Ukraine-Krieg: Die Entwicklungen am Donnerstag

Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine herrscht in dem Land Krieg. Hier gibt's die aktuellen Entwicklungen.

Ukraine-Krieg: Die aktuellen Entwicklungen. (Symbolbild: Getty)
Ukraine-Krieg: Die aktuellen Entwicklungen. (Symbolbild: Getty)

In unserem Nachrichtenticker können Sie die wichtigsten News des Tages zum Krieg in der Ukraine nachlesen.

  • Umfrage zu Mobilmachung: Fast jeder zweite Russe verspürt «Entsetzen»

  • Medien: 20 Frauen bei Anti-Kriegs-Protest in Russland festgenommen

  • UN-Generalsekretär: Annexionen dürfen nicht akzeptiert werden

  • Selenskyj ruft den Nationalen Sicherheitsrat ein

  • Ukraine und Russland tauschen erneut Gefangene aus

  • Putin will Annexion ukrainischer Gebiete am Freitag verkünden

  • Küstenwache: Gaslecks in der Ostsee teils dicht beieinander

Die aktuelle Newslage im Live-Stream:

+++ Umfrage zu Mobilmachung: Fast jeder zweite Russe verspürt «Entsetzen» +++

Fast jeder zweite Russe hat einer Umfrage zufolge ängstlich und erschrocken auf die von Kremlchef Wladimir Putin angeordnete Teilmobilmachung reagiert. Insgesamt 47 Prozent der Befragten beschrieben ihre Gefühlslage nach Putins Rede vor gut einer Woche mit «Angst, Furcht, Entsetzen», wie aus am Donnerstag veröffentlichten Ergebnissen des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada hervorgeht. 23 Prozent gaben dagegen an, «stolz auf Russland» zu sein.

Die Umfragen des unabhängigen Lewada-Instituts werden auch von westlichen Experten geschätzt - als vergleichsweise authentisch und nach anerkannten sozialwissenschaftlichen Prinzipien umgesetzt.

Der Anteil derjenigen, die erklärten, Russlands Ende Februar begonnenen Krieg gegen die Ukraine zu unterstützen, sank unterdessen auf 72 Prozent und damit auf den bislang tiefsten Wert. Kurz nach Kriegsbeginn hatte er bei 80 Prozent gelegen. Die Lewada-Soziologen hatten allerdings schon damals darauf hingewiesen, dass viele Russen nicht mit Enthusiasmus, sondern mit Angst auf die vom Kreml als «militärische Spezial-Operation» bezeichneten Kämpfe blickten.

Experten geben zudem zu bedenken, dass Menschen in Russland aus Angst vor Repressionen auch in anonymen Umfragen möglicherweise nicht immer ehrlich ihre Meinung äußern. Putins Ankündigung, in den kommenden Wochen und Monaten 300 000 Reservisten an die Front in die Ukraine zu schicken, hat in Russland in den vergangenen Tagen die größten Proteste seit Kriegsbeginn und eine große Fluchtwelle ausgelöst.

+++ Medien: 20 Frauen bei Anti-Kriegs-Protest in Russland festgenommen +++

Bei erneuten Protesten gegen die von Kremlchef Wladimir Putin angeordnete Teilmobilmachung sind in Russland mehrere Frauen festgenommen worden. Die Bürgerrechtsorganisation OVD-Info veröffentlichte am Donnerstag Videos, auf denen etwa zu sehen ist, wie eine Demonstrantin in der sibirischen Region Tuwa von Polizisten grob über den Boden zu einem Gefangenentransporter geschleift wird. Regionalen Medien zufolge wurden in der Heimatregion von Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu insgesamt rund 20 Frauen festgenommen.

Auch eine Mutter, die mit ihrem wenige Monate alten Baby gekommen war, soll festgesetzt worden sein. Putin hatte die Mobilmachung von Reservisten vor rund einer Woche angeordnet, um sie an die Front in die Ukraine zu schicken. Landesweit hat das Panik und heftige Proteste in der Bevölkerung ausgelöst. Vor allem Frauen stellen sich vielerorts schützend vor ihre Ehemänner, Brüder und Söhne. Insgesamt wurden den Bürgerrechtlern zufolge seit Beginn der Mobilmachung schon deutlich mehr als 2000 Menschen bei Protesten festgenommen.

