Ukraine-Krieg: Die Entwicklungen am Donnerstag

Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine herrscht in dem Land Krieg. Die aktuellen Entwicklungen im Überblick.

Unser Ticker ist für heute beendet. Hier können Sie die wichtigsten Ereignisse des Tages nachlesen:

  • Selenskyj warnt vor «Terrorakt» in AKW Saporischschja

  • Wagner-Chef: Moskau verbreitet Lügen über Lage an Front

  • Selenskyj sieht Fortschritte an der Front

  • Scholz: Ukraine-Hilfe auf Stärkung der Kampfkraft konzentrieren

  • Kiewer Geheimdienst räumt russischen Angriff auf eigene Zentrale ein

  • Opferzahl nach Flutkatastrophe in Südukraine auf über 60 gestiegen

Die aktuelle Newslage:

+++ Selenskyj warnt vor «Terrorakt» in AKW Saporischschja +++

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Russland erneut vorgeworfen, im besetzten Atomkraftwerk Saporischschja einen «Terrorakt» zu planen. «Sie haben dafür alles vorbereitet», sagte der Staatschef am Donnerstag in einem Video. Der ukrainische Geheimdienst SBU habe darüber Informationen. Zugleich warnte Selenskyj, dass ein solcher Angriff auf Europas größtes AKW Folgen weit über die Ukraine hinaus haben könnte. «Radioaktivität kennt keine Grenzen», sagte er.

Am Mittwoch hatte bereits der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow, von russischen Vorbereitungen zur Sprengung des Kühlwasserteichs am Kraftwerk gesprochen. Daraus erhalten die Kühlsysteme des Atommüllzwischenlagers und der heruntergefahrenen Reaktoren Wasser. Moskau weist solche Vorwürfe immer wieder zurück. Das AKW war von Russland gleich nach dem Einmarsch ins Nachbarland vor 16 Monaten besetzt worden.

+++ Wagner-Chef: Moskau verbreitet Lügen über Lage an Front +++

Der Chef der russischen Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat Russlands Militärführung Lügen und Verschweigen von Fakten über die Lage an der Front in der Ukraine vorgeworfen. Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow tischten Präsident Wladimir Putin «Blödsinn» auf, sagte Prigoschin in einer am Donnerstag veröffentlichen Sprachnachricht bei Telegram. Dies geschehe in der Hoffnung, dass solche «Lügen» nur schrecklich genug sein müssten, damit Putin sie glaube. Die ukrainischen Streitkräfte hätten bereits erhebliche Erfolge.

«Das sind große Gebiete, die wir verloren haben», sagte Prigoschin. Auch die Verluste in den russischen Reihen seien groß. Es gebe «kolossale Probleme», die verheimlicht würden. Dagegen berichtete die Armeeführung ohne Beweise über angeblich massenhaft Tote und vernichtete Technik auf ukrainischer Seite. Der Chef der Söldnertruppe warf Schoigu und Gerassimow wiederholt Unfähigkeit vor. Einmal mehr forderte er eine Mobilmachung, um eine russische Niederlage zu verhindern. Russland führt seit 16 Monaten Krieg gegen die Ukraine.

Jewgeni Prigoschin (Bild: REUTERS/Yulia Morozova)
Jewgeni Prigoschin (Bild: REUTERS/Yulia Morozova)

Dagegen berichtete Schoigu bei einem Treffen mit Putin erneut über Verluste auf ukrainischer Seite, darunter angeblich zahlreiche Panzer. Das Tempo von Kiews Gegenoffensive habe sich nach 16 Tagen verlangsamt, sagte Schoigu der Agentur Interfax zufolge. Trotzdem hätten die Streitkräfte weiter großes Potenzial. Zuvor hatte auch Kiew eingeräumt, dass die Offensive langsamer vorankomme als von einigen Beobachtern erhofft.

Auf eine Nachfrage Putins zu Risiken für die eigenen Streitkräfte durch die Lieferung schwerer Waffen aus dem Westen an die Ukraine sagte Schoigu: «Wir sehen hier nicht irgendwelche Bedrohungen - auch, weil bei uns eine Formierung von Reserven läuft». Bis zum Monatsende werde eine «Reservearmee» mit mehr als 3000 Einheiten von Kampftechnik aufgestellt. Details nannte er nicht.

+++ Selenskyj sieht Fortschritte an der Front ++

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat zwei Wochen nach Beginn der ukrainischen Offensive Fortschritte an der Front gelobt. «Im Süden sind wir in der Vorwärtsbewegung», sagte er am Mittwoch in seiner täglichen Videoansprache. Er räumte zwar schwere Kämpfe ein, doch überall - auch im Osten, wo die ukrainischen Truppen in der Defensive seien - werde der Feind vernichtet, meinte er. Erst kurz zuvor hatte der ukrainische Staatschef die Erwartungen der Öffentlichkeit an die Offensive noch gedämpft.

Kämpfe an der Südfront (Grafik: dpa/A. Brühl, Redaktion: D. Loesche)
Kämpfe an der Südfront (Grafik: dpa/A. Brühl, Redaktion: D. Loesche)

So räumte er in einem am Mittwoch ausgestrahlten Interview der BBC ein, dass die Offensive «langsamer als gewünscht» vorankomme. Die geringen Geländegewinne führte Selenskyj auch auf die weiträumige Verminung des Geländes durch russische Truppen zurück. Daher sei ein vorsichtiges Vorgehen notwendig, um das Leben der Soldaten nicht unnötig zu gefährden.

