Ukraine-Krieg: Die Entwicklungen am Sonntag

Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine herrscht in dem Land Krieg. Die aktuellen Entwicklungen im Überblick.

Unser Ticker ist für heute beendet. Hier können Sie die wichtigsten Ereignisse des Tages nachlesen:

  • Putin entscheidet Machtkampf für sich

  • Nach dem Aufstand - Putins Schwäche wird offensichtlich

  • Aufstand gegen Kreml beendet - Keine Spur von Prigoschin

  • Söldner-Truppen beenden Aufstand gegen Kreml

  • Militärblogs: Mindestens 13 russische Soldaten bei Aufstand getötet

  • Auch nach Deeskalation: Montag bleibt in Moskau arbeitsfrei

  • Kreml: Strafverfahren gegen Wagner-Chef wird eingestellt

  • Baerbock verkürzt wegen Machtkampfs in Russland Südafrika-Reise

  • Kreml: Putins Haltung zu Schoigu unverändert

Die aktuelle Newslage:

+++ Putin entscheidet Machtkampf für sich - Keine Spur von Prigoschin +++

Russlands Präsident Wladimir Putin hat die bislang größte interne Herausforderung in bald einem Vierteljahrhundert an der Macht überstanden. Der Chef der berüchtigten Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, brach am Samstagabend nach etwa 24 Stunden einen Marsch seiner Truppen auf Moskau überraschend wieder ab - etwa 200 Kilometer vor der Hauptstadt. Im Gegenzug verkündete der Kreml, dass Prigoschin und seine gesamte Truppe trotz des gewaltsamen Aufstands straffrei ausgehen werde. Zuvor hatte Putin mit Blick auf seinen Ex-Vertrauten noch von «Verrat» gesprochen.

Prigoschin selbst soll nun weg aus Russland und sich im Nachbarland Belarus niederlassen. Von dem 62-Jährigen, der Moskau über Wochen hinweg mit Kritik am Ukraine-Krieg gereizt hatte, war am Sonntag allerdings überhaupt nichts mehr zu hören und zu sehen. Trotz des Erfolgs im Machtkampf sehen viele Experten Putin (70) geschwächt. Der Westen verfolgte das Geschehen in Russland genau, hielt sich mit Stellungnahmen aber auffallend zurück. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ließ sich laufend informieren. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verschob eine Reise nach Südafrika.

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+++ Tichanowskaja: Prigoschin in Belarus bedeutet Unruhe +++

Die exilierte belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja befürchtet mehr Unruhe in ihrer Heimat durch den Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin. «Den Kriegsverbrecher Prigoschin nach Belarus zu bringen, bedeutet ein weiteres Element der Instabilität», schrieb die Politikerin am Sonntag auf Twitter. «Belarus braucht nicht mehr Kriminelle und Schlägertypen, es braucht Gerechtigkeit, Freiheit und Sicherheit für unsere Menschen.»

Dem Chef der russischen Privatarmee Wagner war nach seiner gescheiterten Revolte vom Freitag und Samstag zugestanden worden, straffrei nach Belarus zu gehen, wie der Kreml mitteilte. Der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko hatte nach eigenen Angaben als Unterhändler die Wagner-Meuterei gegen die russische Militär- und Staatsführung gestoppt. Am Sonntag war indes unklar, ob Prigoschin in das eng mit Russland verbündete Nachbarland unterwegs ist.

+++ Nach dem Aufstand - Putins Schwäche wird offensichtlich +++

Rasches Ende einer Revolte: Nach einem Gewaltmarsch der Privatarmee Wagner auf die russische Hauptstadt hat Söldnerchef Jewgeni Prigoschin etwa 200 Kilometer vor Moskau am Samstagabend plötzlich den Rückzug befohlen. Damit wurde möglicherweise ein Blutvergießen zwischen Russlands bewaffneten Organen vermieden. Trotz des «Verrats» (so Wladimir Putin) soll Prigoschin ungestraft davonkommen. Doch wird das Versprechen aus dem Kreml tatsächlich Bestand haben? Auch viele andere Fragen bleiben offen.

