TV-Shootingstar Kristin Suckow : "Wir bilden im Fernsehen nicht die Gesellschaft ab"

Kaum eine Schauspielerin ist derzeit so oft - und in sehr unterschiedlichen Rollen - zu sehen wie Kristin Suckow. Wer ist die 34-Jährige, die nun sogar ihre eigene Krimi-Reihe bekommen könnte? (Bild: MDR/ARD Degeto/Gordon Muehle)
Kaum eine Schauspielerin ist derzeit so oft - und in sehr unterschiedlichen Rollen - zu sehen wie Kristin Suckow. Wer ist die 34-Jährige, die nun sogar ihre eigene Krimi-Reihe bekommen könnte? (Bild: MDR/ARD Degeto/Gordon Muehle)

Im ARD-Krimi "Tod am Rennsteig - Auge um Auge", der zur Reihe werden könnte, spielt Kristin Suckow eine Psychologin und Fallanalytikerin. Kaum eine Schauspielerin war zuletzt so präsent im TV. Trotzdem "erkennen" viele die wandelbare 34-Jährige oft gar nicht - was in diesem Fall für sie spricht.

Kristin Suckow kam im Wendejahr 1989 vor den Toren Berlins zur Welt und studierte später in Babelsberg Schauspiel. Die heute 34-Jährige konzentrierte sich zunächst auf Theater. Seit sie 2019 als unbekannte junge Schauspielerin in der Titelrolle des ARD-Zweiteilers "Otilie von Faber-Castell - Eine mutige Frau" besetzt wurde, findet das nuancierte Spiel der zarten Brünetten mit dem ausdrucksstarken Gesicht immer mehr Beachtung. Im Dresdener "Tatort: Totes Herz" verkörperte Kristin Suckow eine der unheimlichsten Mörderinnen, die man im deutschen Fernsehen zuletzt sah - um wenig später als Nonne in der Komödie "Da hilft nur beten!" aufzutreten. Nun folgt die "Adelung" des deutschen Fernsehens für "spannende" Schauspielerinnen: In der angedachten neuen Krimireihe "Tod am Rennsteig - Auge um Auge" (Donnerstag, 9. März, 20.15 Uhr, Das Erste) verkörpert Kristin Suckow die Psychologin einer ungewöhnlichen LKA-Truppe. Im Interview spricht die Wahl-Berlinerin über hartnäckige Krimiklischees und wie sie unterwandert werden können. Sie erklärt, wie Rollenschubladen funktionieren, wie man sich aus ihnen löst und warum wir in Deutschland in puncto Diversität immer noch hinterherhinken.

teleschau: Sie spielen nun eine Psychologin und Ermittlerin, dabei haben sich die Menschen vor kurzem noch vor Ihnen gegruselt. Ihre Rolle im Dresdener "Tatort: Totes Herz" war eine, über die man in Deutschland gesprochen hat ...

Kristin Suckow: Das stimmt, ich wurde von vielen auf diese Rolle angesprochen, das war auch eine tolle Rolle. Ich habe mich bei der Drehbuchautorin Kristin Derfler dafür bedankt, dass sie so eine Figur für eine Frau geschrieben hat. Ich meine, so eine Rolle dürfen sonst nur die männlich gelesenen Kollegen spielen...

teleschau: Wie meinen Sie das?

Kristin Suckow: Selten sind Frauenfiguren so vielschichtig und vielschichtig böse. Ich habe schon häufig neben meinen Kollegen gestanden und ihnen dabei zugeschaut, wie sie die doppelbödigen Figuren mit dem großen Twist am Ende spielen dürfen. Die "Tatort"-Rolle war auch einfach sehr gut geschrieben, sodass sie leicht zu spielen war für mich. Allerdings hat sie danach ein Eigenleben in mir geführt. Es war gruselig, jemanden zu spielen, der quasi jederzeit in der Lage ist, einen Menschen umzubringen. Davon musste ich mich bewusst lösen. Ich brauchte ein paar Rituale, um diese verstörende Frau loszuwerden.

Kristin Suckow, 34, hofft, dass aus "Tod am Rennsteig" eine Reihe wird. Der in Erfurt und Umgebung spielende Krimi weist in der Tat einige "Besonderheiten" auf. (Bild: MDR/ARD Degeto/Gordon Muehle)
Kristin Suckow, 34, hofft, dass aus "Tod am Rennsteig" eine Reihe wird. Der in Erfurt und Umgebung spielende Krimi weist in der Tat einige "Besonderheiten" auf. (Bild: MDR/ARD Degeto/Gordon Muehle)

"Man neigt dazu, die ostdeutschen Städte zu unterschätzen"

teleschau: Aber es war auch ein toller Erfolg für Sie, oder?

