ganz nah an eine Rockergangfeier heran und zeigt dabei einen der Motorradwikinger beim Kacken. In Dresden, dort spielt der Tatort diese Woche nämlich, schauen ihm unzählige Menschen live dabei zu. Simson ist ein “Prankster”, ein Streichespieler, der seine “Pranks” (Streiche) live im Internet überträgt und damit ordentlich Geld verdient.

Bei Livestream: Mord

Doch damit ist es an diesem Abend vorbei. Der Rockerclub verfolgt Simson, der sich dabei live mit der Drohne filmt. Als er auf dem Dresdner Schloßplatz ankommt, fällt ein Schuss, und er stirbt vor laufender Kamera. Karin Gorniak sieht es auf dem Laptop ihres Sohns und beginnt gemeinsam mit ihrer Kollegin Henni Sieland zu ermitteln. Und ihr Chef spricht gleich mal das aus, was der gebildete Fernsehzuschauer denken soll: Das Opfer habe wohl mit „Scheiße Geld gemacht“. Höhöhö.

Los geht’s.

Simsons Kumpel und Kollege Scoopy – passend für einen Film über junge Leute vom hauptberuflichen Sohn der Fernsehnation, Wilson Gonzalez Ochsenknecht, gespielt – filmt die Leiche, überträgt seinen Nachruf tränenerstickt und live ins Internet und hält am nächsten Tag mit Simsons Moderator ein „Social Mourning“, eine soziale Trauerfeier ab. Dabei spricht der, weil er natürlich so sprechen muss, er macht ja schließlich in Social Media – praktisch nur in Anglizismen: Content, Deliver, Talents, Swag. Ein richtiges Ekelpaket ist er: mit Plastikarmbändern will er am Tod seines Stars noch verdienen.

Auch Freund Scoopy profitiert von Simsons Tod. Er soll den Streamingkanal übernehmen. Ruhm und Geld als Tatmotive? Die beiden sind jedenfalls verdächtig.

Wie muss in einem Tatort ein Ekelpaket von einem Internet-Star-Manager aussehen? Sie haben es erraten: genau so.
Wie muss in einem Tatort ein Ekelpaket von einem Internet-Star-Manager aussehen? Sie haben es erraten: genau so.

Simsons Vater schließlich erzählt den Kommissarinnen, dass sein Sohn lieber ernsthafter Journalist werden wollte. Auf seinem Computer finden sie ein verstecktes Video, in dem er einen Arzt auffliegen lässt, der illegal Beruhigungsmittel verkauft. Erpressung als Tatmotiv? Da ist er schon, der nächste mögliche Täter.

Doch ein harmloser Prankster war Simson nicht. Als sie den Laptop des Arztes durchsuchen, finden Gorniak und Sieland ein schockierendes Video. In diesem vergewaltigt Simson eine andere Streamerin, Emilia. Der Arzt benutzte es, um Simson seinerseits zu erpressen.

Die besten “Tatort”-Ermittler aller Zeiten

Der Mord selbst hat dann auch mit der Vergewaltigung zu tun. Ein Freund, der in Emilia verliebt war, hat Simson auf dem Gewissen. Er tat es um das Mädchen zu rächen. Am Ende fordert die ganze Geschichte noch zwei weitere Opfer. Der Arzt stellt das Vergewaltigungsvideo online. Als Emilia es sieht, schneidet sie sich live im Internet die Pulsadern auf. Simsons Vater nimmt sich nach dem Anschauen mit Medikamenten das Leben. Und obwohl die Kommissarinnen das Mädchen retten können, ist die Tragödie perfekt.

Öffentlich-rechtliche Voreingenommenheit

Eigentlich könnte die Geschichte, die dieser Tatort erzählen will, eine sehr gute sein. Die Verstrickungen, die zum Mord und der späteren Tragödie führen, sind spannend, alles passt zusammen und das Ende nimmt einen wirklich mit.

Was diesem Tatort trotzdem das Genick bricht, ist die Tatsache, dass es ihm, wie so oft, nicht reicht, einfach nur eine gute Geschichte zu erzählen. Stattdessen will „Level X“ wieder einmal Erklärstück sein. Das ist keine Geschichte, die zufälligerweise in der Internet-Video-Szene spielt, dieser Tatort will zuallererst aufklären über Jugendphänomene, die den Zuschauern unbekannt sind, er will sie in eine fremde Welt einführen und dabei natürlich möglichst jugendlich und hip wirken –Content, Deliver, Talents, Swag. In der Realität ist diese aufgesetzte Jugendlichkeit bemüht und meilenweit entfernt von der tatsächlichen Lebensrealität der Menschen, die der Film beschreiben will.

Auch die andauernde Dämonisierung des Internets nervt. Der ehrlichste Satz ist noch der, den der Chef der beiden Kommissarinnen entnervt einem Computer entgegenbrüllt: „Kann denn nicht irgendjemand dieses verdammte Internet einfach wieder abschalten?“ Er entblößt, mit welcher Attitüde die Filmemacher und Redakteure an die Produktion herangegangen sind: Das Internet als böser und fremder Ort. Und weil es am Ende eben nicht darum geht, eine fremde Welt zu beschreiben, sondern nur darum, mit öffentlich-rechtlicher Voreingenommenheit die Vorurteile der Zuschauer anzusprechen, ist dieser Tatort vor allem eins: ziemlich peinlich.

Urteil: Dieser Tatort will zu viel – und enttäuscht dabei maßlos. Hätte man sich zwei Stunden lang Youtube-Videos angeschaut, man hätte das Land, in dem die „wilden Kerle“ wohnen, besser verstanden. (jl)

Fotos: Screenshot/ARD

Im Video: Das denken die Amis über den deutschen “Tatort”