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+++ Aufstand gegen Kreml beendet - Keine Spur von Prigoschin +++

In Videos war zu sehen, wie der Söldnerchef am Samstag in einem schwarzen SUV das Zentrum der Stadt Rostow am Don verlässt. In der Millionenstadt hatte der Aufstand am Freitagabend begonnen. Nähere Informationen, wo er sich dann aufhielt, gab es zunächst nicht. Nach Berichten unabhängiger russischer Medien erklärte die Wagner-Pressestelle, keinen Kontakt zu haben. Der russischsprachige Sender RTVi erhielt die Auskunft: «Er lässt alle grüßen und wird auf Fragen antworten, wenn er wieder normalen Empfang hat.»

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+++ Kuba, Venezuela und Nicaragua bekunden Solidarität mit Putin +++

Nach dem Aufstand der russischen Privatarmee Wagner gegen die eigene Staatsführung haben die autoritären lateinamerikanischen Verbündeten der russischen Regierung sich hinter diese gestellt. Der kubanische Präsident Miguel Díaz-Canel schrieb am Samstagabend (Ortszeit) auf Twitter, er drücke die Solidarität der Regierung und des Volkes Kubas mit dem Kremlchef Wladimir Putin und dem russischen «Brudervolk» aus. «Wir sind der festen Überzeugung, dass die Einheit und die verfassungsmäßige Ordnung siegen werden.» Zu dem Zeitpunkt hatte Söldnerchef Jewgeni Prigoschin nach dem Vormarsch gen Moskau mitten im Ukraine-Krieg schon den Rückzugsbefehl gegeben.

«Wir senden unsere Umarmung der Solidarität und der Unterstützung an den Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, dem es gelungen ist, einen Versuch des Verrats und des Bürgerkriegs zu bewältigen und seinem Volk den Sieg und den Frieden zu garantieren», twitterte Venezuelas Präsident Nicolás Maduro am Samstagabend.

In einer offiziellen Mitteilung aus dem mittelamerikanischen Nicaragua hieß es, Präsident Daniel Ortega und seine Ehefrau sowie Vizepräsidentin Rosario Murillo übermittelten Putin «unsere Zuneigung in revolutionärer Bruderschaft».

+++ US-Außenminister Blinken: Aufstand zeigt Risse in Putins Macht +++

Der Aufstand der russischen Privatarmee Wagner gegen die eigene Staatsführung wirft US-Außenminister Antony Blinken zufolge Fragen über die Macht von Kremlchef Wladimir Putin auf. «Ich denke, man sieht Risse auftauchen, die vorher nicht da waren», sagte Blinken am Sonntag im US-Sender CNN. Der Aufstand werfe «eindeutig neue Fragen auf, mit denen Putin umgehen» müsse. «Die Tatsache, dass es jemanden im Inneren gibt, der Putins Autorität direkt in Frage stellt, direkt die Prämissen in Frage stellt, auf deren Grundlage er diese Aggression gegen die Ukraine startete, das ist an sich schon etwas sehr, sehr Mächtiges.»

Blinken betonte mehrfach, dass es sich bei dem inzwischen für beendet erklärten Aufstand um eine «interne Angelegenheit» Russlands handele. Die Regierung von US-Präsident Joe Biden hielt sich mit öffentlichen Einschätzungen zu den Entwicklungen in Russland zuvor auffällig zurückgehalten - wie andere Regierungen im Westen auch. US-Medien zufolge handelte es sich dabei um eine Strategie, da Putin jede wahrgenommene Beteiligung als Waffe einsetzen könnte. Auf die Frage, ob der Aufstand Putins Ende der Macht sei, sagte Blinken: «Darüber möchte ich nicht spekulieren.»

Der Minister sagte außerdem, dass es der von Russland angegriffenen Ukraine einen Vorteil verschaffen könnte, dass Putin sich nun darum sorgen müsse, was im eigenen Land passiere. Mit Blick auf Russlands Status als Atommacht fügte Blinken hinzu: «Jedes Mal, wenn ein großes Land wie Russland Anzeichen von Instabilität aufweist, ist das ein Grund zur Sorge.»

