Virologe Drosten wehrt sich gegen BILD-Vorwürfe
Zwischen der BILD-Zeitung und dem Virologen Christian Drosten ist ein heftiger öffentlicher Streit eskaliert. Nun positionieren sich auch andere Wissenschaftler und Politiker in der Diskussion.
Es geht dabei um Vorwürfe gegen die wissenschaftliche Integrität des Virologen, der in der Corona-Pandemie zur Stimme der Forschung geworden ist. Immer wieder hatte es von anderen Wissenschaftlern und Ärzten auch entgegengesetzte Meinungen zu Drostens Forschungsergebnissen und Thesen gegeben. Das ist in der Wissenschaft durchaus nicht unüblich, im Gegenteil es gehört sogar zu einem wissenschaftlichen Diskurs dazu, insbesondere, wenn der Forschungsgegenstand eine derart schnelle und aktuelle Entwicklung beinhaltete, wie die Covid-19-Pandemie.
Doch am Montag ging die BILD den Leiter der Virologie der Berliner Charité mit schweren Vorwürfen an. Sie titelte “Fragwürdige Methoden: Drosten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch - Wie lange weiß der Star-Virologe schon davon?" Der Titel bezog sich auf eine Studie von Ende April, in der Drosten gemeinsam mit seinem Team zu dem Ergebnis gekommen war, dass es bei der Ansteckungsgefahr zwischen Kindern und Erwachsenen “keine signifikanten Unterschiede” gebe. Die Boulevard-Zeitung warf Drosten vor, “unsauber gearbeitet” zu haben. Der Virologe selbst kündigte das Erscheinen des BILD-Artikels kurz zuvor auf Twitter an. Die Zeitung plane mit "Zitatfetzen von Wissenschaftlern ohne Zusammenhang" tendenziös über ihn zu berichten. Dazu postete Drosten die Anfrage des BILD-Redakteurs, der ihm eine Stunde Zeit gab, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Er lehnte ab, auf Twitter schrieb der 48-jährige Virologe dazu: “Ich habe Besseres zu tun.” Zunächst hatte Drosten die Anfrage mit den persönlichen Daten des Redakteurs veröffentlicht, diese dann aber nach berechtigter Kritik wieder heraus genommen.
Interessant: die #Bild plant eine tendenziöse Berichterstattung über unsere Vorpublikation zu Viruslasten und bemüht dabei Zitatfetzen von Wissenschaftlern ohne Zusammenhang. Ich soll innerhalb von einer Stunde Stellung nehmen. Ich habe Besseres zu tun. pic.twitter.com/fghG1rdnnq
— Christian Drosten (@c_drosten) May 25, 2020
Die Kritik an Drostens Arbeit stützte sich auch auf die Aussagen anderer Wissenschaftler, wie des Statistik-Professors Dominik Liebl von der Universität Bonn. Der kommt in einer statistischen Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die mittlere Viruslast der Altersgruppe Kindergarten um 86 Prozent niedriger sei als die mittlere Viruslast der Älteren. Sein Kollege Christoph Rothe aus Mannheim wird in dem BILD-Artikel wie folgt zitiert: "Dass derart große Unterschiede von den Autoren als 'nicht signifikant' eingestuft werden, liegt daran, dass die verwendeten statistischen Methoden sehr schwach sind." Doch die Experten distanzierten sich mittlerweile von der BILD. Rothe schrieb auf seinem Twitter-Account: "Niemand von #Bild hat mit mir gesprochen und ich distanziere mich ausdrücklich von dieser Art der Berichterstattung."
Niemand von #Bild hat mit mir gesprochen, und ich distanziere mich ausdrücklich von dieser Art der Berichterstattung. https://t.co/GAf840EpqZ
— Christoph Rothe (@christoph_rothe) May 25, 2020
Und auch Dominik Liebl sprach Drosten per Twitter seine deutliche Unterstützung aus: "Wir können uns glücklich schätzen, Christian Drosten und sein Team im Wissenschaftsstandort Deutschland zu haben. They saved lifes!"
Ich wusste nichts von der Anfrage der BILD und distanziere mich von dieser Art Menschen unter Druck zu setzen auf's schärfste. Wir können uns mehr glücklich schätzen @c_drosten und sein Team im Wissenschaftsstandort Deutschland zu haben. They saved lifes!
