Wolfgang Schäuble in den "Tagesthemen": "Wir müssen beweisen, dass Putin nicht recht hat"

Der ehemalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble traf "Tagesthemen"-Moderator Ingo Zamperoni zum Gespräch über seine politische Karriere. (Bild: ARD)
Der ehemalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble traf "Tagesthemen"-Moderator Ingo Zamperoni zum Gespräch über seine politische Karriere. (Bild: ARD)

Seit 50 Jahren gehört Wolfgang Schäuble dem Deutschen Bundestag an. In den "Tagesthemen" bat Moderator Ingo Zamperoni den Unionspolitiker zum großen Bilanz-Interview. Man sprach über die Ampel, Putin, das Attentat von 1990 und darüber, dass früher auch in der Politik nicht alles besser war.

"So hat seine Karriere angefangen und so wird er sie auch beenden: als Abgeordneter im Deutschen Bundestag." Am Montag rollte Ingo Zamperoni in den "Tagesthemen" einem besonderen Gast den roten Interviewteppich aus: Wolfgang Schäuble zog zum Jubiläumsanlass im ARD-Nachrichtenmagazin die Bilanz einer bemerkenswerten politischen Laufbahn.

Seit 50 Jahren ist Schäuble Mitglied des deutschen Parlaments: Unter anderem war er Bundesinnenminister, Finanzminister, Chef des Bundeskanzleramtes sowie Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Wie blickt jemand mit dieser Erfahrung aus fünf Jahrzehnten auf die Krisen unserer Zeit? Dies wollte Zamperoni im Gespräch herausfinden.

In den "Tagesthemen" sprach Wolfgang Schäuble über die aktuellen Krisen und das Attentat, welches 1990 auf ihn verübt wurde. (Bild: ARD)
In den "Tagesthemen" sprach Wolfgang Schäuble über die aktuellen Krisen und das Attentat, welches 1990 auf ihn verübt wurde. (Bild: ARD)

"Dikatoren fürchten die Attraktivität der freiheitlichen Demokratie"

"Es hat sich natürlich vieles verändert", bekannte der dienstälteste deutsche Abgeordnete im Rückblick. "Aber ich habe immer gedacht, die Älteren müssen sich hüten zu glauben, früher sei alles besser geworden." Der 80-Jährige, der sich aktuell in den Reihen der Opposition wiederfindet, räumte ein: "Die Herausforderungen, mit denen jetzt die neue Regierung, die Ampelkoalition, im ersten Jahr ihrer Amtszeit konfrontiert worden ist, wünscht man einer neuen Regierung in einer so komplizierten Konstellation eigentlich auch nicht."

Seit seiner Zeit als junger Abgeordneter habe sich "das Tempo der Veränderungen" beschleunigt. Als Treiber dieser Entwicklung identifizierte er die "technologische Entwicklung", ferner die Globalisierung und den Klimawandel. Dieses Tempo würde nicht nur die "Widerstandskräfte der Natur", sondern auch die Gesellschaft überfordern.

Sorge um die demokratische Verfasstheit der Bundesrepublik hat er dennoch nicht. Die gegenwärtigen Verwerfungen seien nicht mehr als ein "Stresstest". "Die freiheitliche Demokratie ist die beste Staatsform", erklärte Schäuble, "die Diktatoren, wie in China und Russland, fürchten die Attraktivität der freiheitlichen Demokratie." Aufgabe sei es nun zu zeigen, dass diese Staatsform "leistungsfähiger und somit auch wettbewerbsfähig ist. Denn das ist unsere Verantwortung."

"Irgendwann wird dieser Krieg in eine Ermüdungsphase kommen"

Auch auf den Krieg in der Ukraine sprach Zamperoni seinen Studiogast an. Auf die Frage, ob er zum gegenwärtigen Verhandlungen mit Wladimir Putin "für sinnvoll erachten" würde, antwortete Schäuble: "Irgendwann wird dieser Krieg in eine Ermüdungsphase kommen. Wann dann der richtige Zeitpunkt für Verhandlungen ist, muss zunächst die Ukraine selber wissen."

In den vergangenen Monaten hätten die Menschen in der Ukraine "unglaubliche Opfer vollbracht, einen Heroismus der Bevölkerung an den Tag gelegt". Darüber könne sich der ukrainische Präsident nicht hinwegsetzen. "Deshalb müssen wir darauf achten, dass das Kalkül von Putin nicht aufgeht, der glaubt, er könne mit seiner Bevölkerung länger den Krieg durchhalten, als wir in unserer Bevölkerung die Unterstützung für die Ukraine. Da müssen wir beweisen, dass er nicht recht hat."

"Wir haben alles gewusst und wollten es nicht sehen"

In der Frage der fatalen Energie-Abhängigkeit von Russland beteuerte Schäuble indes, die habe er schon immer kritisiert. "Das habe ich damals schon für falsch gehalten." Zugleich zitierte der Undionspolitiker die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die sich kurz nach dem Beginn der russischen Invasion in die Urkaine bemerkenswert selbstkritisch geäußert hatte: "Ich bin so wütend auf uns. Wir haben alles gewusst und wollten es nicht sehen." Von dieser Einschätzung nehme er sich selbst nicht aus.

Im Interview kam Schäuble auch auf das Attentat im Jahr 1990 zu sprechen. Während einer Wahlkampfveranstaltung wurde der Politiker von einem psychisch kranken Täter durch Revolverschüsse schwer verletzt. Obwohl Schäuble seitdem querschnittsgelähmt ist, habe er in der Zäsur auch etwas Positives erkennen können. "Ich konnte weiterhin Innenminister bleiben, und das war eine so riesige Chance." Schließlich könnten andere Betroffene nach einem solchen Schicksalsschlag oftmals ihren Beruf nicht weiterführen. Politik, so Schäuble, sei für ihn "schon immer Leidenschaft" gewesen.