+++ Kreise: Keine sofortige Sondersitzung zu Russland +++

Die Bundestagsausschüsse für Auswärtiges und Verteidigung sind am Samstagabend von der Bundesregierung über deren Erkenntnisse zum Machtkampf zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und Söldnerchef Jewgeni Prigoschin informiert worden. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur dpa aus Parlamentskreisen vom Sonntag verzichteten die Obleute der beiden Gremien im Anschluss auf eine gemeinsame Sondersitzung zu Beginn der Woche.

Zunächst solle die Regierung ihre beispielsweise durch die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) gewonnenen Erkenntnisse zusammenführen und konsolidieren, hieß es zur Begründung. Eine Sondersitzung könne dann am Donnerstag oder in der letzten regulären Sitzungswoche des Bundestags vor der Sommerpause stattfinden, der ersten Juli-Woche.

Zuerst hatte der «Spiegel» über die Information der Obleute beider Ausschüsse durch die Politische Direktorin des Auswärtigen Amts, Tjorven Bellmann, und die Parlamentarische Verteidigungsstaatssekretärin Siemtje Möller berichtet. Beide hätten die Mutmaßung geäußert, Prigoschin habe für seinen Putschversuch nicht die erhoffte Unterstützung von staatlichen russischen Kräften erhalten und daher den Marsch auf Moskau gestoppt.

+++ Strack-Zimmermann und Röttgen: Wagner-Aufstand zeigt Schwäche Putins +++

FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sieht in dem Aufstand der russischen Privatarmee Wagner Anzeichen für eine Schwächung des russischen Präsidenten Wladimir Putin. «Möglicherweise ist in den letzten 24 Stunden im inneren Machtgefüge Moskaus der erste Haarriss entstanden. Mehrere solcher Haarrisse könnten in Zukunft die gesamte Stabilität seiner Regierung beeinträchtigen», sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag am Sonntag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Die von Söldnerchef Jewgeni Prigoschin angeführte Revolte sei eine Demütigung für Putin.

Ähnlich äußerte sich der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen in der «Rheinischen Post»: «Diese eineinhalb Tage haben der Autorität Putins einen schweren Schlag versetzt. Prigoschin war Putins Mann von Anfang an bis zu seiner Rolle im Krieg. Sein Putschversuch ist also wieder ein Scheitern Putins.» Auch die vom Kreml angekündigte ausbleibende Strafe für Prigoschin sei ein Zeichen von Schwäche. «Putin wird sich hiervon nicht mehr erholen.»

Strack-Zimmermann sieht angesichts der Wagner-Revolte Chancen für die von Russland angegriffene Ukraine, denn die Motivation der russischen Soldaten in der Ostukraine könnte durch den Aufstand beeinflusst worden sein. «Darin liegt auch die Chance, dass die Ukraine sich noch erfolgreicher zur Wehr setzt.»

+++ Söldner-Truppen beenden Aufstand gegen Kreml +++

Der bewaffnete Aufstand russischer Söldner gegen die eigene Staatsführung inmitten des Ukraine-Kriegs scheint von kurzer Dauer geblieben zu sein. Nur wenige Stunden nach Beginn des Vormarschs gen Moskau erteilte Söldnerchef Jewgeni Prigoschin am Samstagabend den Befehl zum Rückzug seiner berüchtigten Privatarmee. Kurz darauf gaben die Söldner ihre bis dahin gehaltenen Stellungen im Süden Russlands auf. Prigoschin selbst werde unbehindert ins Nachbarland Belarus gehen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Samstag nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax. Als Garantie für den freien Abzug habe der einstige Vertraute von Kremlchef Wladimir Putin «das Wort des Präsidenten».