— Dominik Liebl (@domliebl) May 25, 2020
Ebenfalls in dem Artikel zitiert wird der Ökonom Jörg Stoye, der an der Cornell-Universität in Ithaca, USA lehrt. Der äußerte sich zunächst per Tweet und dann in einem Interview mit SPIEGEL Online zu den von ihm verwendeten Zitaten. "Ich will nicht Teil einer Anti-Drosten-Kampagne sein. Ich stand und stehe in keinerlei Kontakt zur Bild", schreibt er auf Twitter.
Ich will nicht Teil einer Anti-Drosten-Kampagne sein. Ich stand und stehe in keinerlei Kontakt zur Bild. Natürlich habe ich höchsten Respekt vor @c_drosten. Deutschland kann froh sein, ihn und sein Team zu haben.
— Joerg Stoye (@JoergStoye) May 25, 2020
Er habe “kritische Anmerkungen zur statistischen Auswertung in der Studie” und diese im Sinne einer wissenschaftlichen Diskussion, keines Gelehrtenstreits geäußert, sagte Stoye. Absicht habe er dem Virologen zu keiner Zeit unterstellt. Im Interview betonte Stoye: "Drosten ist ein Gigant der Virologie. Ich habe von seiner Disziplin keine Ahnung, ich bin Statistiker." So, wie BILD seine Zitate verwendet, stehe er “auf keinen Fall dazu.” Seine Kritik an der Studie erklärte er auch noch einmal gegenüber SPIEGEL Online: “Die für die Studie untersuchten Kinder tragen weniger Viren in sich als Erwachsene. Die Frage ist nun: Ist das nur Zufall? Oder ist es ein Muster? Ich glaube an letzteres, anders als die Studie. Da sind wir tatsächlich unterschiedlicher Meinung.”
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BILD-Chef Julian Reichelt legte per Twitter derweil noch einmal gegen Drosten nach. Seine Reaktion sei Beweis für den wunden Punkt, in den seine Zeitung den Finger gelegt habe. Erneut warf er dem Virologen “fragwürdige Methoden” vor.
Nach @BILD Informationen geht man im Forscher-Team rund um Professor Drosten davon aus, dass die Studie grob falsch ist. Intern wurde das bereits sehr kritisch thematisiert, allerdings NICHT transparent veröffentlicht. Wie angefasst Prof. Drosten hier reagiert, sagt viel. Auch... https://t.co/3Js9cpsy3h
— Julian Reichelt (@jreichelt) May 25, 2020
...jeder selbst ein Bild von den in jeder Hinsicht fragwürdigen Methoden von @c_drosten machen.
— Julian Reichelt (@jreichelt) May 25, 2020
Viele Menschen scheinen anderer Meinung zu sein. Die Hashtags #TeamDrosten und #IchhabeBessereszutun wurden schnell zum Trend auf Twitter. Auch aus der Politik gab es Unterstützung für den Virologen und sein Team. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach stellte sich ebenso wie Juso-Chef Kevin Kühnert an seine Seite. Kühnert bezog sich in seinem Post auf seine eigenen Erfahrungen im sogenannten “miomiogate”, bei dem BILD ausführlich über einen angeblichen E-Mailverkehr zwischen dem SPD-Politiker und einem ominösen russischen Kontaktmann namens “Juri” berichtet hatte. Im Anschluss erwiesen sich die Mails als Aktion des Satiremagazins Titanic.
Lieber c_drosten Da Methodik der Studie einwandfrei ist (und sich mit der anderer Studien dazu deckt) würde ich mir keine Sorgen machen. Die Studie bestätigt doch genau das, was in Wuhan epidemiologisch gezeigt wurde. Kritik muss erlaubt sein, aber Kollegenneid gibt es auch... https://t.co/oOeJWtktp2
— Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) May 25, 2020
Der Journalismus ist aber auch wirklich schnelllebig geworden. Vor zwei Jahren hatte man noch mehr als drei Stunden Zeit zur Beantwortung. pic.twitter.com/0nPCMo1pb2
— Kevin Kühnert (@KuehniKev) May 25, 2020
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