Vielerorts kommt es in Russland zu Anti-Kriegs-Demonstrationen mit zahlreichen Festnahmen. (Bild: Reuters)
Vielerorts kommt es in Russland zu Anti-Kriegs-Demonstrationen mit zahlreichen Festnahmen. (Bild: Reuters)

+++ UN-Generalsekretär: Annexionen dürfen nicht akzeptiert werden +++

UN-Generalsekretär António Guterres hat die angekündigte Annexion von ukrainischen Gebieten durch Russland scharf verurteilt und als rechtlich wertlos beschrieben. «Sie ist nicht mit dem internationalen Recht vereinbar. Sie stellt sich gegen alles, wofür die internationale Gemeinschaft stehen soll», sagte Guterres am Donnerstag in New York. Die Ankündigung des Kremls stelle eine gefährliche Eskalation dar, habe «keinen Platz in der modernen Welt» und dürfe nicht akzeptiert werden.

Guterres hatte eine mögliche Annexion der russisch besetzten Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson bereits zuvor als Verletzung des Völkerrechts bezeichnet.

+++ Russischer Waffenkonzern Kalaschnikow spricht von Rekordjahr +++

Die russische Waffenschmiede Kalaschnikow spricht nach sieben Monaten Krieg in der Ukraine schon jetzt von einem 20-Jahres-«Rekord» beim Absatz seines legendären Sturmgewehrs. Der Verkauf der Kalaschnikows sei um 40 Prozent gesteigert worden, teilte Konzern-Präsident Alan Luschnikow am Donnerstag in der Stadt Ischewsk mit. Er nannte keine absoluten Verkaufszahlen für die am weitesten verbreitete Waffe der Welt.

Priorität habe im Auftrag des russischen Verteidigungsministeriums die eigene Armee, betonte Luschnikow. «Die Sicherung der Verteidigungsfähigkeit des Landes besonders unter den gegenwärtigen Bedingungen ist die Aufgabe, auf deren Erfüllung alle Abteilungen des Unternehmens ohne Ausnahme ausgerichtet sind.» Die Kalaschnikows werden auch im Krieg in der Ukraine eingesetzt.

Der Zuwachs im Verkauf ist Luschnikows Angaben zufolge aber auch auf den Export zurückzuführen. Schon im September habe der die Gesamtausfuhren des vergangenen Jahres übertroffen. «Unsere Produktionskapazitäten sind in diesem Jahr ziemlich intensiv ausgelastet», meinte er. Nach früheren Angaben erhält etwa Indien 70 000 Kalaschnikows des Typs AK-103. Der russische Rüstungsexportkonzern Rosoboronexport hatte mitgeteilt, inzwischen mehr als 100 000 Kalaschnikow-Sturmgewehre verschiedener Modelle jährlich ins Ausland zu verkaufen.

Der Automat Kalaschnikow (AK) ist das am meisten verbreitete - und oft auch ohne russische Lizenz nachgebaute - Sturmgewehr der Welt. Im August vorigen Jahres hatte der Kalaschnikow-Konzern mitgeteilt, mit dem russischen Verteidigungsministerium einen Vertrag über Hunderttausende neue Sturmgewehre des Typs AK-12 unterzeichnet zu haben. Die Erneuerung der Ausstattung der Armee sei auf Jahre angelegt, hieß es.

+++ Finnland schließt Grenze für russische Touristen +++

Finnland schließt seine Grenze für russische Touristen. Deutlich verschärfte Visa-Regeln für Reisende aus Russland treten um Mitternacht in der Nacht zum Freitag in Kraft, wie der finnische Außenminister Pekka Haavisto am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Helsinki ankündigte. Die Ereignisse rund um die Lecks in den Nord-Stream-Gasleitungen in der Ostsee und die Scheinreferenden in der Ukraine hätten den Beschluss der Regierung beschleunigt, sagte Haavisto.

Es handelt sich nach Angaben des finnischen Rundfunksenders Yle nicht um einen kompletten Einreisestopp. Ausnahmen sollen gelten, damit Russen weiterhin nach Finnland kommen können, etwa um enge Familienmitglieder zu treffen, zu arbeiten oder sich medizinisch versorgen zu lassen. Der große Unterschied werde nun aber sein, dass Russen nicht mehr zu touristischen Zwecken nach Finnland - und von dort weiter in andere Schengenländer - reisen können. Nach Informationen der finnischen Nachrichtenagentur STT zufolge dürfte dies die Anzahl der ankommenden Russen an der Grenze um 30 bis 50 Prozent verringern.