Söldner der Wagner-Gruppe (Bild: REUTERS/Stringer)
Söldner der Wagner-Gruppe (Bild: REUTERS/Stringer)

Obwohl Putin noch am Morgen die Bestrafung der Aufständischen angekündigt hatte, gab es am Abend anderslautende Erklärungen aus dem Kreml. Auch die Kämpfer der Wagner-Truppe sollen angesichts ihrer Verdienste an der Front in der Ukraine nicht strafrechtlich verfolgt werden, wie Peskow versicherte. Vielmehr werde einem Teil der Söldner ein Angebot unterbreitet, sich vertraglich zum Dienst in den russischen Streitkräften zu verpflichten.

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+++ Militärblogs: Mindestens 13 russische Soldaten bei Aufstand getötet +++

Beim Aufstand der Wagner-Söldner sind nach Angaben prorussischer Militärblogs mehrere Piloten der russischen Luftwaffe ums Leben gekommen. Die Angaben zur Zahl der Todesopfer schwankten zwischen 13 und mehr als 20 Soldaten, wie das unabhängige Internetportal currenttime am Sonntag berichtete. Insgesamt seien von der Privatarmee des Geschäftsmanns Jewgeni Prigoschin sechs Hubschrauber und ein Aufklärungsflugzeug abgeschossen worden. Von den russischen Behörden gab es dafür keine Bestätigung. Die Angaben waren von unabhängiger Seite zunächst nicht zu überprüfen.

Unter den abgeschossenen Helikoptern seien auch drei für die elektronische Kampfführung genutzte Mi-8, an denen es an der Front ohnehin mangele, klagte der Militärblog Rybar. Zudem sei ein Transportflugzeug vom Typ Il-18 zum Absturz gebracht worden an dessen Bord eine Kommandostelle eingerichtet gewesen sei Alle Crewmitglieder seien ums Leben gekommen. Die Verluste der Luftwaffe seien damit höher als während der ukrainischen Gegenoffensive an der Front.

+++ Zwei weitere Tote nach russischem Raketenangriff auf Kiew geborgen +++

Die Zahl der Todesopfer nach einem russischen Raketenangriff auf Kiew ist nach ukrainischen Angaben auf fünf gestiegen. In einem schwer beschädigten Hochhaus seien zwei weitere Leichen gefunden worden, teilte Bürgermeister Vitali Klitschko am Sonntag mit. Die Suche nach weiteren Opfern dauerte an. Am Samstag waren bereits drei Tote geborgen worden. Elf Bewohner erlitten Verletzungen. Russland führt seit 16 Monaten einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland.

Den Angaben zufolge schlugen die Trümmer einer abgefangenen russischen Rakete in dem Haus ein. Der Angriff in der Nacht zum Samstag war eine der folgenschwersten russischen Attacken auf Kiew in jüngster Zeit. Nach Angaben der ukrainischen Seite hatten die russischen Streitkräfte nachts mit mehr als 50 Marschflugkörpern und drei Kampfdrohnen angegriffen. Davon seien 41 Marschflugkörper sowie alle drei Drohnen abgefangen worden.

+++ Pistorius: Deutschland bei Kampfjet-Koalition «nicht in erster Reihe» +++

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat distanziert auf Erwartungen der ukrainischen Regierung zur Beteiligung an einer internationalen Koalition zur Unterstützung des Landes mit Kampfjets reagiert. «Wir sind die Experten für Panzerlieferungen und Panzertechnologie gewesen, sind es für die Luftverteidigung, die nach wie vor von enormer Bedeutung ist», sagte er am Samstag am Rande eines Parteitags der niedersächsischen SPD in Aurich. «An dieser Stelle sind wir nicht in erster Reihe.»

In einer Rede vor den Delegierten sagte er, er gehe davon aus, dass Deutschland bis Jahresende fast 10 000 ukrainische Soldaten ausgebildet haben werde. «So viel hat kein anderes Land der Welt ausgebildet.»

