Kommentar: Wer hat Angst vor dem Nanny-Staat?

Soll der Staat mehr bestimmen, wie bei einem Kind? (Bild: AP)
Soll der Staat mehr bestimmen, wie bei einem Kind? (Bild: AP)

Mehr Ordnung und Leitung bedeuten nicht weniger Freiheit. Eine Stärkung des Staates wird es bald geben.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Wenn eine Forderung verunglimpft werden soll, kommt die Nanny. Eine Babysitterin klingt peinlich, die brauchen doch, wie der Name sagt, nicht du und ich! Derzeit angesagt ist die Warnung vor dem so genannten Nanny-Staat, weil sich gerade die Ideen häufen, wie der Staat mehr in das Alltagsleben der Deutschen eingreifen könnte, für die einen zum Besseren, für die anderen zum Schlechteren.

Als da wären: Eine Sicherung der Pensionen durch eine Grundrente, die Abschaffung von Hartz IV, Stärkung der Armen, Enteignung von Immobilienkonzernen, Tempolimit auf Autobahnen und Fahrverbote in Innenstädten. Ganz ehrlich, treibt einem dieses Arsenal Schweißperlen auf die Stirn? Mir nicht. Ich hab auch kein Problem mit Nannys, wenn die ihren Job verstehen, ist ihre Arbeit ein Segen. Daher wünsche ich mir für Deutschland mehr Nanny.

Alles unsicher, Baby

Es ist oft die Rede von einer allgemeinen Verunsicherung, und vielleicht ist da etwas dran. Ich will nicht wieder von der Globalisierung, der Digitalisierung und anderen -ungen reden, auch wer nicht seinen Hipsterbart vorm Latte parkt, weiß mittlerweile Bescheid. Es betrifft uns ja alle.

Die Leute von Links nehmen eine mangelhafte Gerechtigkeit wahr, sie sehen große internationale Player, die sich vor Steuern drücken und die Omi an der Aldi-Kasse, die einen Liter Milch wieder zurücklegen lassen muss. Sie sehen explodierende Mieten für alle, die nicht endende Versiegelung unserer Landschaften und wie die Erkenntnis ob des vom Menschen befeuerten Klimawandels immer weitere Kreise zieht, sich aber dennoch nicht genug Dinge ändern; verdammte fest gefahrene Gewohnheiten.

Die Leute von Rechts sehen die Fragezeichen und sehnen sich nach Ausrufezeichen oder zumindest einem fetten Satzpunkt. Sie fragen sich, was unsere Werte sind und was das mit der Nation zu hat, was die Nation ist und kommen dann zur Auffassung, dass alles einfacher wird, was einfacher gesehen wird. Also wird manches straff gezogen. Ob dies noch die Wirklichkeit abbildet, soll jeder für sich beurteilen.

Was Links und Rechts eint, ist die Sehnsucht nach einer gewissen Ordnung. Dahinter steht die Idee, der Staat könne richten, was uns fehlt. Das ist natürlich Wunschdenken. Unser Staat ist auch nicht schwach, er funktioniert gut und verteilt eine Menge Geld um. Aber tatsächlich könnte da mehr getan werden.

Ein bisschen Ordnung, bittschön

Es gibt ein ähnliches Buhwort wie jenes von der Nanny, und das ist der Neoliberalismus. In den Neunzigern des vorigen Jahrhunderts wurde Neoliberales schick, die Sozialdemokratie bildete sich damit eigene Managerqualitäten ein, man sprach vom dritten Weg – und die Ordnungspolitik von Ronald Reagan und Margaret Thatcher wurde nicht in Frage gestellt, obwohl der US-Präsident und die britische Premierministerin in den Achtzigern ihre Sozialstaaten ruinierten und privatwirtschaftliche Kräfte entfesselten, die Gemeingüter als Selbstbedienungsläden verstanden. Herauskamen Wirtschafts- und Finanzkrisen, die dann wieder repariert werden mussten, vom Staat natürlich. Spätestens dann, am Ende der Nullerjahre, war der Neoliberale nicht mehr schick, sondern schuld an allem.

Beide Auffassungen von diesem Wort aber sind falsch. Echte neoliberale Lehre forderte immer, dass sich der Staat auf Kernkompetenzen konzentrieren solle – diese aber solle er beherrschen. Der Staat der Neoliberalen ist letztlich ein starker, kein Rumpfgebilde. Und genau dies sollte unsere Idee für morgen sein.

Wenn Wohnungen in die Hand einer Kommune zurückgeführt werden, weint kein Immobilienunternehmer wirklich. Wenn Superreiche mehr Steuern zahlen, reicht es für sie noch zum Trüffel auf dem Omelette. Wenn keiner schneller als 130 Stundenkilometer auf der Autobahn fährt, kommt keiner wirklich später an. Wenn wir der Industrie nicht nur Anreize geben, endlich mit Blick auf unsere Zukunft hin zu wirtschaften, wird sie tatsächlich weinen. Das stimmt. Aber die Zeit des Betrügens sollte langsam vorbei sein. Schließlich sind wir es, die den Feinstaub täglich einatmen. In der Zukunft drohen uns viel mehr Gefahren als heute, aber unsere Möglichkeiten sich denen zu stellen, sind mindestens genauso gewachsen. Dies zu orchestrieren wäre Aufgabe des Staates. Darauf könnte man sich ja mal einigen.