"Mit uns hat nie jemand über dieses Land gesprochen": Ost-Millennials erzählen in MDR-Doku von ihrer Jugend

Katharina Warda wurde 1985 in Weringerode geboren: "Ich war gerne im DDR-Kindergarten", sagt sie in der Doku: "Alle Kritik am DDR-Kindergarten ist wahr. Ich war trotzdem gerne im Kindergarten." (Bild: MDR/Schulz & Wendelmann)
Katharina Warda wurde 1985 in Weringerode geboren: "Ich war gerne im DDR-Kindergarten", sagt sie in der Doku: "Alle Kritik am DDR-Kindergarten ist wahr. Ich war trotzdem gerne im Kindergarten." (Bild: MDR/Schulz & Wendelmann)

1989 fiel die Berliner Mauer, die Menschen in Ostdeutschland gewannen die Freiheit und verloren oft die Perspektive. Was dieser Verlust für junge DDR-Bürgerinnen und -Bürger bedeutete, erzählen sieben Ostdeutsche aus den Jahrgängen 1982 bis 1988 in der MDR-Doku "Generation Crash - Wir Ost-Millennials".

"Mein Grundgefühl war eigentlich Angst. Angst und Ohnmacht", sagt Hendrik Bolz. Er spricht von einer "permanenten Bedrohungslage". Der junge Mann kam 1988 in Leipzig zur Welt. Millennials, die wie er zwischen 1980 und 1996 geboren wurden, sollten die DDR und ihre Auswirkungen eigentlich nur noch aus dem Geschichtsbuch kennen. Doch "Generation Crash - Wir Ost-Millennials" zeichnet ein anderes Bild. Die zweiteilige Doku unter Regie von Nils Werner steht ab Dienstag, 4. Juli, in der ARD Mediathek zum Abruf bereit. Am Dienstag, 19. September, und Dienstag, 26. September, zeigt das MDR Fernsehen die beiden Teile jeweils um 22.10 Uhr.

Der Film erzählt von den Jahren nach der Wende, von den 1990-ern und den frühen 2000-ern. Dabei - und das ist das Besondere daran - steht immer die persönliche Perspektive der zwei Frauen und fünf Männer im Zentrum. Katharina Warda wurde 1985 in Weringerode geboren: "Ich war gerne im DDR-Kindergarten", sagt sie in der Doku: "Alle Kritik am DDR-Kindergarten ist wahr. Ich war trotzdem gerne im Kindergarten. Mir hat der Kindergarten sehr viel Struktur gegeben." Sie habe die DDR aus ihrer "Kinderperspektive wahrgenommen". Heutzutage würde sie sehr viele Dinge kritischer sehen.

Tucké Royale wurde 1984 geboren. Als "androgyner Punk" hatte er es in seiner Jugend schwer, bekam Morddrohungen. Im Alter von 15 Jahren setzten ihn seine Eltern vor die Tür.  (Bild: MDR/Schulz & Wendelmann)
Tucké Royale wurde 1984 geboren. Als "androgyner Punk" hatte er es in seiner Jugend schwer, bekam Morddrohungen. Im Alter von 15 Jahren setzten ihn seine Eltern vor die Tür. (Bild: MDR/Schulz & Wendelmann)

Mit "sechs, sieben Jahren" war die Kindheit vorbei

Den Mauerfall und die Wiedervereinigung erlebte Katharina als Schock: "Auf einmal gab es weniger und manchmal auch nichts zu essen abends, weil einfach kein Geld da war", erinnert sich die junge Frau. Dass ihre Eltern nicht die einzigen Ostdeutschen waren, die nach der Wende den Job verloren, beweisen berührend-schockierende Archivaufnahmen, die immer wieder eingespielt werden: Wenn das Geld nicht mehr reiche, würde sie sich umbringen, droht da eine in Tränen aufgelöste Mutter: "und meine Kinder, die nehme ich mit. Das sag ich euch! Die lasse ich nicht alleine hier!"

