Umstrittener Autor im Gespräch: US-Journalist bietet „SeaWorld“ die Stirn

„Es ist wie Disneyland – nur mit Meeresbewohnern“ – David Kirby weiß sehr wohl um das positive Image der Freizeitpark-Kette "SeaWorld", die in ihren drei Filialen aktuell 20 Orca-Wale hält. Dennoch wagt der „Huffington Post“-Journalist mit seinem neuen Buch „Death at SeaWorld: Shamu and the Dark Side of Killer Whales in Captivity“ einen Angriff gegen den amerikanischen Freizeitgiganten – und hält ein überzeugendes Plädoyer gegen die Haltung von Schwertwalen in Gefangenschaft. Yahoo! hat sowohl mit „SeaWorld“ als auch mit dem Autor gesprochen und gibt Einblick in einen Konflikt um Tierschutz, Profitgier und tragische Unfälle.

Die Show war eigentlich schon vorbei, als das Unglück geschah: Am 24. Februar 2010 starb die erfahrene Tiertrainerin Dawn Brancheau im „SeaWorld“ Orlando. Sie hatte den Star der Vorführung, Schwertwal Tilikum, ein letztes Mal lobend tätscheln wollen, als der sie plötzlich am Pferdeschwanz ins Becken zog, skalpierte und so lange unter der Wasseroberfläche hielt, bis die 40-Jährige ertrank. Nicht nur die Besucher des Freizeitparks im Osten des US-Bundesstaates Florida waren geschockt. Der Unfall weckte auch das Interesse von David Kirby. Sofort begann der erfahrene Journalist (er schreibt unter anderem seit deren Gründung für die „Huffington Post“) und angesehene Sachbuch-Autor (mit „Evidence of Harm“ stand er 2005 auf der Bestseller-Liste der „New York Times“), sich näher mit dem Thema Schwertwale zu beschäftigen.

Bei seinen Recherchen stieß der New Yorker auf einen interessanten Fakt: Im Gegensatz zu Schwertwalen in Gefangenschaft, die seit 1970 vier Menschen getötet und 24 verletzt haben, sind Orcas in freier Wildbahn bisher noch nie durch Aggressivität gegenüber Menschen aufgefallen. Zwar werden die Tiere, die zur Familie der Delfine gehören, auch als „Killerwale“ bezeichnet, ihr Jagdinstinkt beschränkt sich in Freiheit jedoch auf Fische, Robben und gelegentlich Wale. Kirbys Schluss: Schwertwale sind einfach nicht dafür geeignet, vom Menschen domestiziert zu werden. „Die Gefangenschaft führt dazu, dass sie aggressiv werden – untereinander und gegen Menschen“, macht er auch im Gespräch mit Yahoo! klar. So wie das 6,89 Meter lange und 5,44 Tonnen schwere Orca-Männchen Tilikum, das vor Dawn Brancheaus Ertrinken bereits in zwei andere Unfälle mit Todesfolge verwickelt war.

Doch wie zu erwarten war, stößt diese Theorie bei „SeaWorld“ auf wenig Gegenliebe. Zwar hat sich das Unternehmen, das in seinen drei Parks in Orlando (Florida), San Diego (Kalifornien) und San Antonio (Texas) aktuell 20 Orcas hält, in US-Medien bisher nicht zu „Death at SeaWorld“ geäußert. Gegenüber Yahoo! Deutschland macht Pressesprecher Fred Jacobs allerdings unmissverständlich klar, was man bei „SeaWorld“ von Kirbys Arbeit hält: „Sein Buch ist sehr lang und auch langweilig, außerdem voller Fehler und falscher Schlussfolgerungen. Er ist kein sorgsamer Journalist, sondern ein Tierrechts-Aktivist.“ Und in der Tat: Kirby prangert die Lebensbedingungen von Schwertwalen in Gefangenschaft entschieden an. Als Tierschutz-Aktivist sieht er sich deshalb aber noch lange nicht: „Ich schreibe keine Briefe, betreibe keinen Lobbyismus, war nie Mitglied einer Tierschutz-Organisation und beziehe auch kein Geld von einer solchen Vereinigung. Ich gebe lediglich Fakten wieder.“

