"Verunsicherte Menschen suchen nach einfachen Lösungen"

"Furia"-Star Ine Marie Wilmann ist eine der angesagtesten Schauspielerinnen Norwegens. Im vierteiligen deutsch-norwegischen Thriller "Furia" spielt die 36-Jährige eine Undercover-Agentin, die ein internationales rechtes Netzwerk aufdecken will. (Bild: ZDF / Boris Laewen)
"Furia"-Star Ine Marie Wilmann ist eine der angesagtesten Schauspielerinnen Norwegens. Im vierteiligen deutsch-norwegischen Thriller "Furia" spielt die 36-Jährige eine Undercover-Agentin, die ein internationales rechtes Netzwerk aufdecken will. (Bild: ZDF / Boris Laewen)

Ine Marie Wilmann ist eine der bekanntesten Schauspielerinnen Norwegens. Im vierteiligen ZDF-Thriller-Serie "Furia" spielt die 36-Jährige eine Bloggerin, die ein internationales rechtes Netzwerk zerschlagen möchte. Der deutsch-norwegische Thriller entstand an den Fjorden Norwegens und in Berlin.

Über viermal 90 actiongeladene Minuten erzählt der deutsch-norwegische Thriller "Furia" (Sonntag, 7.11., 22.15 Uhr, ZDF), wie rechte Netzwerke mitten in unserer Gesellschaft an einem Umsturz des Systems werkeln. Neben deutschen Stars wie Nina Kunzendorf, Ulrich Noethen und Christian Berkel spielt Ine Marie Wilmann die Titelrolle der norwegischen Rechts-Bloggerin "Furia", die als Undercover-Agentin des norwegischen Geheimdienstes das Nazi-Netzwerk unterwandern soll. Im Interview erzählt die hochgelobte Charakterdarstellerin ("Sonja: The White Swan") von deutsch-norwegischen Gemeinsamkeiten in Sachen rechter Aktivismus, und sie erklärt, warum dessen Anhänger überall auf der Welt den gleichen "Denkfehler" begehen. Die "Furia"-Teile zwei bis vier laufen am Montag, 8.11., Sonntag, 14.11. und Montag, 15.11., jeweils um 22.15 Uhr - oder bereits ab Sonntag, 7.11., komplett in der ZDF-Mediathek.

teleschau: Frau Wilmann, wo erwische ich Sie?

Ine Marie Wilmann: Ich bin im Wald. Etwa zwei Autostunden von Oslo entfernt. Wir drehen hier in der Nähe eines Militärcamps "Troll". Das ist eine neue Netflix-Produktion, die sich mit norwegischen Sagen auseinandersetzt. Ein Monsterfilm ...

teleschau: Für Kreative aus "kleinen" Filmländern muss es derzeit aufregend sein, dass Streaming-Dienste wie Netflix mittlerweile lokale Filme und Serien produzieren, die automatisch überall auf der ganzen Welt zu sehen sind.

Ine Marie Wilmann: Das stimmt. Was wir gerade drehen, ist auch deren größtes skandinavisches Filmprojekt bisher. Doch dafür, dass Norwegen nicht so viele Einwohner hat, wird bei uns erstaunlich viel gedreht. "Furia" entstand ebenfalls als Co-Produktion mit X Filme und dem ZDF. Natürlich ist auch unsere spektakuläre Landschaft attraktiv für die ganze Welt, denke ich.

Action, Politik und norwegische Fjorde: Um ihre eigene Haut zu retten, muss Ragna (Ine Marie Wilmann) bis ans Äußerste gehen.
 (Bild: ZDF / Jens Harant)
Action, Politik und norwegische Fjorde: Um ihre eigene Haut zu retten, muss Ragna (Ine Marie Wilmann) bis ans Äußerste gehen. (Bild: ZDF / Jens Harant)

"Ich liebe die deutsche Sprache, sie hat einen ganz tollen Klang"

teleschau: Sie sprechen von skandinavischen Projekten. Verstehen die Skandinavier überhaupt die Filme der anderen? Also könnten Sie einen dänischen Film ohne Untertitel verstehen?

Ine Marie Wilmann: Untertitel helfen schon weiter, sie werden auch meistens eingesetzt. Viele Skandinavier verstehen die Sprachen der Nachbarn so einigermaßen. Es gibt aber Unterschiede. Ich höre immer wieder, dass Dänen ziemliche Probleme damit haben, Norwegisch zu verstehen. Dabei haben wir, was das Lesen und Schreiben betrifft, eine fast identische Sprache. Nur die Aussprache der Dänen ist sehr seltsam. Aber wahrscheinlich würden sie das gleiche von uns Norwegern behaupten (lacht).

teleschau: Wie hört sich Deutsch für Sie an?

