Viel Grün, niedrige Arbeitslosigkeit: Warum Lindenthal immer so gut wegkommt

Im Kölner Westen funktionieren Strukturen, die es anderswo nicht mehr gibt.

Eine kleine Grünfläche am Hermeskeiler Platz in Sülz ist zum Symbol geworden: Hier kann man das einzige Baugrundstück besichtigen, das der einwohnerstärkste Kölner Stadtbezirk zum jüngst beschlossen städtischen Flächenprogramm für den Wohnungsbau beisteuert. Flächen für rund 16.000 Wohnungen hat der Stadtrat benannt, die in den neun Stadtbezirken gebaut werden sollen. Nur 18 davon – in einem einzigen Haus am Hermeskeiler Platz – befinden sich im Stadtbezirk Lindenthal. Er hat sich erfolgreich gegen die Vorschläge der Stadtverwaltung gewehrt. Mehr noch: Die Vertreter des Bezirks mit dem höchsten Anteil an Erholungsflächen in Köln setzten durch, dass ein weiterer Grünzug verbindlich geschützt werden soll. Das schwarz-grüne Bündnis im Stadtrat erfüllte alle Wünsche. Hat Lindenthal mehr Einfluss als andere Stadtbezirke? Hatten die Lindenthaler die besseren Argumente? Oder hat sich im kommunalpolitischen Entscheidungsprozess wieder der Stadtbezirk durchgesetzt, der auch bei vielen anderen Fragen der Lastenverteilung vergleichsweise gut wegkommt, weil er mehr Einfluss als andere hat? Vor Ort verweist man auf den Anteil am gesamtstädtischen Wohnungsbau, den man in den vergangenen Jahren getragen habe – und darauf, dass man für die Zukunft Bauflächen in Widdersdorf und Lövenich hergeben werde. Im Stadtrat haben die Vertreter des Bündnisses von CDU und Grünen die Argumente übernommen. Das geschieht auch in anderen Politikbereichen: Zuletzt wurde in einer für die Stadt ungewohnten Schnelligkeit die private Friedensschule in Widdersdorf gerettet. Außerhalb des Stadtbezirks staunt man auch über den städtischen Planungsprozess für die erste Flüchtlingsunterkunft in Lindenthal. Aus einem dreigeschossigen Haus für 120 Menschen wurde zunächst ein Häuschen für 22 und dann – gewissermaßen als Kompromiss – ein Gebäude für 60 Personen. Höhere Bildung und Identifikation mit dem Viertel Bei der Diskussion um die Großmarktverlagerung oder den Bau einer großen neuen Gesamtschule, die man in den Nachbarstadtbezirk verlegte, gelang es den Vertretern des Stadtbezirks und hier vor allem der so genannten „alten Stadtteile“ – Lindenthal, Müngersdorf, Braunsfeld, Sülz und Klettenberg –, sich durchzusetzen. Soziologen wie der Kölner Stadtforscher Herbert Schubert nennen solche Viertel „homogene Quartiere“: Weil es gemeinsame Interessen und Werte gebe, die Bewohner viel miteinander zu tun hätten und zusammenhielten, entstehe sogenanntes „Sozialkapital“. Das wachse durch weitere Faktoren: Das Bildungsniveau und die Identifikation mit dem Viertel seien hoch, die Menschen hier seien in der Regel besser informiert. Die materiellen Sorgen sind bei den meisten geringer – das alles helfe, wenn es um den „Zugang zu höheren Positionen und den Sozialnetzwerken der Stadt“ gehe, wie es Schubert ausdrückt. Man könne es aber auch einfacher sagen, so Stadtforscher Schubert: „Man kennt einen, der einen kennt, der einen kennt.“ Politiker aus dem Westen haben die Stadt immer geprägt Das ist kein neues Phänomen, sondern Teil der Geschichte des Stadtbezirks, aus dem viele Kölner Führungspersönlichkeiten kamen und kommen. Das bürgerliche Milieu macht ihn zudem zur CDU-Hochburg. Der Partei- und Fraktionschef der Union, Bernd Petelkau, reiht sich ein in eine lange Linie christdemokratischer Führungspersönlichkeiten aus diesem Teil der Stadt, von Konrad Adenauer bis Richard Blömer. Im Gegensatz zu anderen gut situierten Stadtteilen, die sich eher wenig für den Rest Kölns interessieren, solange es ihnen gut geht, haben Politiker aus dem Westen immer auch die Stadt geprägt. Man bekommt nicht nur, sondern gibt auch viel zurück. Der Kölner Westen funktioniert wie die alte Bundesrepublik Ähnliche Netzwerke gab es früher auch in anderen Stadtteilen – auch in denen, die eher vom Arbeitermilieu und dessen Organisationen geprägt waren. Doch dort sind die Strukturen zusammengebrochen. In den bürgerlichen Stadtteilen im Kölner Westen dagegen funktioniert vieles immer noch – im besten Sinne – wie in der alten Bundesrepublik: Es gibt noch gute Nachbarschaften, weniger Anonymität, ein reges Vereinsleben und eine Menge ehrenamtliches Engagement. Die Kirchen sind besser besucht als anderswo. Interessenvertreter von Schulen, Initiativen und