+++ Selenskyj ruft den Nationalen Sicherheitsrat ein +++

Mit Blick auf die geplante russische Annexion von Teilen der Ost- und Südukraine kommt an diesem Freitag in der Ukraine der Nationale Sicherheitsrat zusammen. «Präsident Wolodymyr Selenskyj beruft für morgen dringend eine Sitzung des Rates für nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine ein», teilte Präsidentensprecher Serhij Nykyforow am Donnerstag bei Facebook mit.

Die Tagesordnung und andere Einzelheiten würden später mitgeteilt, hieß es. Der Sicherheitsrat ist ein Gremium unter Vorsitz des ukrainischen Präsidenten. Zu ihm gehören unter anderem die Chefs von Armee und Geheimdiensten, Verteidigungs- und Innenminister und andere Regierungsmitglieder.

In den russisch kontrollierten Teilen der vier Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson wurden bis zum vergangenen Dienstag Scheinreferenden abgehalten. Am Donnerstag dann teilte der Kreml mit, dass am Freitag in Moskau Papiere unterzeichnet werden sollen, um die Gebiete zu annektieren. Russland, das seit Ende Februar offen Krieg gegen die Ukraine führt, hatte sich bereits im Jahr 2014 die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim einverleibt.

+++ Ukraine und Russland tauschen erneut Gefangene aus +++

Nach einem kürzlichen großen Austausch haben die Ukraine und Russland erneut Gefangene ausgetauscht. «Wir haben sechs unserer Leute zurückgeholt - vier Marineinfanteristen und zwei Zivilisten», schrieb der Chef des Präsidentenbüros, Andrij Jermak, am Donnerstag beim Nachrichtendienst Telegram. Unter den Soldaten seien zwei Offiziere. Den veröffentlichten Bildern zufolge fand der Austausch im nordukrainischen Gebiet Tschernihiw an der Grenze zu Belarus (Weißrussland) statt. Wie viele Gefangene die russische Seite erhielt, wurde nicht mitgeteilt.

+++ Putin will Annexion ukrainischer Gebiete am Freitag verkünden +++

Nach den völkerrechtswidrigen Scheinreferenden will Russlands Präsident Wladimir Putin die Annexion mehrerer ukrainischer Gebiete bereits an diesem Freitag offiziell machen. «Im Großen Kremlpalast findet um 15.00 Uhr (14.00 Uhr MESZ) eine Zeremonie zur Unterzeichnung von Abkommen über den Beitritt neuer Gebiete in die Russische Föderation statt», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Donnerstag laut Agentur Interfax. International wird der Schritt nicht anerkannt.

Russlands Präsident Wladimir Putin. (Bild: Reuters)
Russlands Präsident Wladimir Putin. (Bild: Reuters)

+++ Küstenwache: Gaslecks in der Ostsee teils dicht beieinander +++

Drei der vier Lecks an den Nord-Stream-Gasleitungen in der Ostsee befinden sich in wenigen Kilometern Abstand zueinander. Die beiden Austrittspunkte in der Ausschließlichen Wirtschaftszone Schwedens liegen nur eine Seemeile voneinander entfernt, was knapp 1,8 Kilometern entspricht, wie die schwedische Küstenwache am Donnerstag mitteilte. Der kleinere davon und einer der beiden in der dänischen Zone hätten einen Abstand von 2,6 Seemeilen (rund 4,6 Kilometern) zueinander.

Die Küstenwache stellte Aufnahmen online, die die unruhige Wasseroberfläche oberhalb der Lecks auf schwedischer Seite zeigen. Der größere Austrittspunkt befindet sich den Angaben zufolge oberhalb von Nord Stream 1, der kleinere bei Nord Stream 2. Der Gasaustritt, der an der Oberfläche zu sehen ist, sei insgesamt konstant, berichte die Besatzung an Bord des Küstenwachenschiffs «KBV 003 Amfitrite», schrieb die Behörde.