In seiner abendlichen Videobotschaft verkündete Selenskyj hingegen vor allem positive Nachrichten. Neben den nicht näher benannten Fortschritten an der Front ging der Präsident auch auf die Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine in London und das neue Sanktionspaket der EU gegen Russland ein. Bei der Konferenz habe die Ukraine nicht nur staatliche Hilfe bekommen, sondern auch Zusagen der Privatwirtschaft, sich an einem Aufbau des Landes zu beteiligen.

Das Sanktionspaket der EU lobte Selenskyj als wichtig, um Russland weiter zu isolieren, «so lange das Hauptexportgut Russlands Bosheit und Tod sind». Es gehe nun vor allem darum, Wege zur Umgehung der bisherigen Sanktionen abzuschneiden.

+++ Scholz: Ukraine-Hilfe auf Stärkung der Kampfkraft konzentrieren +++

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat vor dem Nato-Gipfel in Litauen bekräftigt, dass ein Beitritt der Ukraine zu dem Bündnis vor einem Ende des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine nicht in Frage kommt. Das habe auch die ukrainische Regierung selbst festgestellt, sagte Scholz am Donnerstag in seiner Regierungserklärung im Bundestag. «Deshalb werbe ich dafür, dass wir uns in Vilnius auf das konzentrieren, was jetzt absolute Priorität hat: Nämlich die tatsächliche Kampfkraft der Ukraine zu stärken.»

Beim Nato-Gipfel im litauischen Vilnius wird es Mitte Juli darum gehen, wie die Ukraine an die Nato herangeführt werden kann und welche Sicherheitsgarantien ihr nach einem Ende des Kriegs gegeben werden können. Zu der von der Ukraine gewünschten formellen Einladung in die Nato wird es aber voraussichtlich nicht kommen.

Der Kanzler sagte der Ukraine erneut Unterstützung zu, so lange dies nötig ist. Er verwies darauf, dass sich die zivile und militärische Hilfe Deutschlands inzwischen auf 16,8 Milliarden Euro summiere. Deutschland werde sich bei den Waffenlieferungen weiterhin auf gepanzerte Gefechtsfahrzeuge, Flugabwehrsysteme, Artillerie und die nötige Munition konzentrieren. Damit liefere Deutschland genau das, was die Ukraine bei der laufenden Offensive zur Befreiung ihrer Gebiete am dringendsten benötige.

Olaf Scholz (Bild: REUTERS/Nadja Wohlleben)
Olaf Scholz (Bild: REUTERS/Nadja Wohlleben)

+++ Kiewer Geheimdienst räumt russischen Angriff auf eigene Zentrale ein +++

Der ukrainische Militärgeheimdienst HUR bestätigte derweil Berichte über einen russischen Raketenschlag gegen seine Zentrale. Die Angriffe hätten Ende Mai stattgefunden, aber «weder das gewünschte noch das verkündete Ziel erreicht», sagte der Sprecher der Behörde, Andrij Jussow am Mittwoch im ukrainischen Fernsehen. Über den Raketenschlag hatte unter anderem Russlands Präsident Wladimir Putin berichtet.

Die russische Führung hat immer wieder damit gedroht, Schläge gegen die «Entscheidungszentren» der Ukraine zu führen. Erste Informationen über einen Angriff auf die HUR-Zentrale tauchten am 29. Mai auf. Offiziell gab es damals keine Stellungnahme aus Kiew. Zu den Folgen des Angriffs wollte sich Jussow weiter nicht äußern. Das werde er erst nach dem Krieg tun.

+++ Opferzahl nach Flutkatastrophe in Südukraine auf über 60 gestiegen +++

Mindestens 62 Menschen kamen in der südukrainischen Region Cherson nach der Zerstörung des Kachowka-Staudammes vor rund zwei Wochen ums Leben. Russische Besatzungsbehörden sprachen am Mittwoch auf Telegram von 41 Toten an dem von Russland okkupierten Südufer des Dnipros. Die ukrainischen Behörden gaben die Anzahl der Toten auf der anderen Seite des Flusses mit mindestens 21 an. Vermutet wird, dass die tatsächlichen Opferzahlen höher sind.

+++ Von der Leyen: Russisches Vermögen soll Ukraine zugutekommen +++

Die EU will eingefrorenes russisches Vermögen für die Unterstützung der Ukraine einsetzen. Dafür werde die EU-Kommission noch vor der Sommerpause einen Plan vorlegen, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei einer Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine am Mittwoch in London. Sie fügte hinzu: «Der Täter muss zur Verantwortung gezogen werden».

Ähnlich äußerte sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am Rande der Konferenz. Für den Wiederaufbau der Ukraine sei es essenziell, dass Moskau mittelfristig in die Pflicht genommen werde, sagte die Ministerin. Russland habe die Schäden in der Ukraine verursacht.

+++ Putin bekräftigt Ausbau von Russlands Nuklearstreitkräften +++

Russland zeigt derweil keine Anzeichen, in dem Konflikt zurückzustecken. Im Gegenteil: Rund 16 Monate nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine bekräftigte Präsident Putin die geplante Stärkung der eigenen Nuklearstreitkräfte. Bei einer Veranstaltung mit Absolventen von Universitäten der Streitkräfte stellte Putin laut der Nachrichtenagentur Interfax am Mittwoch einmal mehr die baldige Indienststellung der neuen, mit Atomsprengköpfen bestückbaren Interkontinentalrakete vom Typ Sarmat in Aussicht. Ursprünglich war das allerdings schon für 2022 geplant gewesen.

Seit dem von ihm angeordneten Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 rief Putin mit nuklearen Drohungen international mehrfach Kritik hervor. Für besondere Empörung sorgte etwa seine Ankündigung, taktische Atomwaffen im verbündeten Nachbarland Belarus zu stationieren. Dem Kreml zufolge soll die Verlegung Ende des Jahres abgeschlossen sein.