Wagenknecht bei "Anne Will": Innerlich ausgebrannt

Lob eines CDUlers an eine Linken-Politikerin gibt es nicht oft. Bei Anne Will (links) begrüßt Ex-Bundesminister Thomas de Maizière die Entscheidung von Sahra Wagenknecht, sich aus gesundheitlichen Gründen aus der Politik zurückzunehmen: “Das verdient Respekt.” Foto: Screenshot ARD
Lob eines CDUlers an eine Linken-Politikerin gibt es nicht oft. Bei Anne Will (links) begrüßt Ex-Bundesminister Thomas de Maizière die Entscheidung von Sahra Wagenknecht, sich aus gesundheitlichen Gründen aus der Politik zurückzunehmen: “Das verdient Respekt.” Foto: Screenshot ARD

Er kam überraschend: Der Rückzug von Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht aus der Fraktionsspitze. Stress und Überlastung seien die Ursache. Bei Anne Will erzählt Wagenknecht, wie die Gesundheit ihr Grenzen aufgezeigt hat – und nutzt die Gelegenheit für eine politische Botschaft.

Zwischen Höchstleistung und Überbelastung – wann macht Arbeit krank?

Diese Frage diskutierten bei Anne Will:

  • Alexander Jorde: Der Krankenpfleger wurde durch eine Diskussion mit Angela Merkel bei der ARD “Wahlarena” 2017 bekannt, bei der er auf Missstände in der Pflege aufmerksam machte.

  • Klaus Lieb: Der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz forscht über Resilienz.

  • Thomas de Maizière: Der ehemalige CDU-Bundesminister war 36 Jahre als Politiker tätig, bevor er aus den Medien erfuhr, dass er als Minister abtreten muss.

  • Katja Suding: Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende baut Stress durch Kickboxen ab.

  • Sahra Wagenknecht: Die Linke-Fraktionsvorsitzende muss in Talkshows normalerweise rege für ihre Argumente einstehen – dieses Mal wird sie geschont.

In ihrem gelben Kostüm wirkt Sahra Wagenknecht erfrischend – zumindest optisch. Doch sie sei ausgelaugt: “Es ist so, dass ich erst mal überhaupt nicht mehr konnte”, beschreibt sie ihren Gesundheitszustand. Zwei Monate nahm sich Wagenknecht eine Auszeit vom politischen Dauerstress. Sie habe eine innere Leere verspürt und sich nicht in der Lage gefühlt, öffentlich zu sprechen. “Gerade wenn man etwas bewegen möchte, muss man auch Luft holen können”, sagt Wagenknecht.

“Die Frage ist ja auch: Wie viel bewegt man noch, wenn man innerlich immer ausgebrannter wird?” In den vergangenen Monaten hat die Linke-Fraktionschefin einiges anstoßen wollen: Doch die Gelbwestenbewegung hat in Deutschland nicht wirklich Fahrt aufgenommen und auch die von ihr ins Leben gerufene “Aufstehen”-Bewegung wirkt, als wolle sie sich wieder hinsetzen. Auch innerhalb der Linken war Wagenknecht viel Kritik ausgesetzt.

War es Mobbing?

Vor einer Woche hatte die 49-Jährige angekündigt, nicht mehr für die Linke-Fraktionsspitze zu kandidieren. Bei Anne Will spricht sie sogar davon, dass ein früherer Wechsel möglich wäre – die Entscheidung liege bei der Fraktion. Über die wurde in den vergangenen Tagen viel gemunkelt: Ist der Rückzug von Sahra Wagenknecht auch innerparteilichen Mobbing-Angriffen geschuldet?

Im Oktober 2017 hatte Wagenknecht in einem Schreiben veröffentlicht: “Bernd Riexinger und Katja Kipping werden sich nicht die Mühe machen müssen, mich über Monate wegzumobben.” Bei Anne Will beschwichtigt Wagenknecht die “permanenten Grabenkämpfe”, wie sie es damals formulierte. “Wir hatten Konflikte, das ist auch öffentlich bekannt. Aber ich finde, das jetzt nur darauf zurückzuführen, das wäre auch nicht richtig.” Letztlich sei es vieles gewesen, das zusammenkam.

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Wagenknecht: Politiker dürfen nicht klagen

Vielmehr als ihren Parteikollegen, scheint es, als wolle Wagenknecht der GroKo eins reinwürgen. Diese hätte in den vergangenen Jahren kaum etwas bewegt. Daher wolle sie politisch aktiv bleiben, um weiterhin Verantwortung zu übernehmen und mitzuwirken. Wagenknecht beginnt ihre gesundheitliche Situation zu politisieren: “Ich weiß, dass Millionen Menschen in diesem Land unter noch viel schwierigeren Bedingungen jeden Tag mit Stress, mit Überlastung, mit Überstunden zu tun haben.” Im Unterschied zu Politikern würden sie dafür auch noch sehr schlecht bezahlt, “und sie können auch nicht einfach zurücktreten.” Wagenknecht wolle sich weiterhin dafür einsetzen, dass sich das ändert und stellt eine Grundsatzfrage: “Deswegen finde ich, dass wir viel stärker diskutieren müssen: Ist der Mensch für die Wirtschaft da oder die Wirtschaft für den Menschen?”