Von den insgesamt vier Lecks in der Nähe der dänischen Ostsee-Insel Bornholm befinden sich jeweils zwei in den Ausschließlichen Wirtschaftszone Schwedens und Dänemarks, wie die Kommandozentrale der Küstenwache am Donnerstagmorgen der Deutschen Presse-Agentur bestätigt hatte. Nach derzeitigem Stand gibt es somit an beiden Leitungen von Nord Stream 1 jeweils ein bekanntes Leck und zwei an einer der Leitungen von Nord Stream 2. Leitung B sei weiterhin stabil, sagte ein Sprecher der Nord Stream 2 AG der dpa.

+++ Schwedische Behörde: Insgesamt vier Lecks in Nord-Stream-Leitungen +++

An den Nord-Stream-Gasleitungen in der Ostsee gibt es insgesamt vier statt wie bisher bekannt drei Lecks. Zwei davon befinden sich in der Ausschließlichen Wirtschaftszone Schwedens und zwei in derjenigen Dänemarks, wie die Kommandozentrale der schwedischen Küstenwache am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur bestätigte. Bislang war stets von drei Lecks die Rede gewesen, auch von Regierungsseite - zwei in der Wirtschaftszone Dänemarks und eines in der von Schweden.

Zuerst hatte die schwedische Zeitung «Svenska Dagbladet» darüber berichtet. Demnach sollen sich die beiden Lecks in schwedischen Gewässern dicht beieinander in der Nähe von Simrishamn befinden.

Ein Sprecher der Nord Stream 2 AG sagte der Deutschen Presse-Agentur, schwedische Behörden hätten das Unternehmen über ein weiteres, kleineres Leck informiert. Es sei die bereits durch das zunächst bekannte Leck beschädigte Leitung des Doppelstrangs - Leitung A - betroffen. Leitung B sei weiterhin stabil. Für diese Leitung sei auch kein Druckabfall registriert worden.

Nach derzeitigem Stand gibt es somit an beiden Leitungen von Nord Stream 1 jeweils ein bekanntes Leck und zwei an einer der Leitungen von Nord Stream 2.

Aus der beschädigten Pipeline Nord Stream 2 strömt Gas aus. (Bild: Reuters)
Aus der beschädigten Pipeline Nord Stream 2 strömt Gas aus. (Bild: Reuters)

+++ Erdogan will mit Putin über Scheinreferenden sprechen +++

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über die Scheinreferenden in den russisch besetzten Gebieten in der Ukraine sprechen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordere die Unterstützung der Türkei für die betroffenen Regionen und «dass wir Putin überzeugen», sagte Erdogan am Mittwochabend. Am Donnerstag werde er das mit dem Kremlchef diskutieren.

Zu den Referenden sagte Erdogan: «Ich wünschte, sie würden kein Referendum abhalten, und wir könnten dieses Problem stattdessen durch Diplomatie lösen.»

Die Scheinreferenden über einen Beitritt besetzter Regionen in der Süd- und Ostukraine zu Russland werden weltweit nicht anerkannt. Der Grund dafür ist, dass sie unter Verletzung ukrainischer und internationaler Gesetze sowie ohne demokratische Mindeststandards abgehalten wurden.

Die Türkei ist Mitglied der Nato und pflegt mit der Ukraine gute Beziehungen, gilt aber auch als enge Partnerin Russlands.

Bei dem Telefonat könnte es auch um Pläne zum Bau eines neuen Atomkraftwerkes in Sinop an der türkischen Schwarzmeerküste gehen. Dazu sei man mit Putin im Gespräch, sagte Erdogan laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Derzeit entsteht das erste türkische Atomkraftwerk Akkuyu in der Südtürkei, federführend beim Bau ist der russische Staatskonzern Rosatom.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über die Scheinreferenden in den russisch besetzten Gebieten in der Ukraine sprechen. (Bild: Reuters)
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über die Scheinreferenden in den russisch besetzten Gebieten in der Ukraine sprechen. (Bild: Reuters)

+++ Sicherheitsexperte hält russische Urheberschaft für wahrscheinlich +++

Der Sicherheitsexperte Johannes Peters hält es für «relativ unwahrscheinlich», dass die Schäden an den Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 durch einen Unfall entstanden sein könnten. Vielmehr vermute er Russland hinter dem mutmaßlichen Sabotageakt. «Das wirkt vordergründig natürlich etwas widersinnig, die eigenen Pipelines zu zerstören», sagte der Experte vom Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel am Donnerstag im ARD-«Morgenmagazin». Es gebe aber durchaus gute Gründe dafür.

