Yahoo Person des Jahres 2019: Jacinda Ardern

Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern (Bild: Reuters/Feline Lim)
Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern (Bild: Reuters/Feline Lim)

Neuseelands Premierministerin gelingt ein kleines Wunder: Mit Freundlichkeit und Ehrlichkeit hat sie Erfolg in der Politik. Auch durch eine der schwärzesten Stunden ihres Landes führte sie mit entschlossener Menschlichkeit.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Einfach vormachen. Sich der Vorbildfunktion bewusst sein. Und anderen auf Augenhöhe begegnen, dann wird das schon: Was sich liest wie ein Psychoratgeber aus der Hilfdirselbstkarrierefachliteratur, ist in Wirklichkeit das konkrete Arbeitsprinzip einer erfolgreichen Politikerin Jacinda Ardern, der Premierministerin Neuseelands.

Neusee was? Das Land liegt 18.000 Kilometer Luftlinie von Deutschland entfernt, noch hinter Australien, hat keine fünf Millionen Einwohner und über die Heimatregion, wo Ardern aufwuchs, lässt sich vielleicht sagen, dass es die Kulisse für viele Szenen der Film-Trilogie von „Der Herr der Ringe“. Und nun Yahoo Person des Jahres? Warum denn das?

Weil sie einen Lebens- und Arbeitsweg aufweist, der eine Richtschnur sein kann, der leuchtet. Ganz unabhängig davon, was man von ihrer Politik hält.

Dem Hass in Christchurch begegnet

Ardern, 39, regiert als Sozialdemokratin seit Oktober 2017 in Koalition mit einer populistischen „New Zealand First“-Partei und von den Grünen geduldet. Das ist eine komische Konstellation, aber die Rechtspopulisten zeigen sich ganz verzaubert vom Stil der Regierungschefin. Seit ihrer Amtsschaft gehe es freundlicher im Parlament zu, heißt es. Respektvoller. Weniger aggressiv.

Global bekannt wurde sie durch ihre Reaktion auf das Massaker im neuseeländischen Christchurch, wo im März dieses Jahres ein rechter Rassist mit einem Terroranschlag 51 Menschen tötete, indem er zwei Moscheen angriff. Ardern zeigte Trauer und Entschlossenheit. Sie zeigte Respekt vor den Toten und Mitgefühl mit den Hinterbliebenen. In Kopftuch gehüllt umarmte sie die Weinenden und Verzweifelten nach der Tat dieses Rechtsextremisten – und binnen wenigen Tagen setze sie eine Verschärfung der Waffengesetzgebung durch.

Der Anschlag von Christchurch ist eine Zäsur für das Land. Er war der blutigste in seiner Geschichte und löste ein nationales Trauma aus. Als das Land eine Stütze brauchte, einen moralischen Kompass - hatte es Ardern. Flugs setzte sich die Politikerin auch an eine Initiative gegen Hass im Internet, und zwar global. Ihr geht es nicht um die Beschneidung von Meinungsfreiheit, sondern darum, dass Terrorpropaganda keine Verbreitung in Online-Foren findet. Terror ist halt keine Meinung, sondern eine Krankheit.

Nach dem Anschlag von Christchurch bewährte sich Ardern mit Herzlichkeit aber auch beherztem Durchgreifen (Bild: Hagen Hopkins/Getty Images)
Nach dem Anschlag von Christchurch bewährte sich Ardern mit Herzlichkeit aber auch beherztem Durchgreifen (Bild: Hagen Hopkins/Getty Images)

Ardern ist der Gegenentwurf zu Donald Trump. Wo er lügt, agiert sie aufrichtig. Wo er versucht alles zu seinen Gunsten auszuschlachten, wägt sie ab. Als der US-Präsident sie im Zuge des Terrorangriffs in Christchurch anrief, erzählte sie ihm, wie wichtig ihr Diversität sei. Trump, Sohn eines Ku-Klux-Klan-Anhängers, wird gedacht haben falsch verbunden zu sein. Später forderte sie ihn zu Sympathie und Liebe gegenüber Muslimen auf.

Bei Problemen nicht wegschauen

Vor allem zeigt sich Ardern als ehrliche Politikerin, deren Worte nicht im Kontrast zu ihrem Handeln stehen. 2008 zog sie als Abgeordnete ins Parlament, und in ihrer ersten Rede forderte sie Maßnahmen gegen den Klimawandel. Unangenehmen Debatten entzog sie sich nicht. Als Ardern sich anschickte das Amt der Premierministerin zu übernehmen, fragte sie ein Journalist nach ihren Kinderwünschen. Sie zitierte cool den Human Rights Act von 1993, dass es nicht akzeptabel sei, wenn Frauen im Zusammenhang mit ihrem Arbeitsplatz nach ihrem Kinderwunsch befragt werden – und dass es für einen Arbeitgeber illegal ist, einen derzeitigen oder potenziellen Arbeitnehmer zu diskriminieren, weil er schwanger ist oder in Zukunft Kinder haben möchte.

Peng. Das saß. Einen Mann hätte man natürlich sowas nicht gefragt.

Im Amt hat Ardern dann ein Kind gekriegt und zeigt, wie sich Job und Elterndasein verbinden lassen, auch wenn man ein Land regiert.

Mit ihrem Kurs hat Ardern Erfolg. Sie verbindet, wo andere spalten. Sie weist auf die Probleme hin, wo andere schwafeln: Da ist ihr Engagement gegen den Klimawandel, aber auch die Bereitschaft ihren Finger in Wunden zu legen. Wo der Rest der Welt vom angeblich traumhaften und romantischen Neuseeland träumt, erzählt sie von den Suizidproblemen in der neuseeländischen Gesellschaft. Man hört ihr zu, der Yahoo Person des Jahres 2019.