Warum der Fall Deniz Yücel uns alle angeht

Der Türkei-Korrespondent der «Welt», Deniz Yücel, aufgenommen am 21.07.2016 in Berlin während der ZDF-Talkshow «Maybrit Illner».
Der Türkei-Korrespondent der «Welt», Deniz Yücel, aufgenommen am 21.07.2016 in Berlin während der ZDF-Talkshow «Maybrit Illner».

Ein Journalist wird in der Türkei verhaftet – dagegen demonstrieren Autokorsos in Deutschland. Der Fall Deniz Yücel könnte alle enger zusammenrücken lassen.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Ein Journalist wird in der Türkei verhaftet – was wie der Anfang eines schlechten Witzes klingt, ist traurige Realität, weit über hundert Journalisten machen derzeit die leidvolle Erfahrung, was Präsident Recep Tayyip Erdogan unter Demokratie versteht: Für den obersten aller Türken ist Demokratie die Freiheit jener, welche so denken wie er selbst. Wer seiner Chronistenpflicht als Journalist nachgeht, also seinen Job macht, kommt da schnell ins Gehege.

Nun hat es also den deutschtürkischen Korrespondenten der „Welt“ erwischt, Deniz Yücel. Er sitzt in Haft, und das könnte nun bis zu fünf Jahre ohne Prozessbeginn andauern, weil er seinen Job tat. Der Haftrichter hat ihm ein Interview vorgeworfen, das er mit einem Kader der kurdischen Terrororganisation PKK geführt hatte – als müssten wir Journalisten nicht mit jedem reden. Ferner fabulierte dieser Hanswurst von Jurist einen Artikel von Yücel zur Terrorpropaganda – der Reporter hatte wenige Tage nach dem Putschversuch vom Sommer 2016 ein paar Fragezeichen hinter die rasch von der Regierung propagierte Täterschaft der Gülen-Bewegung gesetzt. Damit war Yücel nicht allein.

Politiker erhöhen Druck auf Türkei

Wenn es Erdogan darum geht, den inhaftierten Yücel als Faustpfand für Verhandlungen mit Deutschland einzusetzen, sollte die Bundesregierung dieses Spiel nicht mitspielen. Ob der so genannte „Flüchtlingsdeal“, Wahlkampfauftritte in Deutschland oder Abschiebung von Asylsuchenden – nichts sollte mit dem Fall Yücel verknüpft werden. „Flüchtlingsdeal“? Eh ein makabres Kartenspiel auf dem Rücken von Schwächeren. Ein Auftritt Erdogans in Deutschland? Soll er doch! Es wäre eine prima Gelegenheit, mit ihm über Pressefreiheit zu diskutieren. Und aus der Türkei fliehen zu Recht immer mehr Menschen nach Deutschland – sie genießen zu Recht Schutz vor politischer Verfolgung.

Der Fall wird zu einer Offenbarung

Der Fall Yücel entwickelt sich zu einem moralischen Lackmus-Test. Manch einer offenbart da eklatante Schwächen. Einige AfD-Politiker zum Beispiel, die frohlocken richtiggehend über Yücels Inhaftierung; sie haben ihm nicht verziehen, wie er sich über Blutdeutschgefasel und Entvolkungsdelirien lustig machte. Und es handelt sich nicht um unbedeutende Kassenwarte aus AfD-Ortsverbänden, sondern um gewählte Mandatsträger; natürlich hört man aus der Parteispitze keine Ordnungsrufe, schließlich ruft sie nur nach einem Konservatismus, der in Wirklichkeit mit seiner von der AfD praktizierten Häme und Menschenfeindlichkeit keiner ist.

Und da ist mancher Journalist, dem die Pferde durchgehen. Michael Martens gelang das Kunststück, die Paternalisierung von Deutschtürken durch Erdogan gleichzeitig zu kritisieren und selbst auf die Spitze zu treiben: „einmal Türke, immer Türke“, bemängelt der FAZ-Redakteur, geht aber nach dem gleichen Muster vor, indem er Yücel und die Zeit-Redakteurin Özlem Topcu zu „Türkei-Erklärern“ reduziert; als hätten die beiden nie vorher über andere Themen geschrieben, von deutschem Antisemitismus über Bildungspolitik hin zum Papst. Dass beide aus freien Stücken heraus entschieden haben werden, über die Türkei zu berichten, braucht hier nicht erwähnt zu werden. Und Martens scheinheilige Frage „Können wirklich nur Journalisten mit türkischen Wurzeln über die Türkei schreiben?“ ist zu dämlich für einen Kommentar. Martens selbst als weißhäutiger Westdeutscher dokumentiert, was passiert, wenn eine Zeitung jemanden wie ihn zur Beschreibung von Vorgängen außerhalb von Deutschland beauftragt: „Wie schön fett die griechischen Frauen sind!“, lässt er, natürlich, jemand anderes in einem Artikel sagen, einen Afghanen. Bei Cappuccino und Heineken vom Fass sieht Martens diese Griechen über ihre Krise plaudern, damals im Juni 2015. Also, da sind mir so genannte „Türkei-Erklärer“ lieber.

Der Fall Yücel ist also auch ein Aufruf, auf Häme à la AfD oder Stigmatisierung à la FAZ zu verzichten. Falls Erdogan mit diesem Fall testen will, wie weit er gehen kann, dann sollte es nicht aufhören mit den Protestnoten und Autokorsos, der einen großen Solidarisierung mit diesem Chronisten. All dies könnte Deutsche, Deutschtürken und Türken noch näher zusammen rücken lassen.