Ein Grund sei sicherlich, ein «starkes Signal» an Europa zu senden, vor allem an Deutschland und Polen, dass man dasselbe auch mit Pipelines machen könnte, die für unsere Versorgungssicherheit deutlich wichtiger seien, etwa die Pipelines aus Norwegen: «Also seid euch mal nicht so sicher, dass ihr für den Winter gut aufgestellt seid und dass ihr in der Lage seid, unser Gas zu kompensieren.»

Ein weiterer möglicher Grund für einen möglichen russischen Sabotageakt sei, dass man im Winter «die noch intakte Nordstream-2-Röhre dazu nutzen kann, um Druck auf Deutschland zu erhöhen, wenn beispielsweise der innenpolitische Druck auf die Regierung wachsen sollte, weil die Gaspreise hoch sind, weil wir vielleicht doch nicht genügend Gas haben für den Winter.» Dann könnte Russland anbieten, durch die intakte Leitung doch noch Gas zu liefern. Dafür müsste Deutschland aber «aus dem westlichen Sanktionsregime ausscheren.»

Die ebenfalls verbreitete These, dass die USA die Lecks verursacht haben könnten, «um zu verhindern, dass Europa in einem kalten Winter doch zu den Russen zurückfindet», hält Peters indes für nahezu ausgeschlossen.

+++ London: Flucht vor Mobilmachung führt zu «Brain-Drain» in Russland +++

Die Flucht Zehntausender russischer Männer wegen der Teilmobilmachung hat nach britischer Einschätzung zu einem enormen intellektuellen Aderlass für Russland geführt. «Unter denjenigen, die versuchen, Russland zu verlassen, sind die Bessergestellten und Gutausgebildeten überrepräsentiert», teilte das Verteidigungsministerium in London am Donnerstag unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mit. Wenn man auch die Einberufenen berücksichtige, dürften die binnenwirtschaftlichen Auswirkungen enorm sein, hieß es weiter. Die Behörde verwies auf die geringere Verfügbarkeit von Arbeitskräften und einen rasanten «Brain-Drain», also einem Verlust von Fachkräften etwa in den Technikbranchen.

«In den sieben Tagen, seit Präsident (Wladimir) Putin die "Teilmobilmachung" angekündigt hat, hat ein beträchtlicher Exodus von Russen begonnen, die der Einberufung entgehen wollen», hieß es in London weiter. Zwar seien genaue Zahlen unklar. Aber vermutlich übertreffe die Zahl der Ausgereisten die Stärke der Invasionsarmee, mit der Russland im Februar die Ukraine angegriffen hatte. Schätzungen zufolge hatte Moskau vor dem Aufmarsch etwa 150 000 Soldaten an der Grenze zum Nachbarland aufmarschieren lassen.

+++ Flucht vor Kriegsdienst - Russland erschwert Ausreise nach Kasachstan +++

Angesichts der Massenflucht von russischen Kriegsdienstverweigerern in das zentralasiatische Nachbarland Kasachstan wollen russische Behörden wehrpflichtige Männer jetzt an der Grenze herausfiltern. In den nächsten Tagen werde ein vorübergehendes Mobilisierungszentrum am Grenzübergang Karausek im russischen Gebiet Astrachan eröffnet, teilte die Gebietsverwaltung nach Angaben der Staatsagentur Tass am Donnerstag mit. An der Grenze habe sich eine kilometerlange Schlange aus Männern im wehrpflichtigen Alter gebildet, hieß es weiter.

Am Grenzübergang würden die Pässe der Ausreisenden künftig mit den Einberufungslisten abgeglichen. Wer unter die Mobilmachungskriterien falle und keinen offiziellen Aufschub oder eine Ausreisegenehmigung vom Militär habe, dürfe nicht ausreisen.

Karausek ist den Angaben zufolge der Hauptgrenzübergang für den Autoverkehr von Russland in die Ex-Sowjetrepublik Kasachstan. Die kasachische Migrationsbehörde hatte am Dienstag mitgeteilt, dass seit der vom russischen Präsidenten Wladimir Putin am 21. September ausgerufenen Teilmobilmachung von Reservisten fast 100 000 russische Staatsbürger nach Kasachstan eingereist seien.