Kristin Suckow: Ja, natürlich. Mehrere Artikel haben meine Figur in der Headline erwähnt, und meine Mama war richtig stolz auf mich. Für sie ist es jetzt offiziell, dass ich angekommen bin im Beruf (lacht). Nein, aber die Rolle als Mörderin im "Tatort" hat tatsächlich mehr Reaktionen ausgelöst, als ich erwartet hätte. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass es so vielen Menschen gefallen hat.

teleschau: Und dann ist die logische Konsequenz Ihrer zunehmenden Bekanntheit, dass sie eine Ermittlerin in einer neuen Krimireihe spielen dürfen?

Kristin Suckow: Ja, vielleicht. Dafür wurde ich aber ganz normal gecastet. Schon in der ersten Runde habe ich gemeinsam mit meinem späteren Spielpartner Bernhard Conrad gespielt. Unsere Chemie und auch die Chemie zwischen den restlichen Ermittlerinnen hat toll gepasst. Und das ist auch die Basis von "Tod am Rennsteig".

teleschau: Der Krimi versucht über seine Einbettung in die thüringische Landschaft und viel Personal mit Ost-Hintergrund eine sehr bodenständige Atmosphäre zu schaffen. Andererseits geht es um "Profiling" und hochmoderne Ermittlungsmethoden ...

Kristin Suckow: Für mich ist das kein Gegensatz. Ich habe Erfurt, wo wir hauptsächlich drehen und während der Produktion leben, als sehr moderne Stadt empfunden. Mich hat es überrascht, was ja auch doof ist, weil ich offensichtlich andere Vorurteile hatte. Aber die Menschen dort, die Cafés, das Flair der Stadt - das war teilweise so modern, dass ich den Prenzlauer Berg, wo ich normalerweise wohne, fast schon muffig-spießig dagegen fand (lacht). Man neigt dazu, die ostdeutschen Städte zu unterschätzen. Es war ganz toll in Erfurt! Da leben sehr viele junge Leute, alles war äußerst progressiv. Deshalb muss der Krimi dort auch keinen Spagat vollziehen, sondern einfach nur die Realität zeigen.

Die neue Psychologin Annett Schuster (Kristin Suckow) und "Profiler" Jan Kawig (Bernhard Conrad) finden eine Leiche in einem Waldstück. Die beiden Ermittler sind Teil des neuen Thüringen-Krimis "Tod am Rennsteig", der mit einer Folge am ARD-Donnerstagabend startet (Bild: MDR/ARD Degeto/Gordon Muehle)
Die neue Psychologin Annett Schuster (Kristin Suckow) und "Profiler" Jan Kawig (Bernhard Conrad) finden eine Leiche in einem Waldstück. Die beiden Ermittler sind Teil des neuen Thüringen-Krimis "Tod am Rennsteig", der mit einer Folge am ARD-Donnerstagabend startet (Bild: MDR/ARD Degeto/Gordon Muehle)

"Die Profilerin hat es gefreut, dass der Krimi ihre Arbeit so zeigt, wie sie ist"

teleschau: Was ist für Sie das Besondere an dieser Krimi-Reihe, sofern es eine wird?

Kristin Suckow: Dass die Beziehungen im Team nicht so hierarchisch, sondern offen sind. Das ist gerade deshalb interessant, weil es sich bis auf Bernhards Figur um Ermittlerinnen handelt. Die Frauenfiguren im Rennsteig-Krimi kommen über das alte Klischee von "es kann nur einen geben" hinweg. Sie begegnen sich offen und auf Augenhöhe. Das zeigt sich besonders in einer Szene in der Marion, die Chefin des Teams, mit Annette ganz offen über ihre Eifersucht und Konkurrenz spricht.

teleschau: Und das Team der Operativen Fallanalyse, das Sie im Film spielen, gibt es tatsächlich am Landeskriminalamt in Erfurt ...

Kristin Suckow: Ja. Und ich habe mich auch mit der Profilerin dort unterhalten, einer Psychologin, wie ich sie auch in der Rolle spielte. Wir haben im Film viel von dem übernommen, wie dieses OFA-Team tatsächlich arbeitet. Die Profilerin hat es gefreut, dass der Krimi ihre Arbeit so zeigt, wie sie ist.

teleschau: Nennen Sie doch mal ein Beispiel ...

Kristin Suckow: Es geht bei ihr, als Psychologin des Teams, meist um einen systematischen Ansatz. Die Arbeit der Psychologen im Team dreht sich oft darum, dass man sehr strukturiert und methodisch vorgeht. Polizeiarbeit hat ansonsten - wie auch in unserem Film - viel mit assoziativem Vorgehen und Gespür für die Situation zu tun, was natürlich auch wichtig ist. Die Psychologin allerdings bringt einen wissenschaftlichen Ansatz hinein.

