Was EU-Verhandlungen mit der Türkei tatsächlich bringen

Zwischen Ankara und einzelnen Staaten Europas herrscht verbaler Kriegszustand. Die Gründe dafür sind mehr innenpolitischer Natur. Aber der Osmane ist halt ein schicker Antitypus unserer Tage.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Als der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu Wien unlängst zur „Hauptstadt des radikalen Rassismus“ erklärte, sagte er nicht die völlige Unwahrheit. Was gerade die österreichische Regierung von sich gibt, hat weder mit Diplomatie noch mit Ehrlichkeit zu tun. Da erklärt Kanzler Christian Kern die EU-Beitrittsgespräche mit Ankara für quasi beendet, die Verhandlungen seien „nur noch diplomatische Fiktion“, sagte der Sozialdemokrat. Und sein konservativer Außenminister Sebastian Kurz polterte, „das Kartenhaus der falschen Flüchtlingspolitik wird zusammenbrechen“. Es brauche nun eine „ehrliche Debatte“.

Wie die aussehen sollte, verrät der Außenamtschef nicht. Konsequent zu Ende gedacht würde solch eine Debatte wohl dazu führen, dass Europa zur Wagenburg werden will und keinen Flüchtenden mehr aufnimmt – sich also von den Problemen dieses Planeten per Dekret verabschieden will.

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Nun kann man den „Flüchtlingsdeal“ der EU mit der Türkei tatsächlich kritisch sehen. Er bleibt ein zynisches Pokern auf dem Rücken von Leidenden. Aber dem forschen Kurz wird es darum wohl nicht gegangen sein; vielmehr sieht er überhaupt in einer gemeinsamen Lösungssuche mit der Türkei das Problem – und da sind wir wieder bei seinem türkischen Amtskollegen Çavuşoğlu und seiner unfeinen Wortwahl bezüglich des ansonsten gern so fein auftretenden Wiens.

Kurz und knapp: Um eine Lösung von Problemen außerhalb Österreichs geht es der Regierung dort nicht. Überhaupt holzt das Kabinett gegen Ankara derart, als stünde ihm noch der letzte bilaterale Konflikt mit dem Osmanischen Reich, die bosnische Annexionskrise von 1908, im Nacken. Die große Koalition in Wien benutzt die Türkei lediglich, um auch mal ein wenig rassistisch zu poltern, wie es ihre größte Rivalin, die FPÖ, täglich vormacht. Mit solcher Kraftmeierei versuchen sich Konservative und Sozialdemokraten Luft auf innenpolitischem Gebiet zu verschaffen – und nehmen dabei in Kauf, dass die Rechtspopulisten sie dadurch nur vor sich her treiben.

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Stattdessen bräuchten wir in der EU ein abgestimmtes Vorgehen gegenüber der Türkei. Die EU hat eine große Zukunft, wenn sie sich auf ihre Werte besinnt. Diese haben einmal dazu geführt, mit der Türkei über einen Beitritt zu verhandeln. Dies wurde ernsthaft unternommen und hat das Land am Bosporus hin zu wichtigen Reformen begleitet. Ein Beitritt aber steht vorerst nicht bevor: Dafür hapert es bei Ankara noch mit den Werten. Aber deshalb die Verhandlungen abbrechen? Auf welcher Grundlage?

Das wäre die Zeit der EU

Ein Aus der Gespräche würde nur die liberalen Kräfte in der Türkei schwächen; die haben ohnehin derzeit einen schwereren Stand. Wer miteinander redet, kommt voran. Wer übereinander zetert, zementiert nur den Status quo. Sind wir mit dem derart zufrieden?

Das, was Kurz als „falsch“ deklariert, könnte in Wirklichkeit zu Ehrlichkeit führen: Nur in echten EU-Beitrittsverhandlungen kann geklärt werden, was einen verbindet und was einen trennt. Nur am Tisch kann man sich Gehör verschaffen – und da gibt es einiges zu bereden: Die Türkei führt gerade im Süden Krieg. Nicht nur gegen die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS), sondern vor allem gegen die Kurden. Dieses Vorgehen schadet wirklich allen und vor allem den Friedensbemühungen. Ankara muss die Angst vor kurdischen Freiheiten genommen werden. Das tut man am besten am Tisch. Und nicht, indem man vom Burgtheater aus herabruft.

Bilder: dpa

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