Auch die Ausreise von Russland in das im Süden angrenzende Georgien ist inzwischen erschwert. Die an Georgien grenzende russische Teilrepublik Nordossetien im Kaukasus hat bereits am Mittwoch Einreisebeschränkungen angekündigt.

An zahlreichen russischen Grenzen ins Ausland, wie hier am finnischen Grenzübergang Virolahti, bilden sich kilometerlange Warteschlangen. (Bild: Reuters)
An zahlreichen russischen Grenzen ins Ausland, wie hier am finnischen Grenzübergang Virolahti, bilden sich kilometerlange Warteschlangen. (Bild: Reuters)

+++ Litauens Ex-Staatschef: Kriegsdienstverweigerer könnten Waffe sein +++

Litauens früheres Staatsoberhaupt Vytautas Landsbergis hat davor gewarnt, dass Russen, die vor der Mobilmachung ins Ausland fliehen, möglicherweise zur Destabilisierung ihrer Gastländer eingesetzt werden könnten. «Jetzt fliehen sie an einen sichereren Ort, aber die Frage ist, ob diese Massenflucht nicht auch geplant und eine weitere hässliche Waffe ist», sagte er am Donnerstag im Radio. Demnach könnte der Kreml «sie für einige Referenden, Abstimmungen verwenden, um Onkel Putin um Hilfe zu bitten», sagte der 89-Jährige, der nach Litauens wiedererlangten Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1990 an der Spitze des baltischen EU-Landes stand.

Seit der vom russischen Präsidenten Wladimir Putin ausgerufenen Teilmobilmachung versuchen viele russische Männer, sich dem Kriegsdienst in der Ukraine zu entziehen. Zu Zehntausenden fliehen sie ins Ausland, etwa nach Kasachstan oder Georgien.

Innerhalb der EU gibt es bislang keine gemeinsame Linie über den Umgang mit russischen Kriegsdienstverweigerern, die ihre Heimat verlassen wollen. Während Deutschland auf eine einheitliche Position dringt, lehnt Litauen etwa die Aufnahme dieser Menschen strikt ab. «Die Russen sollten bleiben und kämpfen. Gegen Putin», schrieb Außenminister Gabrielius Landsbergis auf Twitter. Er ist der Enkel von Vytautas Landsbergis.

+++ Baerbock verurteilt Scheinreferenden - «Das Gegenteil von Frieden» +++

Außenministerin Annalena Baerbock hat die Scheinreferenden in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine scharf verurteilt. Die Menschen würden unter Drohungen und manchmal sogar mit vorgehaltener Waffe «aus ihren Wohnungen und von ihren Arbeitsplätzen geholt und gezwungen, ihre Stimme abzugeben und den Wahlzettel in eine gläserne Wahlurne zu stecken», kritisierte die Grünen-Politikerin am Donnerstag bei einer Konferenz des Beirats der Bundesregierung für Zivile Krisenprävention und Friedensförderung im Auswärtigen Amt in Berlin. «Dies ist das Gegenteil von freien und fairen Wahlen. Und dies ist das Gegenteil von Frieden. Es ist der diktierte Frieden, der Diktatfrieden», ergänzte sie.

«Solange dieses russische Diktat in den besetzten Gebieten der Ukraine gilt, ist kein Bürger frei oder sicher. Kein Bürger ist geschützt», sagte Baerbock.

Die Scheinreferenden über einen Beitritt besetzter Regionen in der Süd- und Ostukraine zu Russland werden weltweit nicht anerkannt. Der Grund dafür ist, dass sie unter Verletzung ukrainischer und internationaler Gesetze sowie ohne demokratische Mindeststandards abgehalten wurden. Die russische Führung will nach den Scheinreferenden kommende Woche über den Beitritt der besetzten Gebiete zur Russischen Föderation entscheiden. Die beiden russischen Parlamentskammern wollen am Montag und Dienstag über mögliche Annexionen der ukrainischen Regionen Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja entscheiden.

VIDEO: Nach Scheinreferenden in der Ukraine: Separatisten-Chefs bitten um Annexion