Eines der sicherlich interessanteren Teams in der deutschen TV-Krimi-Landschaft: Jan Kawig (Bernhard Conrad) und Annett Schuster (Kristin Suckow) finden im ersten "Tod an Rennsteig"-Film eine Leiche in jenem verlassenen Freibad, in dem Jan Teile seiner Kindheit verbrachte. (Bild: MDR/ARD Degeto/Gordon Muehle)
Eines der sicherlich interessanteren Teams in der deutschen TV-Krimi-Landschaft: Jan Kawig (Bernhard Conrad) und Annett Schuster (Kristin Suckow) finden im ersten "Tod an Rennsteig"-Film eine Leiche in jenem verlassenen Freibad, in dem Jan Teile seiner Kindheit verbrachte. (Bild: MDR/ARD Degeto/Gordon Muehle)

"Man wird schnell in eine Schublade geschoben, das ist bei mir zum Glück nicht passiert"

teleschau: Im Fernsehkrimi sind Ritual- und Serienmorde sehr verbreitet. In der Realität passieren sie hingegen äußerst selten. Hat so ein echtes "Profiler"-Team im beschaulichen Thüringen überhaupt genug zu tun?

Kristin Suckow: Ich glaube schon. Sie werden bei jedem Fall hinzugezogen, der irgendwie besonders ist. Ich habe zum Beispiel eine andere Psychologin und Profilerin kennengelernt, die von einem Fall erzählte, wo ein junger Mann einen 13-jährigen Jungen und ein 14-jähriges Mädchen ermordete und sich danach mit den Leichen filmte. Das war ihr absolut schlimmster Fall. Auch weil es ihr Job ist, sich mit dem Täter zu identifizieren, also die Tat mit seinen Augen zu sehen. Dann kann das natürlich schnell Dimensionen annehmen, die persönlich sehr belastend sind. Das echte OFA-Team beschäftigt sich mit großen Abgründen im Menschen. Übrigens hat jedes Bundesland ein solches Team.

teleschau: Aber nicht jeder ihrer Fälle kann so drastisch sein wie der beschriebene - oder etwa doch?

Kristin Suckow: Nein, ich habe erfahren, dass es auch andere Aufgaben gibt. Wie zum Beispiel, wenn mögliche Täterinnen und Täter auf bestimmte Weise befragt werden müssen. Weil sie psychische Diagnosen haben oder vielleicht ganz klar ist, dass gelogen wird. Auch dann kommt die OFA zum Einsatz - um eine Strategie der Vernehmung zu entwickeln.

teleschau: Zu Ihrer Karriere: Als der Historien-Zweiteiler "Ottilie" im Ersten lief, wunderten sich viele, dass man den Mut hatte, die Rolle mit einer jungen, damals noch unbekannten Schauspielerinnen zu besetzen. Trotzdem hat es jetzt über drei Jahre gedauert, bis man Sie plötzlich ständig in größeren Rollen sieht ...

Kristin Suckow: Nach "Ottilie" kamen schon größere Rollenangebote. "Die Heimsuchung" mit Kostja Ullmann habe ich gespielt, den Kinofilm "Stille Post" - und dann spiele ich in einer Impro-Miniserie von Tom Lass, "Tod den Lebenden", die über mehrere Jahre entstand und 2023 in die ARD Mediathek kommt. Die Arbeit wurde eigentlich kontinuierlich mehr, aber was noch viel wichtiger ist: Es waren spannende Rollen und nicht etwa solche, die alle in eine ähnliche Richtung gehen. Man wird schnell in eine Schublade geschoben, das ist bei mir zum Glück nicht passiert. Darüber freue ich mich riesig!

2019 spielte Kristin Suckow - als unbekannte junge Schauspielerin - die Titelrolle des ARD-Zweiteilers "Otilie von Faber-Castell - Eine mutige Frau", ein durchaus feministisch angehauchtes Biopic.  (Bild: ARD Degeto / Martin Spelda)
2019 spielte Kristin Suckow - als unbekannte junge Schauspielerin - die Titelrolle des ARD-Zweiteilers "Otilie von Faber-Castell - Eine mutige Frau", ein durchaus feministisch angehauchtes Biopic. (Bild: ARD Degeto / Martin Spelda)

Kurz nach der Mörderin im "Tatort" spielte sie eine Nonne

teleschau: Sie haben vor den erwähnten Rollen viel Theater gespielt. Hatten Sie Angst davor, im Fernsehen ein Klischee bedienen zu müssen und wenn ja - welches hätte das sein können?