Ine Marie Wilmann: Ich liebe die deutsche Sprache. Ich finde, sie hat einen ganz tollen Klang - auch wenn ich so gut wie nichts verstehen kann. Bei "Furia" habe ich mit vielen deutschen Kollegen gedreht. Die zweite Hälfte der Serie spielt fast ausschließlich in Deutschland. Eigentlich hatte ich gehofft, während der Dreharbeiten Deutsch lernen zu können. Aber das war dann doch zu ambitioniert. Ich verstehe aber mittlerweile genug Deutsch, um mitzubekommen, um was es am Set gerade geht.

teleschau: Wer hatte die Idee zu "Furia" - die deutschen oder die norwegischen Partner?

Ine Marie Wilmann: Die Serie ist das Projekt von Gjermund Stenberg Eriksen, einem norwegischen Showrunner. Er hat aber schon viel Internationales gemacht, auch einen International Emmy gewonnen. Ungewöhnlich ist, dass die Serie in Norwegen beginnt und nach einiger Zeit nach Deutschland wechselt, wobei viele neue Charaktere eingeführt werden und alte verschwinden. Dies war von Anfang an die Idee und wurde gemeinsam mit den deutschen Partnern und einem internationalen Team umgesetzt.

Nimmt ihren Job auf sehr körperliche Art ernst: "Furia"-Figur Ragna (Ine Marie Wilmann), die vorgibt, selbst eine rechte Bloggerin und Aktivistin zu sein, aber in Wirklichkeit für den norwegischen Geheimdienst arbeitet. (Bild:  ZDF / Nick Remy Matthews)
Nimmt ihren Job auf sehr körperliche Art ernst: "Furia"-Figur Ragna (Ine Marie Wilmann), die vorgibt, selbst eine rechte Bloggerin und Aktivistin zu sein, aber in Wirklichkeit für den norwegischen Geheimdienst arbeitet. (Bild: ZDF / Nick Remy Matthews)

"Das Internet hat Terrorismus internationalisiert"

teleschau: Als Deutscher freut man sich natürlich über die großartigen norwegischen Landschaften zu Beginn. Wo wurde das gedreht, falls ein paar Deutsche nach Ansicht der Serie dort Urlaub machen wollen?

Ine Marie Wilmann: Wir haben an der norwegischen Westküste in Åndalsnes am Isfjord gedreht. Von dort aus ist es nicht weit zum Geirangerfjord, einem der bekanntesten Fjorde der Welt. Die Gegend sieht aus, wie man sich eine Postkarte aus Norwegen vorstellt. Wir haben uns jeden Tag während der Dreharbeiten kneifen müssen, um uns daran zu erinnern, dass wir nicht träumen und diese Landschaft wirklich da ist. Vor allem der deutschen Crew ging es so, aber auch mir als Mädchen aus Oslo.

teleschau: Im Sommer 2011 fanden in ihrer Heimatstadt Oslo die Terror-Anschläge des Rechtsradikalen Anders Breivik statt. 77 Menschen starben. Wie wird die Gefahr von rechts heute in Norwegen wahrgenommen?

Ine Marie Wilmann: Die norwegischen Staatsorgane, die sich mit Terrorabwehr beschäftigen, sagen, dass die Gefahr von rechts ebenso groß ist, wie die von islamistischen Gruppen. Was mich wirklich besorgt ist die Tatsache, dass sich Terroristen heutzutage so leicht digital vernetzen können. Dass sie sich gegenseitig in ihrem Weltbild bestätigen und einander zu Taten anstacheln. Darum geht es ja auch in der Serie. Ein einziger Blogger oder ein Satz, den irgendein "Hater" im Internet hinterlassen hat, könnte einen Terroranschlag auslösen. Dann, wenn die falsche Person ihn liest. Es gibt viele Beispiele dafür. Das Internet hat Terrorismus internationalisiert. Es ist extrem einfach für ähnlich denkende Individuen irgendwo auf der Welt, sich miteinander zu vernetzen.

teleschau: Die Serie beginnt in der norwegischen Provinz, aber von dort aus werden Unruhen in der deutschen Hauptstadt Berlin geschürt. Können Sie sich so etwas vorstellen?

Ine Marie Wilmann: Ehrlich gesagt war ich ziemlich erschrocken während der Dreharbeiten in Berlin, dass dort ziemlich regelmäßig aggressive Demonstrationen stattfanden. Es gab immer wieder Demonstrationen der Corona-Maßnahmen-Gegner, wo viel rechte Symbolik gezeigt wurde. Außerdem war während unserer Dreharbeiten das deutsche Kommando Spezialkräfte (KSK) wegen rechtsextremer Umtriebe in den Schlagzeilen.

