Thanksgiving im Wandel: Die Kassen sollen klingeln

Thanksgiving: Nach dem Truthahn Shoppen bis zum Umfallen. Foto: Jim Lo Scalzo

Eigentlich wollte Paula Rove das nicht mitmachen. Aber nun kann sie einfach nicht widerstehen. Nur ein paar Kilometer von ihr entfernt, vor den Toren der Stadt Sarasota in Florida, hat ein neues Einkaufszentrum aufgemacht.

Und am Donnerstag (27.11.), dem großen US-Feiertag Thanksgiving, öffnet die «Mall» abends um 18 Uhr bis Mitternacht. Weil es von Extra-Angeboten nur so wimmelt, wird sich Paula an der nächtlichen Schnäppchen-Jagd beteiligen - und dafür das traditionelle Truthahn-Essen mit ihrer Familie um ein paar Stunden vorverlegen.

Und so geht es - gezwungenermaßen - auch den zahlreichen Angestellten im Shoppingzentrum. Entweder müssen sie hastig im Kreis ihrer Lieben den Turkey verschlingen oder ganz auf das Miteinander verzichten. Was ist aus Thanksgiving geworden?

Das Erntedankfest, das jeweils am vierten Donnerstag im November begangen wird, ist in den USA ein fast so wichtiger Feiertag wie Weihnachten. Es soll an die erste Ernte der Einwanderer in Neuengland 1621 erinnern und ist seit 1863 ein offizieller Feiertag. Viele Amerikaner nehmen lange Reisen in Kauf, um mit Angehörigen und Freunden bei Truthahn, Kartoffelbrei, Preiselbeerkompott, süßen Kartoffeln und Kürbiskuchen zusammenzusitzen. Und vielleicht schaut man sich danach noch ein Football-Spiel im Fernsehen an oder schon am Vormittag die farbenfrohe Macy's Thanksgiving Day Parade in New York mit ihren riesigen aufblasbaren Comicfiguren.

So war denn auch Thanksgiving wie Weihnachten stets als Einkaufstag tabu - die einzigen zwei Tage in den USA, an denen die Geschäfte mit Ausnahme von Lebensmittelläden geschlossen blieben. Am Freitag, an dem viele Amerikaner noch freihaben oder sich freinehmen, begann dann die Haupteinkaufssaison des Jahres, das große Shoppen für Weihnachten. Aber das ist jetzt nicht mehr genug. Seit wenigen Jahren haben immer mehr Läden schon am Abend von Thanksgiving geöffnet. Sollte der Festtag ursprünglich Muße für Besinnliches und Gemütlichkeit bringen, so gilt jetzt immer häufiger «Shop 'til you drop» - Einkaufen bis zum Umfallen.

Tristan Johnson muss somit am Donnerstag arbeiten, damit andere ihre Einkaufswagen füllen können. Der 26-Jährige ist Verkäufer in einer Washingtoner Filiale der Elektronik-Kette Best Buy - und er ist alles andere als glücklich über sein Los. «Ist das nicht hart?», sagt der junge Mann mit Blick auf seine Arbeitszeit. Er muss seine Familie am Abend von Thanksgiving verlassen und wird stattdessen bis Ladenschluss um ein Uhr morgens im Geschäft sein.

Es ist das zweite Jahr in Folge, dass Best Buy wie viele andere große US-Einzelhändler seine Türen an Thanksgiving öffnet. Alle in der Filiale müssen wenigstens einen Teil des Tages arbeiten. «Du bist nur ein kleines Rädchen im Getriebe«, sagt Johnson. «Wenn du in einer bestimmten Branche tätig bist, dann bist du bei Bedarf eben so etwas wie ein Sklave.»

Mittlerweile hat zwar das Online-Shopping immer größere Bedeutung gewonnen. Das heißt, die Amerikaner können auch mit dem Truthahn im Bauch auf ihrer Couch sitzenbleiben und von dort aus shoppen. So will etwa die Einzelhandelskette Wal-Mart neben Preisnachlässen bereits am Donnerstagmorgen auf ihrer Webseite Schnäppchen anbieten. Das bedeutet aber auch, dass die Angestellten in den landesweit 4100 Geschäften an Thanksgiving arbeiten müssen.

Andere folgen dem Beispiel von Wal-Mart und locken Konsumfreudige auf ihre Webseiten, während ihre Geschäfte zur selben Zeit überlange Öffnungszeiten haben. Einige der 840 zum Kaufhauskonzern Macy's gehörenden Geschäfte werden bereits am Donnerstagabend um 18 Uhr öffnen, um dann die ganze Nacht und den Freitag offen zu bleiben.

Dabei fällt auf, dass sich noble Läden dem Trend selten anschließen. So meint denn auch die Zeitung «Los Angeles Times», dass die Entwicklung den Kontrast zwischen den Reichen und den Armen deutlich mache. Denn wer wenig Geld hat, ist womöglich auf spezielle Angebote angewiesen und will diese nicht verpassen. Die Gutbetuchten haben es nicht nötig.

Doch auch ganz unabhängig vom Geldbeutel machen nicht alle bei der frühen vorweihnachtlichen Schnäppchen-Hatz mit. So gibt es noch Orte in den USA, in denen die Geschäfte am Feiertag geschlossen bleiben. Einer davon ist die rund 6000 Einwohner zählende Kleinstadt Douglas in Wyoming, Heimat der Lehrerinnen Angela Rhoades (41) und Melissa Hoopman (39). Beide hatten sich vergangene Woche auf eine Reise in die Hauptstadt Washington gemacht. Thanksgiving werden sie aber wie immer verbringen: mit der Familie zu Hause, mit Truthahn und Football.