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Anne Will: “Sie wurden abserviert”

Ex-Bundesminister Thomas de Maizière begrüßt Wagenknechts Entscheidung: “Das verdient Respekt, wenn jemand sagt, mein Körper hat Grenzen.” Das Publikum stimmt zu: Es gibt Beifall für die Linken-Politikerin. Es scheint, als wäre Anne Will die ganze Atmosphäre zu harmonisch. Sie hat Wagenknecht mit Samthandschuhen angefasst und provoziert dafür nun de Maizière: “Sie wurden herumgeschubst.” Und: “Sie wurden abserviert. Wie sehr hat Sie das verletzt?”

Anne Will spielt auf das abrupte Karriereende des Ex-Bundesministers an. Dieser ist vergangenes Jahr in Pension gegangen oder vielmehr: gegangen worden. Die Abberufung habe er selbst aus der Presse erfahren. “Das war schmerzhaft.” Im Nachhinein sei es aber gut gewesen, er hat sich ein neues Leben aufgebaut. “Wiederherstellung der Alltagstauglichkeit”, nenne es seine Frau. Der Psychiater Klaus Lieb nennt es: Resilienz. Resilientes Verhalten lässt sich erkennen, wenn Rückschläge in etwas Positives uminterpretiert werden. Man weitermacht.

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Lieb ist mit der rheinland-pfälzischen Bildungsministerin Stefanie Hubig verheiratet und kennt daher die Stressfaktoren, denen Politiker täglich ausgesetzt sind. Nicht zu vernachlässigen: ständige mediale Beurteilung und parteiinterne Streits. “Wo finden wir Zeiten, in denen wir wieder runterfahren können?”, ist eine Frage, die auch er und seine Frau sich stellen. Der Dauerzustand “vegetativer Übererregtheit” führt zu psychischen Erkrankungen. Krankheitstage wegen psychischer Störungen haben sich im vergangenen Jahrzehnt mehr als verdoppelt. Das liege auch daran, dass heute offener damit umgegangen wird: “Vieles war früher aus Scham anders deklariert worden”, so Lieb.

Die chronische Überbelastung von Pflegern kennt Alexander Jorde (links) aus seinem Alltag. FDP-Politikerin Katja Sudig (Mitte) kam kaum zu Wort. Vielmehr Redezeit hatte Psychologe Klaus Lieb (rechts), der erzählt, wie wichtig es sei, regelmäßig “die Akkus aufzuladen“. (Foto: Screenshot ARD)
Die chronische Überbelastung von Pflegern kennt Alexander Jorde (links) aus seinem Alltag. FDP-Politikerin Katja Sudig (Mitte) kam kaum zu Wort. Vielmehr Redezeit hatte Psychologe Klaus Lieb (rechts), der erzählt, wie wichtig es sei, regelmäßig “die Akkus aufzuladen“. (Foto: Screenshot ARD)

Keine Zeit fürs Klo

In der Pflege und im medizinischen Sektor ist die Rate von Mitarbeitern, die aufgrund psychischer Belastung fehlen, besonders hoch. “Weil man zu viele Patienten betreuen muss”, meint Pfleger Alexander Jorde. Und ballert mit Fakten: In der Pflege sei es möglich, zwölf Stunden am Stück zu arbeiten. Es gibt Schichten bis 21 Uhr, die nächste beginnt um 6 Uhr morgens. Jede dritte Pflegekraft sei gefährdet, einen Burnout zu erleiden. Viele schaffen es nicht zur Rente, was dann wiederum zur Altersarmut beitrage. Pflegekräfte können während des Dientes kaum noch auf die Toilette gehen, da der Zeitdruck zu hoch sei. “Da bringen auch zusätzliche Urlaubs- oder Feiertage nichts.”

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Der 22-Jährige fordert eine neue Arbeitszeitregelung: “Der Staat muss mehr auf den Schutz der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen achten.” De Maizière widerspricht. Seiner Meinung nach gebe es ein zu hohes Maß an Schutzgesetzen. “Ich finde, dass unser Arbeitsrecht nicht unterreguliert ist, sondern eher überreguliert.”

“Krankenhäuser sind Unternehmen”

Nun bringt sich auch FDP-Politikerin Katja Sudig ein. Sie war die Sendung über zurückhaltend und wird es nach ihrem Wortbeitrag auch bleiben: Sie glaube nicht, dass man die Privatisierung von Krankenhäusern für die Misere in der Pflege verantwortlich machen könne. Alexander Jorde kontert mit einem Beispiel einer großen deutschen Krankenhauskette: “Wenn die Verweildauer bei anderen Klinik-Ketten bei vier Tagen liegt, dann werden wir Pfleger vom Arbeitgeber angehalten, unsere Arbeitsschritte so zu verdichten, dass wir von einem Durchschnitt von sechs Tagen auf vier Tage runterkommen.” Die Arbeitsbelastung steige um ein Vielfaches, wenn Krankenhäuser wie Unternehmen agieren und Gewinne erwirtschaften wollen. Das sei ein Fehler, so der junge Mann, der kürzlich in die SPD eingetreten ist.

Anne Will lässt Katja Sudig nicht mehr zu Wort kommen, dabei hätte diese liebend gern etwas zur Digitalisierung der Arbeitswelt gesagt. Doch die Sendung neigt sich dem Ende zu. Eines wurde während der Debatte klar: Sahra Wagenknecht ist Vollblutpolitikerin und wird trotz Rückzug sicherlich nicht zum letzten Mal in einer Talkrunde sitzen.

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