“Wir haben es satt!”-Demo: So geht es Tieren in Deutschland wirklich
Unter dem Motto “Essen ist politisch” werden am Samstag wieder Tausende Menschen für artgerechte Tierhaltung durch Berlin ziehen. Erst vor Kurzem stand das deutsche Tierschutzgesetz massiv in der Kritik.
Es ist ein Thema, das nicht nur Tierschützer bewegt: Ab Januar 2019 sollte eigentlich Schluss sein mit der betäubungslosen Kastration von männlichen Ferkeln. Doch die Große Koalition hat sich im letzten Moment umentschieden. Im Herbst 2018 wurde bekannt, dass man die zu Ende gehende Übergangsfrist von fünf Jahren kurzerhand um 24 Monate verlängert. Heißt: Ferkel dürfen auch noch in den kommenden zwei Jahren ohne Betäubung kastriert werden. Und das, obwohl es im Tierschutzgesetz, Paragraph 1, ausdrücklich heißt: “Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.”
Genießen Tiere nur Schutz oder haben sie auch Rechte?
Bei der “Wir haben es satt!”-Demo am Samstag geht es nicht nur um das Ferkel-Thema. Auch auf anderen Gebieten fordern die Initiatoren den Gesetzgeber zum Handeln auf. Vor allem sollen die Subventionen für Massentierhaltung gestoppt werden. Öffentliche Gelder soll es stattdessen nur noch für artgerechte Tierhaltung geben.
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Doch wie sieht die rechtliche Situation in Deutschland eigentlich aus? Wie darf man Tiere behandeln? Und haben Tiere überhaupt Rechte oder genießen sie einfach nur Schutz?
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Die Tierrechtsdebatte ist noch relativ jung. Demnach verfügen Tiere in Deutschland nicht über verbriefte Rechte. Zwar fordern Philosophen und Tierethiker, wie etwa der australische Intellektuelle Peter Singer, oder Organisationen wie “People for the Ethical Treatment of Animals” (Peta) seit einigen Jahren, Wirbeltiere mit Rechten auszustatten. Dazu würde auch das Recht auf ein Leben ohne Schmerz und Leid gehören. Es gibt aber zahlreiche Stimmen, denen diese Debatte zu weit geht.
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In Deutschland, wie in den meisten anderen westlichen Industrienationen, gibt es dagegen Gesetze zum Tierschutz. Hier wird unterschieden zwischen Haus-, Nutz- und Wildtieren. Und in eben dieser Reihenfolge kommt ihnen auch Schutz zu. Haus- und Heimtiere genießen den meisten Schutz, Wildtiere den geringsten. In Deutschland sterben laut der Albert Schweitzer Stiftung rund 745 Millionen Nutztiere in der Massentierhaltung pro Jahr.
Von Massentierhaltung spricht man dann, wenn es einen Bestand von 40.000 Geflügeltieren, 2.500 Mastschweinen, 750 Sauen und 600 Rindern gibt. Laut dem Fleischatlas 2014 des “Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland” (BUND) werden alleine auf Europas größtem Geflügelschlachthof im niedersächsischen Wietze 450 Tiere pro Minute getötet.
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Moderne Kühe geben doppelt so viel Milch
Bei der “Wir haben es satt!“-Demo geht es ausschließlich um Nutztiere, also jene Tiere, die vom Menschen wirtschaftlich genutzt werden. Dazu zählen etwa Kühe, Schweine, Hühner, Hasen, Esel oder Schafe und einige andere Tierarten. Sie werden oft unter unhygienischen Bedingungen gehalten, in engsten Transportern über große Strecken gefahren und mit genveränderter Nahrung gefüttert.
Eine Kuh beispielsweise ist im modernen Massentierbetrieb zu einer Hochleistungsmaschine geworden, muss bis zu 32 Liter Milch pro Tag geben. Laut SWR ist die Milchleistung deutscher Kühe von 1960 bis 2015 von 4.000 auf 8.000 Liter pro Kuh/Jahr gestiegen. Dies wurde durch Hochleistungszucht und vermehrte Fütterung mit Kraftfutter erreicht. Diese Praktiken sind in Deutschland legal – für die Demoteilnehmer aber etwas, dem man ein Ende setzen muss.
Auf der Webseite der Demo-Initiatoren heißt es: “Bei den Verhandlungen in Brüssel muss sich die Bundesregierung an die Seite der Bäuerinnen und Bauern stellen, die Tiere artgerecht halten, insektenfreundliche Landschaften schaffen und gutes Essen herstellen.” Eine artgerechte Tierhaltung ermöglicht Tieren etwa Auslauf unter freiem Himmel und berücksichtigt deren angeborene Verhaltensweisen.
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Allerdings werden der Massentierhaltung, die auch Intensivhaltung genannt wird, schon jetzt Grenzen gesetzt. Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung gilt für das Halten von allen Nutztieren zu Erwerbszwecken – umgangssprachlich wird sie auch als Legehennenverordnung bezeichnet, obwohl auch die Haltung anderer Nutztiere darin geregelt ist.
Die Tierschutz-Nutztierverordnung ist in acht Abschnitte eingeteilt, in denen die Anwendungsbereiche, Begriffsbestimmungen und allgemeinen Anforderungen an die Haltung von Kälbern, Legehennen, Masthühnern, Schweinen, Kaninchen und Pelztieren aufgeführt sind.
Bei neu zugelassenen Haltungseinrichtungen für Hühnerhaltung beispielsweise müssen alle Hennen “artgemäß” fressen, trinken, ruhen, sandbaden sowie zur Eiablage einen gesonderten Nestbereich aufsuchen können und mit Nestern, Sitzstangen und Einstreu ausgestattet sein. Die nutzbare Fläche pro Henne muss hier mindestens 1.100 cm² betragen. Einrichtungen mit weniger Fläche pro Huhn werden nicht neu zugelassen. Alte Anlagen mit weniger Platz pro Huhn durften zuletzt bis 2011 betrieben werden.
Die Richtlinien der Tierschutz-Nutztierverordnung bestimmen jeweils jedoch nur die Mindestanforderungen zum Schutz von landwirtschaftlichen Nutztieren, Kälbern, Legehennen, Schweinen und Masthühnern.
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