Doch es ist nicht nur die Arbeitslosigkeit der Eltern, die Katharina in den frühen 1990-ern belastet: Als Tochter einer Deutschen und eines Südafrikaners wird sie zunehmend zum Opfer rechter Gewalt: Als sie "sechs, sieben Jahre alt" war, habe ihre Mutter gesagt: "Du musst jetzt aufpassen, du musst dich verstecken! Dein Leben ist in Gefahr", erinnert sie sich: "Dann musste ich ganz schnell erwachsen werden und ab dann war die Kindheit auch irgendwie vorbei."

Viele Zuschauerinnen und Zuschauer kennen vermutlich die Bilder von den ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992, die älteren aus den Nachrichten, die jüngeren vielleicht aus dem Spielfilm "Wir sind jung. Wir sind stark." (2014) von Burhan Qurbani mit Devid Striesow und Jonas Nay. Doch was die Verhältnisse für junge Menschen wie Katharina bedeutet haben müssen, wird einem erst im Verlauf der sehenswerten MDR-Doku klar.

"Mein Grundgefühl war eigentlich Angst, Angst und Ohnmacht", erzählt Hendrik Bolz. Zuflucht fand er wie so viele in der Rap-Musik.  (Bild: MDR/Schulz & Wendelmann)
"Mein Grundgefühl war eigentlich Angst, Angst und Ohnmacht", erzählt Hendrik Bolz. Zuflucht fand er wie so viele in der Rap-Musik. (Bild: MDR/Schulz & Wendelmann)

"Mit uns hat nie jemand über dieses Land gesprochen"

Auch Anna Stiede (geboren 1987 in Apolda) war als Jugendliche Ziel der Neo-Nazis: Als "linke Zecke" sei sie "angespuckt, beschimpft und bedrängt" worden, erinnert sie sich, nur weil sie wie viele in ihrem Alter Zuflucht in der Punkmusik fand. Andere wie Hendrik oder Andy Zirnstein (1988 in Großröhrsdorf geboren) flüchteten sich in die Rap-Musik. "Mit uns hat nie jemand über dieses Land gesprochen und darüber, warum alles um uns herum so grau und trist war", kritisiert Anna: "Das ist eigentlich super absurd! Stattdessen überlässt man junge Leute einem traumatisierten Ökosystem." Es ist nicht das einzige Zitat im Film, an dem deutlich wird, wie sehr die Schulbildung bei der Aufarbeitung der DDR versagt.

Die Frage, was die Wende aus ihrer Heimat und den Menschen machte, verarbeitet Anna in Kunstprojekten. Und auch andere der im Film gezeigten jungen Menschen kamen im Laufe der Jahre in Grübeln: "Nach 2015 und der sogenannten Flüchtlingskrise kam dieses Beobachten: Ah, im Osten, da brodelt's unter der Oberfläche, und das hat auch was mit mir zu tun", sagt Hendrik am Ende der zweimal 45 Minuten. Wenn man dieses "Brodeln", das von der rechten Szene ausgenutzt wurde, reduzieren wolle, dann "muss man da mal ran und dann muss das alles auch mal durchgearbeitet werden". Einen ersten Schritt in diese Richtung ist die Doku gegangen.

Andy Zirnstein war einer der wenigen Menschen in seiner Heimat mit Migrationshintergrund: "Ich hatte schon sehr viele Probleme mit sogenannten Rechten", sagt er im Film. Umso mehr freut er sich, heute ein selbstverständliches Mitglied der Dorfgemeinschaft zu sein. (Bild: MDR/Schulz & Wendelmann)
Andy Zirnstein war einer der wenigen Menschen in seiner Heimat mit Migrationshintergrund: "Ich hatte schon sehr viele Probleme mit sogenannten Rechten", sagt er im Film. Umso mehr freut er sich, heute ein selbstverständliches Mitglied der Dorfgemeinschaft zu sein. (Bild: MDR/Schulz & Wendelmann)