Kristin Suckow: Oh, das passiert sehr schnell. Wenn man einmal die Ärztin gespielt hat, wird man danach für drei oder vier Projekte wieder als Ärztin angefragt. Jede Rolle regt die Fantasie der Macherinnen und Macher an - mit dem Ergebnis, dass man als jemand gesehen wird, der man schon mal war. Doch aus irgendeinem Grund habe ich das Glück, immer wieder sehr spannende, vielschichtige und abwechslungsreiche Figuren spielen zu dürfen. "Stille Post" ist ein sehr politischer Film, da spiele ich eine Journalistin, die in einem moralischen Dilemma steckt. Neulich habe ich eine ungewöhnliche Nonne in einer ARD-Komödie gespielt, nach der Mörderin im "Tatort". Dass das alles kurz hintereinander geht, ist ein echtes Geschenk!

teleschau: Ihre Frauenfiguren haben dennoch eines gemeinsam. Sie sind komplexer und vielschichtiger als sie - zumindest im deutschen Fernsehen - bis vor kurzem waren. Sind Ihre Rollen vielleicht sogar exemplarisch für einen neuen Trend?

Kristin Suckow: Ich wünsche es mir so sehr! Film und Fernsehen haben die Aufgabe, progressiv zu sein - gerade in der Hinsicht, dass sich starre Rollenbilder verändern. Da wünsche ich mir noch mehr Vielfalt. Was sexuelle Diskriminierung betrifft, die Homophobie, die Benachteiligung von POCs und Menschen mit Behinderung, - da ist noch sehr viel mehr möglich an Vielfalt im Film! Ich würde mir wünschen, dass der deutsche Film beginnt, dieses Thema richtig ernst zu nehmen.

"Man neigt dazu, die ostdeutschen Städte zu unterschätzen", sagt Kristin Suckow. Ihre Kriminalpsychologin Annett Schuster ist gerade aus den USA zurückgekehrt und sinniert nun über den Dächern von Erfurt. (Bild: MDR/ARD Degeto/Gordon Muehle)
"Man neigt dazu, die ostdeutschen Städte zu unterschätzen", sagt Kristin Suckow. Ihre Kriminalpsychologin Annett Schuster ist gerade aus den USA zurückgekehrt und sinniert nun über den Dächern von Erfurt. (Bild: MDR/ARD Degeto/Gordon Muehle)

"Die Folge wäre auch, dass die Drehbücher besser werden"

teleschau: "Diversity" scheint momentan schon sehr präsent zu sein. Es wird zumindest viel darüber geredet ...

Kristin Suckow: Das stimmt, aber im internationalen Vergleich sind wir, was die Sichtbarkeit von marginalisierten Gruppen betrifft, noch ziemlich hinterher. Es gibt eine Studie von "Vielfalt im Film", die herausgefunden hat, dass queere Menschen in deutschen Fernsehproduktionen zu weniger als einem Prozent repräsentiert sind. In der Gesellschaft liegt diese Gruppe aber bei etwa elf Prozent. Da ist schon eine gewaltige Lücke zwischen filmischer "Realität" und dem echten Leben. Bei behinderten Menschen oder POCs ist es nicht besser. Wir bilden im Fernsehen nicht die Gesellschaft ab, geschweige denn, dass wir progressiv sind und vorausdenken.

teleschau: Können Sie als Schauspielerin etwas dagegen tun?

Kristin Suckow: Ich kämpfe dafür, dass es besser wird. Unter anderem damit, dass ich immer wieder Drehbücher ablehne, die alte Muster bedienen und in puncto Diskriminierung problematisch sind. Ich nehme wahr, dass das andere Schauspielerinnen und Schauspieler auch tun. Zumindest die, die es sich leisten können, Aufträge abzulehnen. Es ist auf jeden Fall ein wichtiges Signal, dass wir auf diesen Punkt hinweisen und dann eben auch "nein" sagen. Die Folge wäre nicht nur weniger Diskriminierung und Klischee. Die Folge wäre auch, dass die Drehbücher besser werden.

Das OFA-Team untersucht seine erste Leiche: (von links) Gerichtsmedizinerin Vanessa Sun (Jing Xiang), Jan Kawig (Bernhard Conrad) und Annett Schuster (Kristin Suckow). (Bild: MDR/ARD Degeto/Gordon Muehle)
Das OFA-Team untersucht seine erste Leiche: (von links) Gerichtsmedizinerin Vanessa Sun (Jing Xiang), Jan Kawig (Bernhard Conrad) und Annett Schuster (Kristin Suckow). (Bild: MDR/ARD Degeto/Gordon Muehle)