Nachbarschaften mischen in Entscheidungsprozessen mit. Und weil die politischen Parteien wissen, dass hier viele zur Wahl gehen, hört man den Interessenvertretern aufmerksamer zu. Das gilt auch für die innerparteilichen Entscheidungsprozesse. Mehr als 1000 Mitglieder zählt die CDU im Stadtbezirk; allein der Ortsverband des Stadtteils Lindenthal ist mit 342 Mitgliedern stärker als die CDU im gesamte Stadtbezirk Ehrenfeld mit seinen sechs Stadtteilen. Auch bei den Grünen ist der Organisationsgrad vergleichsweise hoch. Das Gewicht nimmt weiter zu, weil die Ortspolitik nicht selten parteiübergreifend zusammenarbeitet. Umdogmatische Zusammenarbeit der Parteien „Fast zu schön, um wahr zu sein“, sei das Miteinander, wenn es um Belange des Bezirks gehe, sagt die engagierte CDU-Bezirksvertreterin Marliese Berthmann. Sogar mit den Linken klappe es prima. Recht undogmatisch agieren auch die führenden Köpfe der Bezirksvertretung. Bezirksbürgermeisterin Helga Blömer-Frerker und ihr Stellvertreter Roland Schüler verkörpern als perfektes Paar seit Jahren das, was auf Stadtebene immer noch kräftig knirscht: Ein bürgerliches, schwarz-grünes Bündnis. Die CDU-Frau ist die einflussreiche Repräsentantin mit viel Bodenhaftung. Der Vertreter der Grünen, der bis heute nicht in die Partei eingetreten ist, gilt als fleißiger Experte mit Langzeitgedächtnis für alle Themen. Beide sind in ihren Milieus, die sich längst vermischt haben, bestens vernetzt. „Wir bringen die Sicht der Bevölkerung der Stadtteile in den Entscheidungsprozess ein“, sagt Schüler. Man wisse, was gut für die Leute ist, so Blömer-Frerker. Die Lindenthaler Bezirksvertretung ist stark, weil andere schwächer sind Selbstbewusst fordert das erfahrene schwarz-grüne Spitzenduo mehr Entscheidungskompetenzen. Der Stadtrat könne sie dabei gerne „beraten“. Dass die Interessenvertretung der Lindenthaler erfolgreicher ist, als die der Kollegen in anderen Stadtbezirken, kann man ihnen nicht vorwerfen. Die Bezirksvertreter machen ihren Job. Stark sind sie auch deshalb, weil andere schwächer sind. Dem Ungleichgewicht bei der Abwägung der Interessen im gesamtstädtischen Entscheidungsprozess etwas entgegenzusetzen, ist nicht einfach. Eine Großstadt muss Lasten tragen: Lärm, Verkehr, Armut, soziale Spannungen, neue Wohnungen für eine wachsende Bevölkerung – die Idee, solche Lasten möglichst gleichmäßig zu verteilen, ist ein Ideal. Macht der Viertel mit Wahlbeteiligung wächst – Soziale Spannungen können Folge sein Weil sich nicht nur die Milieus in den Vierteln der Stadt, sondern auch die Wahlbeteiligung drastisch unterscheiden, sieht mancher Experte die Gefahr, dass die Macht der Gut-Vernetzten, die ganz genau wissen, wie man seine Interessen vertritt, noch weiter anwachsen wird. Wahlen werden nicht in Chorweiler oder Vingst entschieden, sondern in Lindenthal und Müngersdorf. Politische Parteien könnten sich in Zukunft noch mehr auf die Viertel mit vergleichsweise hoher Wahlbeteiligung konzentrieren – nicht nur im Wahlkampf. Stephanie Bock vom Deutschen Institut für Urbanistik warnt vor dieser Entwicklung. Wachsende soziale Spannungen können die Folge sein. Doch weil diejenigen, die sich abgewandt hätten, nun als Wähler von populistischen Parteien wie der AfD zurückkämen, beginne auch ein „Umdenken“, sagt die Expertin für Stadtentwicklung. Politiker würden erkennen, dass sie sich auch mit den „weniger lauten“ Einwohnern der Stadt befassen und neue Formen der Bürgerbeteiligung entwickeln müssten. Neun Stadtteile, 140 000 Einwohner, viel Wohnfläche pro Einwohner Der Stadtbezirk Lindenthal besteht aus neun Stadtteilen und hat fast 140000 Einwohner. Klettenberg, Sülz, Lindenthal, Braunsfeld und Müngersdorf gehören bereits seit der Stadterweiterung im Jahr 1888 zu Köln. Mit der kommunalen Gebietsreform kamen 1975 Lövenich, Widdersdorf, Weiden und Junkersdorf hinzu. Der Anteil an unbebauter Fläche im Stadtbezirk ist höher als in anderen Teilen der Stadt. Das gilt auch für das Bildungsniveau und das durchschnittliche Einkommen der Einwohner. Nirgendwo in Köln ist die Quote der Hartz-IV-Empfänger geringer (4,3 Prozent; stadtweiter Durchschnitt: 13,4 Prozent). Spitze ist auch die durchschnittliche Wohnfläche pro Einwohner: Sie beträgt im Stadtbezirk Lindenthal 43,1 Quadratmeter (stadtweit 37,7 Quadratmeter). Die Zahlen stammen aus der jüngsten Statistik der Kölner Stadtverwaltung....Lesen Sie den ganzen Artikel bei ksta