+++ London: Ukraine macht «schrittweise, aber stetige Fortschritte» +++

Die ukrainischen Streitkräfte haben nach Informationen britischer Geheimdienste bei ihrer Offensive «schrittweise, aber stetige taktische Fortschritte» gemacht. Die Einheiten hätten sich in den vergangenen Tagen neu formiert und größere Offensivoperationen auf drei Hauptachsen im Osten und Süden des Landes geführt, teilte das britische Verteidigungsministerium in London am Sonntag mit. Dafür nutzten sie Erfahrungen aus den ersten beiden Wochen der Gegenoffensive, um ihre Taktik für die Angriffe auf die gut vorbereiteten russischen Verteidigungsanlagen zu verfeinern.

Russische Kräfte hätten ihrerseits «erhebliche Anstrengungen» für einen Angriff nahe der Stadt Kreminna im ostukrainischen Gebiet Luhansk unternommen. «Dies spiegelt wahrscheinlich die andauernden Anweisungen der russischen Führung wider, wann immer möglich in die Offensive zu gehen», kommentierte das britische Ministerium. «Russland hat einige kleine Fortschritte gemacht, aber die ukrainischen Streitkräfte haben einen Durchbruch verhindert.»

+++ Auch nach Deeskalation: Montag bleibt in Moskau arbeitsfrei +++

Auch nach dem abgewendeten blutigen Machtkampf bleibt der Montag in Moskau wie angekündigt ein arbeitsfreier Tag in der russischen Hauptstadt. Eine Sprecherin von Bürgermeister Sergej Sobjanin bestätigte in der Nacht zum Sonntag auf Anfrage der Agentur Ria-Nowosti, dass die von ihm getroffene Entscheidung weiterhin Bestand habe.

In den ersten Stunden des Aufstands der Söldner der berüchtigten Privatarmee Wagner hatte Sobjanin am Samstagvormittag aus Sicherheitsgründen den Montag zum arbeitsfreien Tag in Moskau erklärt und die Bürger aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Später befahl Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin seinen Truppen den Rückzug in ihre Feldlager. Prigoschin selbst werde nach Belarus gehen, teilte der Kreml mit.

+++ Lukaschenko als Vermittler +++

Zuvor hatte der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko Prigoschin nach eigenen Angaben dazu gebracht, seinen Aufstand aufzugeben. Lukaschenko habe sich als Vermittler angeboten, weil er Prigoschin seit rund 20 Jahren persönlich kenne, sagte Peskow. Prigoschin selbst äußerte sich nicht unmittelbar dazu. Ob und wann er sich aus dem Süden Russlands nach Belarus begeben wollte, war nicht klar.

Kurz zuvor hatte der Söldnerchef angekündigt, den Vormarsch seiner Einheiten auf die russische Hauptstadt Moskau zu stoppen. «Unsere Kolonnen drehen um und gehen in die entgegengesetzte Richtung in die Feldlager zurück», sagte er in einer von seinem Pressedienst auf Telegram veröffentlichten Sprachnachricht. Bislang sei «nicht ein Tropfen Blut unserer Kämpfer» vergossen worden. «Jetzt ist der Moment gekommen, wo Blut vergossen werden könnte.» Deshalb sei es Zeit, die Kolonnen umdrehen zu lassen.

+++ Kreml: Strafverfahren gegen Wagner-Chef wird eingestellt +++

Das Strafverfahren gegen den Chef der russischen Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, wegen des bewaffneten Aufstands gegen die Militärführung wird laut Kreml eingestellt. Prigoschin selbst werde nach Belarus gehen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Samstag der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Auch die Kämpfer der Wagner-Truppe sollen angesichts ihrer Verdienste an der Front in der Ukraine nicht strafrechtlich verfolgt werden, wie Peskow weiter erklärte. Zuvor hatte der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko Prigoschin nach eigenen Angaben dazu gebracht, seinen Aufstand aufzugeben.

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+++ Söldner ziehen sich zurück +++

Ihre bis zum frühen Sonntagmorgen (Ortszeit) gehaltenen Positionen in der südrussischen Millionenstadt Rostow am Don gaben die Wagner-Truppen auf. Unter dem Applaus der Zivilbevölkerung verließen zunächst die ersten Fahrzeuge mit Söldnern das - erst Stunden zuvor von ihnen eingenommene - Hauptquartier des russischen Militärkommandos Süd, ehe später auch Panzer und Gefechtsfahrzeuge die Innenstadt verließen.