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Hierfür hat der Journalist wissenschaftliche Fachartikel studiert und stützt sich außerdem auf die Erkenntnisse von Meeresbiologen sowie ehemaligen „SeaWorld“-Mitarbeitern. Und auch die Argumente von „SeaWorld“ selbst nennt und kommentiert Kirby. Zum Beispiel den Bildungsanspruch des Unternehmens, mit dem es immer wieder die Haltung von Schwertwalen zu rechtfertigen versucht. Aber, so Kirby: „Von diesen Orcas kann man nichts über ihr natürliches Verhalten in der Wildnis erfahren – sie leben unter Umständen, die viel zu weit von ihren Lebensbedingungen in der Natur entfernt sind. Noch dazu verzerrt man ihr Bild während der Shows. Mit den Vorführungen, bei denen die Tiere kleine Kunststücke machen und mit ihren Trainern schwimmen, erweckt man nur den Eindruck, dass es sich bei den Meeressäugern um sehr große Kuscheltiere handelt.“ Sehr große Kuscheltiere, die ihren „Job“ regelrecht zu genießen scheinen – so neckisch, wie sie die Besucher nass spritzen oder aus dem Wasser springen.



Doch dieser Eindruck täuscht, wie Kirby klarstellt. Denn die Ozeanriesen fristen bei „SeaWorld“ ein trauriges Dasein in viel zu kleinen Becken: Sie sind nur drei- bis viermal so lang wie die Schwertwale selbst (Weibchen können bis zu 7,7 Meter, Männchen bis zu 9 Meter Länge erreichen). Das ist vor allem deshalb bedenklich, weil Orcas in freier Wildbahn laut der „Whale and Dolphin Conservation Society“ zum Teil Strecken von bis zu 160 Kilometer pro Tag zurücklegen, um ihr Futter zu jagen – bei „SeaWorld“ werden sie hingegen „nur mit totem Fisch beworfen“, wie Kirby bemängelt. Das trägt natürlich auch dazu bei, dass die Orcas sich – wenn sie nicht gerade in einer Show auftreten – extrem langweilen. So sehr, dass sie an ihren Gitterstäben herum- und sich ihre Zähne kaputtkauen. Die Folge: gefährliche Entzündungen der Zahnwurzeln und schmerzhafte Geschwüre an den Kiefern. Aber die Orcas leiden nicht nur an physischen Schäden: Diese eigentlich sehr sozialen Meeresbewohner, die in freier Wildbahn im Familienverband leben (männliche Wale etwa weichen ihrer Mutter zum Teil ein Leben lang nicht von der Seite), werden bei „SeaWorld“ isoliert voneinander gehalten. Weil sie, wie Kirby erklärt, eben auch gegeneinander aggressiv werden können. All diese schlechten Lebensbedingungen tragen dazu bei, dass domestizierte Schwertwale wesentlich früher und häufiger sterben: Gemäß Kirby ist ihre jährliche Sterblichkeitsrate 2,5 Mal so hoch wie jene ihrer Artgenossen in freier Wildbahn.

Für die „SeaWorld“-Verantwortlichen allerdings ist nicht einmal das ein Argument: „Wir widersprechen dem Großteil von Kirbys Buch. Unsere Schwertwale sind gut versorgt und leben ein langes und gesundes Leben in unseren Parks“, so Sprecher Fred Jacobs. Wie lange und wie gesund, darüber vermag er jedoch nichts Genaues zu sagen. Gut möglich also, dass sich das Unternehmen schlicht die Haltung seiner größten Einnahmequelle nicht von Kirby madig machen lassen möchte. Immerhin ließen sich rund 70 Prozent der „SeaWorld“-Einnahmen allein auf die Stars der Parks, die Orcas, zurückführen, wie es an einer Stelle in Kirbys Buch heißt.

Mit anderen Worten: Von „SeaWorld“ selbst ist wohl vorerst kein Umdenken zu erwarten. Darum fordert Kirby auf, (nicht) zu handeln. Es liege an uns, ein klares Zeichen zu setzen – und solche Freizeitparks zu boykottieren. Besonders für deutsche Orca-Fans lohne sich die lange Reise in die USA ja ohnehin nicht, meint Kirby schmunzelnd: „Fahren Sie doch lieber nach Norwegen. Das ist viel näher dran. Und das Erlebnis, eines dieser hochintelligenten Tiere in freier Wildbahn zu beobachten, kann sowieso durch keinen ‚SeaWorld‘-Besuch getoppt werden!“


„Death at Seaworld: Shamu and the Dark Side of Killer Whales in Captivity“ ist in den USA im Verlag St. Martin’s Griffin erschienen. Eine Veröffentlichung des Sachbuches in Deutschland ist derzeit nicht geplant.



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