Schnell Kontakt aufnehmen! Ragna (Ine Marie Wilmann) muss mal wieder heimlich telefonieren. Ihr doppeltes Spiel wird zunehmend gefährlich für die "Furia"-Agentin. (Bild: ZDF / Nick Remy Matthews)
Schnell Kontakt aufnehmen! Ragna (Ine Marie Wilmann) muss mal wieder heimlich telefonieren. Ihr doppeltes Spiel wird zunehmend gefährlich für die "Furia"-Agentin. (Bild: ZDF / Nick Remy Matthews)

Querdenker? "Ah, ich habe davon gehört"

teleschau: Machen Sie sich Sorgen um unsere Demokratie? Auch um jene in Norwegen?

Ine Marie Wilmann: Ja, ich mache mir durchaus Sorgen. Weil viele Menschen mittlerweile keine Scheu mehr haben, ihre antidemokratische Gesinnung offen zu zeigen. Das ist ganz klar eine Entwicklung, die zugenommen hat. Übrigens überall in der Welt. Jeder meiner ausländischen Freunde und Bekannten sagt, dass es bei ihnen genauso so ist.

teleschau: Wann haben Sie in Berlin gedreht?

Ine Marie Wilmann: Wir haben mitten in der Pandemie gedreht, zwischen Oktober und Dezember 2020. Dabei hatten wir noch Glück, dass erst nach unserem letzten Drehtag wegen einer neuen Covid-Welle alles dicht gemacht wurde.

teleschau: Kennen Sie den Begriff "Querdenker"?

Ine Marie Wilmann: Ah, ich habe davon gehört. Das sind jene Leute, die daran zweifeln, ob es Corona wirklich gibt oder zumindest gegen die meisten Infektionsschutz-Maßnahmen sind. Stimmt das?

Deutsch-norwegischer Thriller "Furia": Ragna (Ine Marie Wilmann) muss mit eigenen Augen ansehen, zu welchen grausamen Taten die Terrorzelle in der Lage ist.

 (Bild: ZDF / Nick Remy Matthews)
Deutsch-norwegischer Thriller "Furia": Ragna (Ine Marie Wilmann) muss mit eigenen Augen ansehen, zu welchen grausamen Taten die Terrorzelle in der Lage ist. (Bild: ZDF / Nick Remy Matthews)

"Sie wollen wissen, wer die Guten und wer die Bösen sind"

teleschau: Ja, es gibt immer wieder Verbindungen zwischen Querdenkern und rechten Gruppen. Kennen Sie das Phänomen auch aus Norwegen?

Ine Marie Wilmann: Ja, bei uns ist es genauso. Dass die Rechten in den USA auch Corona-Leugner oder Verharmloser sind, ist ja bekannt. Ich bin mir sicher, dass dieser Mechanismus, diese Allianz zwischen Corona-Leugnern und rechten Gruppen, überall auf der Welt nach einem ähnlichen Muster funktioniert. Wurde in Berlin nicht sogar der Reichstag gestürmt?

teleschau: Zumindest haben es ein paar Hundert Demonstranten im August 2020 auf die Treppe des Reichstages geschafft, das Foto ging um die Welt. Haben Sie eine Erklärung dafür, wie die Verbindung zwischen Corona-Leugnern und Rechten entstanden ist.

Ine Marie Wilmann: Ich glaube, dass wir uns sicherer fühlen, wenn die Welt weniger kompliziert erscheint. Verunsicherte Menschen suchen nach einfachen Lösungen. Sie wollen wissen, wer die Guten und wer die Bösen sind. Überhaupt ist es ihnen wichtig, Menschen klar einer Gruppe zuordnen zu können. Und sie bewerten diese Gruppen eindeutig mit gut oder schlecht. Ich glaube, die Bewegung hin zur radikalen Einfachheit ist eine Reaktion auf die Tatsache, dass unsere Welt immer komplizierter wird.

teleschau: Wie kommen wir wieder raus aus der Nummer?

Ine Marie Wilmann: Man muss den Menschen erklären, dass Vereinfachung keine Lösung ist. Das ist leider schwieriger und unattraktiver, als an einfache Parolen zu glauben. Deshalb sind "Fake News" oft glaubhafter als die Realität, weil sie leicht zu verstehen sind.

Undercover-Agentin Ragna (Ine Marie Wilmann) hat sich in Norwegen in eine rechtsextremistische Terrorzelle eingeschleust. (Bild:  ZDF / Trygve Indrelid)
Undercover-Agentin Ragna (Ine Marie Wilmann) hat sich in Norwegen in eine rechtsextremistische Terrorzelle eingeschleust. (Bild: ZDF / Trygve Indrelid)