An den Zufahrtsstraßen rund um Moskau wurden am frühen Sonntagmorgen nach offiziellen Angaben alle Straßensperren aufgehoben. An dem von Bürgermeister Sergej Sobjanin ursprünglich aus Sicherheitsgründen verfügten arbeitsfreien Montag hielt die Stadtverwaltung aber weiter fest.

Der seit Monaten schwelende Machtkampf zwischen Prigoschin und der russischen Armeeführung war in der Nacht zum Samstag eskaliert. Der 62-Jährige beschuldigte Verteidigungsminister Sergej Schoigu, den Befehl zu einem Angriff auf ein Militärlager der Wagner-Truppe gegeben und damit den Tod einer «großen Anzahl» von Kämpfern in Kauf genommen zu haben. Die berüchtigte Söldner-Einheit hat in Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine an der Seite regulärer russischer Truppen gekämpft und vor allem eine wichtige Rolle bei der Eroberung der Stadt Bachmut im Gebiet Donezk gespielt.

Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, bei einer Videoansprache (Bild: Uncredited/Prigozhin Press Service/AP/dpa)
Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, bei einer Videoansprache (Bild: Uncredited/Prigozhin Press Service/AP/dpa)

Allerdings gab es seit Monaten Streit um Kompetenzen und um Munitionsnachschub. Prigoschin brüskierte die Armeeführung immer wieder mit öffentlicher Kritik und Häme - ein unerhörter Vorgang in Putins Russland, wo regierungskritische Stimmen systematisch mundtot gemacht werden. Trotzdem ließ ihn Putin lange gewähren.

Nach dem angeblichen Angriff auf das Wagner-Lager, den das Verteidigungsministerium in Moskau umgehend dementierte, kündigte Prigoschin einen «Marsch der Gerechtigkeit» an, um die Verantwortlichen zu bestrafen. Am Samstag besetzten seine Truppen zunächst Militäreinrichtungen in Rostow am Don. Später wurde bekannt, dass sich weitere Einheiten Richtung Moskau in Marsch gesetzt hatten. Prigoschins Angaben nach befanden sich die Spitzen seiner Einheiten zuletzt nur noch rund 200 Kilometer von der russischen Hauptstadt entfernt.

Den Fortgang des Kriegs gegen die Ukraine sieht Russlands Führung durch den Aufstand Prigoschins nach eigenen Angaben nicht beeinflusst. Putins Sprecher Dmitri Peskow sagte, ihm sei auch nicht bekannt, dass sich die Haltung des Präsidenten gegenüber Verteidigungsminister Sergej Schoigu geändert habe. Prigoschin hatte dem Minister und auch Generalstabschef Waleri Gerassimow Unfähigkeit vorgeworfen und die beiden für die vielen Rückschläge auf dem Schlachtfeld verantwortlich gemacht.

Aus der Ukraine berichteten russische Militärs von heftigen Kämpfen in der Region Kupjansk im Osten des Landes. Russische Artillerie habe am Samstag mehrfach Truppenverschiebungen der Ukraine verhindert, hieß es, während Kampfhubschrauber mit Raketenbeschuss den ukrainischen Einheiten Verluste zugefügt hätten. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

+++ Baerbock verkürzt wegen Machtkampfs in Russland Südafrika-Reise +++

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verkürzt wegen des Machtkampfes in Russland ihre geplante zweitägige Reise nach Südafrika. Die Ministerin habe «ihre geplante Abreise nach Südafrika um einen Tag nach hinten verschoben, um angesichts der jüngsten Entwicklungen in Russland am Montagvormittag in Luxemburg an einem Treffen der EU-Außenminister teilzunehmen», teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am späten Samstagabend in Berlin mit. Baerbock plane nun, am Montagnachmittag nach Südafrika aufzubrechen.

Annalena Baerbock (Bild: REUTERS/Fabrizio Bensch)
Annalena Baerbock (Bild: REUTERS/Fabrizio Bensch)

Geplante Termine in Kapstadt werden gestrichen. Die Ministerin will in der Hauptstadt Pretoria mit Außenministerin Naledi Pandor am Dienstag eine Sitzung der alle zwei Jahre tagenden deutsch-südafrikanischen binationalen Kommission leiten. Ursprünglich wollte Baerbock am Montag in Kapstadt unter anderem eine Firma besichtigen, die Teil des von Deutschland geförderten Impfstoff-Hubs der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist. Damit soll der Ausbau der Impfstoffproduktion auf dem afrikanischen Kontinent gefördert werden.

Baerbock hatte sich am Samstag wegen der Entwicklung in Russland nach Angaben ihres Hauses unter anderem mit den Außenministern der anderen G7-Staaten über die Lage beraten. Zu den G7-Ländern der wirtschaftsstarken Demokratien gehören neben Deutschland auch Frankreich, Italien, Japan, Kanada, die USA und Großbritannien. Im Auswärtigen Amt kam ein Krisenstab zusammen.

+++ Kreml: Putins Haltung zu Schoigu unverändert - Krieg geht weiter +++

Nach dem bewaffneten Aufstand des Söldnerchefs Jewgeni Prigoschin gegen die russische Militärführung sieht der Kreml keinen Einfluss auf den Fortgang des Kriegs gegen die Ukraine. Die Situation wirke sich nicht auf den Verlauf der «militärischen Spezialoperation» gegen die Ukraine aus, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Samstag der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Der Kreml nennt die russische Invasion nicht Krieg, sondern Spezialoperation. Peskow sagte auch, dass ihm nicht bekannt sei, dass sich die Haltung von Präsident Wladimir Putin gegenüber Verteidigungsminister Sergej Schoigu geändert habe.

Wladimir Putin vor einer russischen Flagge
Putin will weiter gegen die Ukraine kämpfen (Bild: Sputnik/Gavriil Grigorov/Kremlin via REUTERS)

Als Chef der russischen Privatarmee Wagner hatte Prigoschin Minister Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow Unfähigkeit vorgeworfen und die beiden für die vielen Niederlagen in dem Krieg verantwortlich gemacht. Er sagte immer wieder, dass der Krieg mit dem Minister und Gerassimow nicht zu gewinnen sei. Prigoschin beklagte auch Korruption, Bürokratie, Betrug und Diebstahl in den russischen Streitkräften unter der Führung der beiden. Personalfragen seien aber nicht Gegenstand der Gespräche zur Beendigung des Aufstandes gewesen, sagte Peskow.

+++ Experte: Prigoschin wurde von Putin erschaffen +++

Der russische Präsident Wladimir Putin ist nach Einschätzung eines Experten selbst verantwortlich für die Eskalation um Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin. «Es ist seine eigene Schuld. Prigoschin ist Putins Kreatur: Sein Aufstieg ist ausschließlich Putins Schirmherrschaft zu verdanken», sagte der Russland-Analyst Nigel Gould-Davies von der Londoner Denkfabrik International Institute for Strategic Studies am Samstag.

Putin sei unentschlossen gewesen und habe damit den internen Konflikt zwischen Prigoschin sowie der regulären Militärführung um Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow noch angeheizt, sagte Gould-Davies. «Nach dem Beginn der Invasion in der Ukraine ist dies ein weiteres Beispiel für Putins schlechtes Urteilsvermögen.» Der interne Konflikt ermutige die ukrainischen Truppen und demoralisiere die russischen.

Prigoschin habe mit der Meuterei direkt und öffentlich Putins Rechtfertigung für den Angriffskrieg gegen die Ukraine untergraben sowie die reguläre Armee lächerlich gemacht, sagte der Experte. Der Kremlchef sei schwer beschädigt worden. «Dies ist die größte Krise von Putins Präsidentschaft.»